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Das Theater der Palästinensischen Solidaritätsbewegung

Selbstgerechte Westler und Israel-hassende Juden spielen eine tödliche Rolle

Alex Ryvchin, 7.11.2015, The Spectator

Galway, Irland. Sie standen gedrängt in der Ecke des Hörsaals und flüsterten ominös. Ein letzter Mutzuspruch, vielleicht, oder eine hastige Überarbeitung der Taktik. Dann trat der Anführer vor, die Arme ruderten, die Stimme brüllte, in den Farben Palästinas gekleidet. „Hauen Sie verdammt nochmal ab von unserem Campus, sofort, Sie verfi..ter Zionist, verfi..ter Arsch,“ sein Körper buchstäblich verkrampft vor Wut. Seine Gefolgsleute schlugen gehorsam auf die Schreibtische in wilder Zustimmung. „Wir wollen Ihr israelisches Geld nicht in unserer Nähe haben.“

Professor Alan Johnson, ein angesehener Politikwissenschaftler und einer von Labours scharfsinnigsten Denkern, setzte seine Ansprache stoisch fort, sprach in seinen charakteristischen weichen, gemessenen, nachdenklichen Tönen. Er präsentierte seine Analyse des israelisch-palästinensischen Konflikts, schonungslos in seiner Kritik an beiden Seiten, und erklärte den progressiven Vorschlag für den Frieden: zwei Staaten für zwei Völker.

Doch die Demonstranten waren nicht da, um Ideen auszutauschen, oder um einen verhandelten, friedlichen Ausgang des Konflikts voranzubringen. Sie waren da, um „Widerstand zu leisten.“ Wogegen sie in diesem Hörsaal an der Westküste der Republik Irland widerstehen, ist nicht klar. Dem gesunden Menschenverstand und Toleranz vielleicht? Aber da waren sie. Brodelnde Westler, drapiert in Keffiyehs und kitschigen gewebten Palästina-Armbändern, die wesentliche Uniform des heutigen furchtlosen „Revolutionärs“.

Brendan O’Neill, der britische libertäre Agitator (und Speccie-Kolumnist) nennt dieses Phänomen die „politisch korrekte Form des Einschwärzens“. Sich ihrer „weissen Privilegien“ schämend, benutzen die Aktivisten die Symbole eines Volkes, das sie als edel und niedergetrampelt ansehen; dabei reduzieren sie sie auf einen groben Stereotyp, in ihren Köpfen einen positiven, aber dennoch einer beleidigenden, rassistischen Karikatur.

Für die Israel-Hasser sind Palästinenser hilflose Opfer, ganz ohne Agenda und damit ohne Schuld. Sie existieren nur als abstraktes Konstrukt unbefleckter Unschuld, einer idealisierten Nation von Ziegenhirten und Olivenbauern. Doch diese Täuschung ist nur die eine Hälfte der Gleichung. Um die Widerstandsfantasie zu vervollständigen, muss ein Bösewicht her, gegen den sich der Widerstand lohnt, „der zionistische Jude“. Diese ebenso mythische Figur, über alle Massen Böse, ist erfunden worden, nur damit sie getötet werden kann. Sie ist so weit von der Realität entfernt, wie die Karikatur des Palästinensers als reines Opfer. Allmächtig, bedrohlich, unersättlich und tödlich. Der ‚Super-Jude“, wie Londoner Times-Kolumnist David Aaronovitch ihn nennt. Wenn der traditionelle rassistische Stereotyp des Juden gierig, rücksichtslos und listig ist, warten sie bloss, bis Sie einem Zionisten begegnen.

