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Der arabische Frühling versagte wegen Antisemitismus

Ahmad Hashemi, 9. 4. 2014, Times of Israel Blogs

Ahmad Hashemi ist ein früherer Angestellter des iranischen Aussenministeriums, der als Übersetzer gearbeitet hat. Er ersucht momentan in der Türkei um politisches Asyl und arbeitet als selbständiger Journalist.

Vor etwa zwei Jahren, als die so genannte Demokratiebewegung, besser bekannt als der „arabischen Frühling“, in der Region begann, begrüssten sie viele Kommentatoren als „ein grosser Schritt nach vorn“, „einen Wendepunkt in der zeitgenössischen arabischen Weltgeschichte“ und eine „vierte Welle der Demokratisierung.“ Ich erinnere mich an diese Tage sehr gut, weil meine Kollegen beim iranischen Aussenministerium sehr aufgeregt waren. Wie die meisten Iraner unterstützten sie den Sturz der alten Tyrannen in der arabischen Welt. Viele meiner Kollegen sagten – privat natürlich -, dass der Iran der nächste in der Domino-Reihe sein würde, und die ganze Region würde grosse Fortschritte in Richtung Demokratie machen.

Ich war nicht so optimistisch. Ich argumentierte, dass, im Gegensatz zur iranischen Opposition Grüne Bewegung – die ein Aufstand von überwiegend säkularen Mittelklasse- und pro-westlichen Schichten der Gesellschaft gewesen war – die wichtigsten Oppositionskräfte auf der arabischen Strasse Islamisten und sogar Salafisten aus armen Vierteln waren, nicht echte Kräfte für den Wandel zum Guten. Ich behauptete, dass die Umstände nicht reif für einen positiven Wandel waren und die schnellen und blutigen Änderungen würden die Situation nur verschlimmern, indem sie Anti-West-Extremisten an die Macht brachten.

Meine Skepsis gewann weiter an Dynamik durch das Hören und Lesen von Nachrichten-Schlagzeilen wie: „Mit mehr als 2000 Jahren jüdischem Erbe schliesst Ägypten seine letzte Synagoge“ oder „Angriffe auf koptische Kultstätten gehen weiter,“ und „hochrangige ägyptische Beamten nennen Juden `Affen,`“ und „David Gerbi, der libysch-italienische Jude, der in seine Heimat zurückkehrte, erhält Morddrohungen,“ und „die letzte Synagoge im Irak wurde geschlossen, das Ende einer 2700-jährigen jüdischen Präsenz.“

Diese und andere ähnliche Beispiele gebe Hinweise darauf, dass nicht nur die restlichen kleinen christlichen und insbesondere jüdischen Gemeinden in der muslimischen Welt aussterben, sondern die ohnehin schon niedrige Toleranz gegenüber den „anderen“ schrumpfte. Dies ist der Hauptgrund , warum ich weiterhin davon überzeugt bin, dass die arabischen Aufstände wahrscheinlich keine Wende zum Besseren bringen.

“Israel ist Schuld”-Politik

Mit dem Beginn der Revolten des Arabischen Frühlings versuchten sowohl die Herrscher als auch die Opposition, die Probleme durch eine lächerliche aber seltsam verbreitete Theorie, dass Juden hinter all den Ereignissen steckten und damit beschäftigt waren, Verschwörungen gegen Muslime und Araber anzuzetteln. Durch das Schmieden konkurrierender antisemitischer Propaganda und die Produktion von Verschwörungen zum Zweck des mit dem Finger auf Israel und die Juden zeigens, versuchte jede Seite, die andere Seite durch Verbindungen mit Israel zu dämonisieren. In Libyen behaupteten Rebellen, dass die Mutter von Muammar al-Gaddafi eine Jüdin war, als eine Möglichkeit der Verleumdung des antisemitischen Diktators; Iranische Beamte zögerten nicht, den Aufstand in Syrien in der Anfangsphase eine Verschwörung von Zionisten zu nennen; und Bashar al-Assad wiederholt die gleichen Vorwürfe. Die Liste ist lang.

Engstirnigkeit hielt Führung und Unterstützer von der Nutzung des ganzen vorhandenen Potenzials der Aufstände ab. Statt sich mit den Ursachen der Probleme auseinander zu setzen, hatten sie eine „one size fits all“-Diagnose mit einem einzigen Rezept für alle Übel: Einfach mit dem Finger auf Israel und die Juden zeigen.

