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Todesmarsch in den Hügeln von Jerusalem

Ryan Moore, 26. August 2015, Excalibur

*Der folgende Artikel enthält grafisch explizite Beschreibungen, die einige Leser möglicherweise verstören.*

Die Terrorismus-Überlebende Kay Wilson besuchte in diesem Sommer Toronto, um mit jüdischen Studenten, darunter Yorker Schüler, über ihre schrecklichen Erfahrungen und Jahre dauernde Erholung zu sprechen. Viele Yorker Studenten glauben, dass Israel eine Doppelmoral auferlegt wird. Kay Wilson koordiniert sich nun mit StandWithUs, um beim Kampf gegen Boykottaufrufe gegen Israel an Universitäten wie York zu helfen.

Das Folgende ist eine Rekonstruktion der Ereignisse vom 10. Dezember 2010

Der Mata-Wald ist eine der malerischsten Landschaften des Israel National Trail, im biblischen Tiefland, westlich von Jerusalem. Kay Wilson und Kristine Luken gehen einen Feldweg entlang und weiter in den Wald, der kleine Hund Peanut raschelt in den Büschen ein paar Meter vor ihnen.

Kay, eine israelische Reiseleiterin, will Kristine einige der subtileren Schönheiten der Natur zeigen, führt sie durch das Dickicht und die Dornen in Richtung des Aussichtspunktes Bet Shemesh, wo sie stehenbleiben und die mit Pinien bewachsenen Hügel bewundern, die sich bis zum  Horizont erstrecken.

Auf dem Fussweg zurück durch den unmarkierten Pfad sieht Kay zwei Männer, die 20 Meter entfernt im Dickicht kauern. Peanut macht wieder in den Büschen Lärm. Mit zuckendem Herzen fühlt Kay einen Adrenalinstoss durch ihren Körper laufen, in der Hoffnung, von den Männern nicht gesehen zu werden. Dann sieht sie die zwei Männer weiter weg, zwei Männer, die später als Aiad Fatfata und Kifah Ghanimat identifiziert wurden.

„Habt ihr Wasser?“, ruft einer der Männer auf Hebräisch.

„Ich wünschte,“ antwortet Kay, und geht zügig wieder den Berg hinunter, kleine Steine unter ihren Füssen. In diesem Moment nimmt sie vorsichtig das Taschenmesser aus ihrem Rucksack und öffnet die Klinge. Da sie vergessen hat, wann genau der Sabat endet, sieht Kay zur Sonne, um zu sehen, wieviel Tageslicht bleibt.

Die Männer gehen zu ihnen und bitten auf Hebräisch um Wasser.

Kristine dreht sich, um zu fragen, was sie gesagt haben, da sie Hebräisch nicht versteht, worauf Kay murmelt, dass die Männer Wasser wollen. „Wir sollten auf unseren Weg zurück“, sagt sie, und ergänzt zu Kristine, einer Amerikanerin, Ruhe zu bewahren und zum Auto zurückzukehren. Dann erzählt sie den Männer, dass sie mit einer Reisegruppe unterwegs sind, die bald zurückkehrt.
Dann schreit Kristine.

Als Kay versucht, sich umzudrehen, wird sie auf den Boden geworfen durch das Gewicht eines Mannes, der versucht, sie auf der Erde festzuhalten, sein bärtiges Kinn streifte ihre Haut. Einer von ihnen zieht ein langes, gezacktes Messer aus seiner Kleidung und läuft auf sie zu.

Kay stürzt durch das dornige Gelände und bemerkt etwas kleines und braun zu ihren Füssen. Peanut. Kristine schreit wieder, worauf Kay damit reagiert, auf einen der Männer einzustechen. Sie tritt ihm ins Bein, schüttelt ihre Arme und stösst die kleine Klinge in seine Leistengegend, erreicht aber nur den Oberschenkel, zerreisst seine Khakis.

Der Mann zwingt sie wieder zu Boden und wirft einen Blick auf den Davidstern um ihren Hals.

“Okay, okay, Sie gewinnen,” sagt sie.

Sie tauschen verwirrte, stille Blicke, wagen, kein Wort auszusprechen. Der andere Mann durchsucht Kays Taschen, findet ein Handy. Er starrt darauf und reicht es ihr dann.

“Schalt es aus!”

Kay gibt vor, nicht zu verstehen.

“Schalt es aus!”