Und doch ist der Zionismus nicht mehr oder weniger als die säkulare, nationale Bewegung des jüdischen Volkes. Wie die nationale Bewegung der Palästinenser, sieht sie den Nationalstaat als Ausdruck des Rechts eines Volkes auf Selbstbestimmung. Er macht keine unveränderlichen Behauptungen über die Grenzen des Staates. Israel hat zwei Mal (1994 mit Ägypten und Jordanien im Jahr 1979) Gebiet für Friedensverträge eingetauscht. Es wird nicht versuchen, den Mitgliedern der ethnischen oder religiösen Minderheiten gleiche Bürgerrechte vorzuenthalten. Es strebt nicht danach, die Religion der Mehrheit anderen aufzuzwingen. Aber für echten Zionismus zu kämpfen, für das unveräusserliche Recht eines Volkes auf Selbstbestimmung, qualifiziert sich kaum als der edle Kampf, den sich die selbstgerechten Westler zusammenfantasieren, und würde somit ihre Prätentionen zum Heldentum unerfüllt lassen. Es ist eine weit berauschendere Aussicht, Imperialismus, Kolonialismus, Apartheid, Genozid, ethnische Säuberungen, Faschismus und Nationalsozialismus in einem schwindelerregenden Schlag zu besiegen. Tötet die zionistische Bestie und die Erlösung ist nah.

Australien hatte seinen eigenen Galway-Moment im März. Ein Gastvortrag des ehemaligen Kommandeurs der britischen Streitkräfte in Afghanistan, Oberst Richard Kemp über die ethischen Dilemmata der modernen asymmetrischen Kriegführung, wurde von antiisraelischen Aktivisten gestürmt, in der Absicht, die Vorlesung abzubrechen. Die Aktivisten skandierten durch ein Megaphon, bis sie gewaltsam von Sicherheitskräften entfernt wurden. Raufereien folgten, Zuhörer und Aktivisten tauschten Beleidigungen aus, und ein leitender Wissenschaftler der Universität wurde beim unerquicklichen Akt, einer älteren Jüdin Banknoten ins Gesicht zu fuchteln, gefilmt. Die Aktivisten, die die Rede durch ein Megaphon zum Schweigen zu bringen versuchten, behaupteten später, nicht nur Opfer, sondern Verteidiger der freien Rede zu sein.

Eine anhaltendes Merkmal der antiisraelischen Bewegung ist die Handvoll Juden, die in ihren Reihen zu finden sind. Sie werden als äusserst nützlich für die „Sache“ betrachtet. Zum einen bieten sie wesentliche Abdeckung gegen den Vorwurf des Antisemitismus, durch den blossen Hinweis auf ihren jüdischen Hintergrund. Ein solcher Aktivist sprach bei einer anti-israelischen Kundgebung während des Gaza-Kriegs 2014, bei der israelische Flaggen mit Hakenkreuzen, Hisbollah-Fahnen, antijüdische Gesänge auf Arabisch und Broschüren mit Warnungen, dass die australische Regierung von einer „kleinen Minderheit“ überrannt worden sei. In einer Erklärung, die aufschlussreicher war, als er möglicherweise selber erkannte, sagte er, „Ich sehe hier keinen Antisemitismus.“

Der andere Nutzen des jüdischen antiisraelischen Aktivisten ist, als vordergründiger „Experte“ mit Einblick in die vermeintlich bösen Absichten der zionistischen Juden zu dienen. In einem Briefwechsel über den Konflikt mit Peter Baldwin, einem ehemaligen Labour Kabinettsmitglied, warnte derselbe jüdische antiisraelische Aktivist, dass „[Baldwin] nicht die tiefen Wurzeln des ethnischen Sonderwegs in der jüdischen Tradition erkennt.“ Das ist die Sprache akademischer Sophistik, ein Mantel zum verschleiern eines Anrufs alter Vorurteile und falscher Vorstellungen von Nichtjuden, die diese über die jüdische religiöse Tradition des „auserwählten Volkes“ haben. Natürlich weiss jemand, der auch nur eine elementare Kenntnis der Theologie oder der jüdischen Geschichte besitzt, dass der Begriff des auserwählten Volkes sich auf religiöse Pflichten bezieht, nicht auf Rechte gegenüber anderen, und in keiner Weise halten sich die Juden für anderen Nationen überlegen. Die Behauptung, dass es der „Charakter“ des Juden sei, der die israelische Regierungspolitik erklärt, gegen die man protestiert, ist ein transparenter und beklagenswerter Abstieg in eine ausgeleierte und schon lange diskreditierte rassistische Traufe.