Aus meiner Sicht ein Grund, warum es dem Arabischen Frühling zwar gelang, alte Diktaturen zu stürzen, aber nicht sie durch echte Demokratien zu ersetzen,  war, dass Borniertheit die Führung und Unterstützer von der Nutzbarmachung aller vorhandenen Potenziale der Aufstände abhielt. Statt sich mit Ursachen der Probleme zu befassen, zogen sie es vor, einfache Antworten und Lösungen für alle offenen Fragen zu wählen. Sie hatten eine „one size fits all“-Diagnose mit einem einzigen Rezept für alle Übel: wann immer es ein Chaos, ein Dilemma, oder eine komplizierte Situation gab, brauchte man nur mit dem Finger auf Israel und die Juden zu zeigen.

Diese besondere Strategie ist extensiv in der iranischen Innenpolitik seit der Islamischen Revolution 1979 eingesetzt worden, sowohl als Sündenbock für interne Probleme als auch als Druckmittel gegen politische Gegner. Zum Beispiel nachdem Präsident Ahmadinejad dem Obersten Führer Khamenei trotzte, bezeichneten ihn ultra-konservative Gruppen als geheimen Juden. Sein Mentor, Rahim Mashai und Rahims Gefährten sind von Khameneis Unterstützern als `Verschlagene Ströme` bezeichnet worden. Dies zum Teil deshalb, weil trotz verleugnens seiner Worte und einer Zurechtweisung von Israels Politik, Rahim Mashai einmal meinte, dass die beiden Völker des Iran und Israels Freunde seien. In diesem Zusammenhang sind Juden gleich böse und gelten als die Quelle aller Vergehen, Elend und Fehlverhalten.

Meine persönliche Erfahrung

Früher habe ich auf Persisch geschrieben, aber als ich vor ein paar Monaten beschloss, auf Englisch zu schreiben, entschied ich mich, das für israelische Zeitungen zu tun. Zu meiner Überraschung wurden meine engen Freunde wütend und sagten mir, dass „das Schreiben in jüdischen Medien eine rote Linie ist und deine Glaubwürdigkeit und Zukunft aufs Spiel setzt, wenn du deine Stücke dort publizierst.“ Ich sagte ihnen, ich würde weiterhin dort publizieren, auch wenn ich vielleicht meine alten Freunde und Kollegen verärgere.

Leider ist unsere Gesellschaft so voreingenommen und unfair, wenn es um Israel und seine Politik geht, dass selbst viele reformorientierte, pro-demokratische Gruppen in und ausserhalb des Irans sich bewusst distanzieren von allem, was sie mit Juden in Verbindung bringen kann. Schreiben und Sprechen über B’nei Yisrael und ihr vergangenes Leiden ist immer noch ein Tabu, und niemand will vorurteilsfreie Informationen über Juden und ihre tragische Geschichte hören, wie der erzwungene Exodus im 20. Jahrhundert, Massenvertreibungen und Massaker im Nahen Osten.

Ich glaube fest daran, dass, wenn wir eine gesunde, tolerante Gesellschaft erschaffen, die Unterschiede respektiert und eine pluralistische Demokratie verfolgt, müssen wir akzeptieren, dass Juden und die jüdische Gemeinde Bestandteil unserer eigenen Gemeinden waren. Diese Bejahung des Zusammenlebens repräsentiert die Essenz der heutigen Zivilisation. Ein „arabischer Frühling“ ohne religiöse Toleranz, der auf starken antisemitischen Einstellungen beruht, kann nicht echte Demokratie und Freiheit bringen. In einem friedlichen und demokratischen Nahen Osten kann jeder blühen und gedeihen.

Als erfolgreichste Demokratie, die über eine starke und diversifizierte Wirtschaft und ein dynamisches Mehrparteiensystem verfügt, in einer von Tyrannei betroffenen Region, kann Israel ein Vorbild sein. Ich glaube aufrichtig, dass es viele andere Dinge gibt, die wir voneinander lernen, vorausgesetzt, dass wir Vorurteile und Hass beiseite legen und neue Ideen mit einem offenen Geist umarmen. Wir brauchen einen Mentalitätswandel, und als Muslime müssen wir starke herzliche Beziehungen mit dem israelischen Volk aufbauen und die Zukunft unseres gemeinsamen Mittleren Osten mit Juden und Christen zusammen aufbauen. Dann werden die Israelis bereit sein, einige umstrittene Ländereien zu opfern und sich einem Kompromiss für einen dauerhaften Frieden nähern, der ihre Sicherheit und Existenz in einem feindlichen Gebiet garantiert, das derzeit von Gegnern umgeben ist.