Kay schaltet das Telefon aus und bittet um Wasser. Er fuchtelt mit der Klinge vor ihrem Gesicht, als wolle er sagen: „Nein“. Die Männer durchsuchen jetzt alle Taschen und finden Kristines Reisepass. „Ich bin amerikanische Bürgerin“, sagt sie. „Nehmen Sie ihn, behalten Sie ihn!“

Das Gesicht des Mannes leuchtet auf, als er Kays israelische ID entdeckt, wechselt ein paar Worte mit seinem Kameraden, bevor Kay ihnen ihr israelisches Fremdenführerabzeichen zeigt und erklärt, sie sei mit einer grossen Reisegruppe unterwegs. Das Sonnenlicht fällt und verschwindet hinter den Kiefern.

Der Mann nimmt ihre Brille ab und legt sie in seine Tasche, blickt auf den Davidstern, der an ihrem Hals hängt. Er zieht ihre Schlüssel aus der Tasche. „Was für ein Auto hast du?“

Sie sagt ihnen, sie sollen das Auto nehmen, alles nehmen. Sie zeigt ihnen ihr israelisches Fremdenführerabzeichen und sagt noch einmal, dass die Reisegruppe bald wiederkommen werde.

Kay schlägt Kristine vor, einen epileptischen Anfall vorzuspielen, was sie auch tut.

„Was ist los?“, fragt der Mann.

„Sie hat ein gesundheitliches Problem. Ihre Medizin ist im Auto.“

Diskussion folgt, bis die Männer wieder mit dem Fleischermesser herumfuchteln und Kristine die Scharade beendet. Dann bewegt sich der kleinere Mann weg, um einen Anruf zu tätigen. Der andere Mann bewacht die Frauen, die gezackte Klinge in einer Hand klammernd, und eine brennende Zigarette in der anderen. „Zieh deine Schuhe aus,“ sagt er. „Jetzt entferne die Schnürsenkel.“

Die Frauen folgen seinen Anweisungen. Dann sagt er Kay, sie solle ihre Hände hinter ihren Rücken legen. Kay fleht um ihr Leben in Hebräisch, Kristine auf Englisch.

„Wir gut“, sagt der Mann, die Hand auf seinem Herzen. „Wir töten nicht.“

Barfuss, Hände auf dem Rücken gefesselt, mit Stücken von Kristines Fleecejacke geknebelt und näher an die Kuppe des Berges geführt von den beiden Männern, die sie ins dornige Dickicht hinsetzen, Wahnvorstellungen einer Gnadenfrist gehen den Frauen durch den Kopf.

Der Mann nimmt Kays Sonnenbrille und Davidsstern, trennt sie von Kristine.

Dann fährt ein Messer durch Kays Seite und reisst durch ihre Organe, Innenseiten in Brand. „Schma Jisrael …“, sagt sie. Er dreht die Machete in ihre Knochen und hebt den Arm, die Silhouette des Blattes blockieren die Sonnenstrahlen.

Peanut jault, als sie auch auf sie einstechen. Kristine ertrinkt in ihrem eigenen Blut, gibt die Art von Stöhnen von sich, das man nur einmal im Leben von sich geben kann. Die Männer lehnen sich über ihre Oberschenkel und stechen sie in den Rücken, Klang von knirschenden Knochen, zerreissendes Fleisch.

Kay wird wiederholt gestochen, Rippen gebrochen, ihre Lunge und ihr Zwerchfell durchstossen, sie fühlt ihre nunmehr ausgerenkte Schulter jetzt nicht mehr, noch ihr Schulterblatt, noch ihr gebrochenes Brustbein.

Sie sieht zu, wie das Messer in sie hineingeht, neben ihrem Herzen. Sie rollt mit offenen Augen vornüber, als ob sie schon weg ist. Die Männer schauen auf die Frauen im Schmutz, die sie jetzt als tot ansehen. Dann ziehen sie sich zurück in den Wald.

Fragestunde mit Kay Wilson


Was geschah nach der Attacke?