Uns wird häufig von antiisraelischen Aktivisten gesagt, dass „immer mehr“ Juden sich gegen Israel wenden. Doch umfangreiche Umfragen in Australien und in den USA haben konsistent ergeben, dass die Unterstützung für Israel als dem Staat des jüdischen Volkes vielleicht das eine Thema ist, an dem Juden am stärksten übereinstimmen, auch wenn natürlich Ansichten über spezifische Massnahmen und der Vision, wie man Frieden erreicht, variieren.

Was also motiviert die kleine Anzahl von Juden, die sich komplett gegen Israel und die jüdische Gemeinde wenden, anstatt konstruktiv zu kritisieren oder einen Beitrag von innen zu leisten? Die Antwort überlässt man vielleicht am besten dem Bereich der Psychoanalyse. Aber natürlich gibt es in dem Theater, das die Anti-Israel-Bewegung ist, keine heroischere Rolle zu spielen als die des „Dissidenten“ oder des „Revolutionärs“; der Jude, der so „aufgeklärt“ ist, so mutig und so moralisch, dass er oder sie gegen die Gemeinschaft stehen, Der Macht gegenüber die Wahrheit ausspricht (und erst noch gegenüber der jüdischen Macht) und soziale Ausgrenzung riskiert. „Nicht in meinem Namen“ ist das Schlagwort. Den Button „Selbsthass“ in Ehren zu tragen, kann jüdische Dissidenten den Mantel des Gerechten umhängen: ‚Ich verabscheue nur Ungerechtigkeit. “

Die Realität ist fast das gespiegelte Gegenteil. Juden, die sich gegen Israel und ihrer eigene Gemeinschaft wenden, sich häufig Menschen, die in der Wissenschaft, der Kunst, Medien und Unterhaltung arbeiten, die oft Peer-Gruppen-Druck erliegen, Israel zu verurteilen. Weit von einer Heldentat entfernt ist ihre Wende ein Akt der Zweckmäßigkeit oder Feigheit oder beides. Die Zusammenarbeit von ihren Kollegen und Perspektiven für die Karriere-Förderung können davon abhängen, dass sie die „richtige“ Meinung haben. Von der jüdischen Gemeinde haben sie wenig zu fürchten, ihre Zugehörigkeiten war gewöhnlich schwach und ihr Wissen über sie schlecht. Und die Belohnung des Verrats kann gross sein – Beifall von Gleichaltrigen, ein Schuss in den Arm für eine mittelmässige Karriere, vielleicht ein oder zwei Bücher.

Aber Bigotterie war noch nie eine echte Form der Dissens. Es wäre weitaus grössere moralische Kraft erforderlich und weit „revolutionärer“, Einzelgänger den Kollegen zu sein und sich gegen den Hass, der die Anti-Israel-Bewegung antreibt, zu wenden, statt zu leugnen, dass der Hass existiert.

Getrieben von Fanatismus und dem Wunsch, Phantasien von Heldentum und Widerstand auszuleben, wird die Anti-Israel-Bewegung durch symbolische Handlungen definiert, die gar nichts ändern. Anhänger feiern, wenn pro-forma-antiisrael-Resolutionen durch gastliche Foren getrieben und Pop-Stars bis zum Verzicht auf Gigs in Tel Aviv eingeschüchtert werden. Wie das das Leben eines einzigen Palästinensers verbessert, wurde nie festgestellt. Als eine moderate Stimme in der palästinensischen Führung vor einigen Jahren in Form von PM Salam Fayyad auftauchte, einem Technokraten, der versteht, dass ein palästinensischer Staat erst gebaut werden muss, bevor er anerkannt werden kann, wurde er immer als „Handlanger“ und „Kollaborateur“ markiert und aus dem Amt gejagt.

Und so werden die legitimen Bestrebungen des palästinensischen Volkes unter den Fantasien, Wahnvorstellungen und dem eigennützigen Verhalten ihrer Möchtegern-Retter begraben. Unterdessen bleiben die Palästinenser Staatenlose, aufgetrennt und infantilisiert, in der Rolle der Opfer stehen bleibend, obwohl sie Akteure in einem Konflikt sind und es in ihrer Macht steht, ihn zu beheben.

Alex Ryvchin ist Public Affairs Direktor für den Exekutivrat des australischen Judentums.

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