Intellektuelle, weltliche und religiöse Gelehrte der islamischen Welt müssen verstehen, dass, ohne die Lösung des Kernprinzips der Toleranz für den „Anderen“ – beginnend mit Israel – sie keine echte Demokratie und Frieden erreichen können. Wir müssen in uns selbst nach den Wurzeln unserer Probleme suchen. Die uralten Probleme der Ungleichheit und Diskriminierung, Gewalt, Missachtung der Menschenrechte, Frauenfeindlichkeit und frauenfeindlichen Verhaltensweisen, Intoleranz und Rassenhass, Sektierertum, Korruption, Fundamentalismus und Extremismus sind tief in unserer gesellschaftspolitischen Struktur verankert. Unsere Region stand schon lange vor der Gründung des jüdischen Staates im Jahr 1948 vor diesen Problemen, und sie haben nichts mit dem Israel von heute zu tun.

Wir müssen selbstkritisch sein und unsere Werte überdenken und die Denkweise überarbeiten, die uns zu diesem Chaos geführt hat. Wir müssen uns damit auseinander setzen, wenn wir eine bessere Zukunft leben wollen. Wir sollten uns umarmen und die Existenz des jüdischen Staates und seiner Bevölkerung begrüssen als eine dispergierte, aber einheimische und alte regionale Nation. Die meisten der Kriege und Auseinandersetzungen im Nahen Osten und in Nordafrika haben zwischen den arabischen und islamischen Ländern selbst stattgefunden. Trotz unsinniger Äusserungen bestimmter extremistischer muslimischer und sogar jüdischer (Neturei Karta) Geistlicher würde das Verschwinden des Staates Israel die andauernden Probleme der Region nicht lösen. Die bestehende Kultur des Brudermords und endlose Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden Gruppen in den arabischen und muslimischen Ländern existieren unabhängig vom Staat Israel und haben nichts damit zu tun.

Einige Massnahmen, die dazu dienen könnten, unsere Wunden zu heilen, sind Kulturrelativismus, Wahrung der Menschenrechte, die Tatsache zu akzeptieren, dass die Juden und Christen vor den Muslimen in der Region waren, religiöse Toleranz leben und respektieren aller Religionen einschliesslich abrahamitischer (Judentum, Christentum und Islam) und nicht-abrahamitischem Monotheismus (wie der Bahá’í-Religion, Sikhismus und Zoroastrismus) sowie von Agnostizismus und Atheismus.

Iran’s staatlich gesponserter Antisemitismus

Die Geissel des Antisemitismus hat eine lange und schändliche Geschichte, die nicht reduziert und beschränkt werden soll auf die NS-Verbrechen. Zum Beispiel, auch „Jude“ und „jüdisch“ tragen nach wie vor beleidigende und negative Konnotationen in unseren Sprichwörtern und täglichen Gesprächen. Die abscheulichsten Beispiele staatlich geförderten Antisemitismus ist der theokratische Iran, insbesondere die derzeitige Regierung.

Jeder, der Juden verunglimpft, den Holocaust leugnet und die Existenz Israels ablehnt, kann über Nacht zum Helden werden. Holocaust-Leugner und Antisemiten wie Edoardo Agnelli, Sohn des Besitzers des Auto-Riesen Fiat, der verstorbene französische Denker Roger Garaudy (ein geistig gestörter Holocaust-Leugner, den ich vor einigen Jahren erlebte, wie er einen Helden-Empfang erhielt am Qom Feyziye Seminar im Iran) und anti-israelische Rabbiner wie Yisroel Dovid Weiss und Moishe Arye Friedman sind alle willkommen im Iran, nur, weil sie Israel hassen und sein Existenzrecht leugnen.

Als Schriftsteller, Wissenschaftler, Menschenrechtsaktivisten und gewöhnliche Bürger der Region schulden wir den Israeliten eine historische Entschuldigung für die Belästigung, Verfolgung und Massenvertreibung aus ihrem angestammten Land. Dies ist ein Phänomen, das ein „kleiner Holocaust“ genannt werden kann, das zur Vernichtung der jüdischen Gemeinden in den meisten arabischen und muslimischen Ländern geführt hat. Auch wenn wir nichts ungeschehen machen können, was in der Vergangenheit geschehen ist, so müssen wir den Mut haben, uns Realität zu stellen mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, bereichert von einem Mosaik verschiedener Kulturen, Religionen und Farben.

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