Kay: „Ich komme im Krankenhaus in Jerusalem an. Komme in den Operationssaal. Und die ersten Worte, die ich von einem Arzt zum anderen höre, bevor ich in die Narkose falle, sind, auf Hebräisch, „Muhammad, gib mir das Messer.“ Es war ein arabisch-israelischer Chirurg, der mir das Leben rettete. Israel ist kein Apartheidstaat. Ich würde sogar BDS (Boykott, Desinvestition und Sanktionen) Aktivisten dazu drängen, mit ein paar arabischen Israelis zu sprechen.“

„Ich hasse das Wort, aber was ist ihre ‚Inspiration‘ für solch giftigen Hass, der völlig unverhältnismässig ist? Es verbraucht emotionale Energie. Ich entschied mich, als ich die Mörder vor Gericht sah, die emotionale Energie, die es braucht, um an diesem Ort zu leben, das konnte ich nicht tun. Ich sagte, ich vergebe nicht und kann auch nicht vergessen, aber ich kann mein Leben nicht in Hass oder Angst leben. Für mich, glaube ich, habe ich eine Million mehr Gründe, hasserfüllter zu sein, als diese Menschen. Nicht jede erlebt, wie ihre Freundin in der Mitte eines Waldes in Stücke geschnitten wird.“

„Wenn also jemand zum Opfer werden will, könnte ich meine Situation nutzen und sie für politische Zwecke benutzen, aber das werde ich nicht. Und ich verstehe nicht, wo sie diese emotionale Energie herbekommen, und das zu wissen würde mich interessieren.“

Es gab eine sechswöchige Pressesperre, weil die Polizei die Terrorzelle ausheben wollte. Später kündigte die Polizei an, dass sie in der Lage sei, die Terroristen aufgrund von DNA Beweisen von Blut auf Kays Messer zu finden und zu verhaften. Kay verbrachte zwei Jahre in Traumatherapie. Neun Monate nach dem Angriff ging sie vor Gericht und wurde Zeugin der Aussage der Terroristen, die sagten, sie hätten Kristine getötet, weil sie dachten, dass sie Jüdin war.

„Da begann in mir ein Prozess. Wie können zwei Männer, die einst kleine Jungen waren, erwachsen werden und wehrlose, unschuldige Frauen ohne mit der Wimper zu zucken niedermetzeln und danach eine Zigarette rauchen? Es ist Hetze. Sie werden dazu angestachelt. Wir sind die Produkte unserer Umwelt. Und wenn die Leute die Schuld der Besetzung oder Unterdrückung oder Armut oder Verlust zuschieben, hör mal, ich habe meine Freundin, meine Heimat, meine Gesundheit und die Würde, für mich selbst zu sorgen, verloren. Ich verlor Gewicht, ich verlor Schlaf, meine Anonymität, meine normale Fähigkeit, die simple Frage, wie es mir geht, zu beantworten.“

„Ich verlor meine Menschlichkeit und meine Unschuld. Ich war mittellos.“

„Ich brauchte vier Jahren, bei dem, was ich gesehen und erlebt und gefühlt hatte. Wie konnte ich etwas derart kosmisch Böses in mein Leben aufnehmen, ohne dass es mich auffrisst oder mich bestimmt? Ich glaube nicht, dass irgend ein Individuum im ständigen Opfer-Sein festgehalten und gefesselt werden sollte. Es ist nicht gut, wahr, oder hilfreich. Ich will kein ewiges Opfer sein.“

„Ich muss zurück, noch einmal durch diesen Todesmarsch gehen, durch das Tal der Schatten des Todes. Ich muss den Klang meiner sich mit Blut füllenden Lunge erinnern, und ich muss mich erinnern, weil das Wort „Jude“ dankbarkeit bedeutet.“

„Ich muss dankbar zu sein und den Duft der Jerusalemer Pinien atmen, und nicht den Gestank von Erbrochenem hinter meinem Knebel riechen, und nicht die Silhouette von dieser Machete sehen. Ich muss den Gesang der kleinen Vögel heraushören, damit ich nicht bloss die Schreie meiner Freundin höre.“

„Insofern ist der ganze Sinn dessen, dass ich rede, ist, unseren Leuten zu sagen, was Mose vor vielen Jahren gesagt hat – wählt das Leben. Ich verzeihe nicht und ich kann nicht vergessen, doch ich werde mein Leben in Hass leben. Es ist diese kleine alltägliche Dankbarkeit und dieses höhere Bewusstsein der Gegenwart.“

Kay will klarstellen, dass sie nicht anti-Palästina oder Anti-Muslim ist. Sie will einfach Frieden.

„Ich habe in meinem eigenen Haus einen Araber versteckt, bei Gefahr für mein eigenes Leben. Das hat mir, einer Überlebenden des islamischen Terrorismus, mich mit einem muslimischen Friedensaktivisten anzufreunden und nach Kairo zu reisen und Zeit in einer islamischen Nation zu verbringen.“

„Es hat mir, einer Überlebenden des palästinensischen Terrorismus, erlaubt, meine Hände nach einem palästinensischen Freund auszustrecken, und über Social Media ihm zu helfen, ein eigenes kleines Geschäft zu eröffnen, denn durch mich hat er auch gelernt, dass er kein Opfer sein will. Es gibt niemandem Hoffnung, seine Nutzlosigkeit zu bekräftigen.“

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn die Leute in den Strassen „freies Palästina“ brüllen?

Kay: „Meine erste Frage ist, ob sie jemals dort gewesen sind. Zweitens, Völkermord und den Holocaust mit dem, was in den palästinensischen Gebieten geschieht, gleichzusetzen — es ist eine Lüge. Das ist nicht wahr. Ich sage nicht, dass es kein Leid gibt, aber ich bin in diesen Gebieten gewesen, und wie in Israel gibt es einige sehr arme Israeli und einige sehr wohlhabende Israeli.“

„Es gibt einige sehr arme Palästinenser, und es gibt einige Palästinenser, die in dreigeschossigen Häusern leben. Ich denke, sie (die Aktivisten) sprechen mehr über Verstösse, bei Reiseübergängen, auf Checkpoints, die ich noch nie durchmachen musste.“

„Ich würde nicht ihren Frust unterschätzen wollen, aber nachdem ich zum Opfer eines Terroranschlags geworden war, wünschte ich, es hätte an jenem Tag eine Mauer gehabt, Ich wünschte, es hätte einen Checkpoint gehabt.“

„Es ist entweder Fehlinformation oder Falschinformation oder Teilinformation. Sie müssen herkommen, um sich das selbst anzusehen, weil [anti-israelische Gefühle] verletzend [sind] und gar nichts lösen werden.“

„Auf einer emotionalen Ebene sehe ich alle diese Demonstrationen, wo sie sich auf den Boden legen („die-ins“), und ich denke, ich könnte auf die Knie gehen, und wo wir schon dabei sind, lassen wir doch einen Palästinenser eine Machete an meinen Hals halten, als ob er mich gerade enthaupten würde. Wird das irgendwie helfen? Wird das den Konflikt lösen? Natürlich nicht, es verschärft nur den Hass.“

Was halten Sie von der Boykott, Desinvestition und Sanktionen-Bewegung?

Kay: „Ich bin für BDS, wenn die Leute, die sie wollen, die Integrität haben, sie umzusetzen. Und das bedeutet, ich werde ihnen jedes ihrer Mobiltelefonen nehmen, weil es israelische Technologie ist. Ich werde ihnen ihre iPads nehmen. Ich werde ihnen ihre Computer nehmen. Ich werde ihnen ihre GPS-Navigationsgeräte nehmen. Wenn sie ins Krankenhaus müssen, werde ich sicherstellen, dass sie über keine israelische Medizintechnik verfügen. Sie sind absolute Heuchelei. Also verhaltet euch entsprechend.“

„Ich bin nicht für BDS. BDS ist empörend, aber ich stehe gerne auf und sage: Willst du BDS? Dann wollen wir BDS haben. Verhalte dich entsprechend.“

Über israelischen Aktivismus

Kay: „Wir müssen aufstehen. Es ist, wie wenn ich es es mit meinem Spaziergang im Wald vergleiche. Ich bin aufgestanden. Ich dachte nicht, dass ich weiterleben würde. Sondern in dem Sinne, dass ich aufstand und näher beim Auto sterben wollte, habe ich das für die nächste Generation getan. Ich tat es für die Menschheit.

„Diese Leute (Terroristen) werden erwischt werden. Wir müssen aufstehen. Und wenn wir es nicht für uns selbst tun, tun wir es für unsere Gemeinden. Angst funktioniert nie. Wie motiviert man Juden dazu, dies zu tun? Es ist ziemlich furchteinflössend, aber man kann nur so und so lange toter Mann spielen, und wenn ich zu lange toter Mann gespielt hätte, dann wäre ich gestorben.“


Bilder von Kay Wilson (Diese Fotos sind dort, wo die Ereignisse des 10. Dezember 2010 stattfanden, gemacht worden)

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