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Verpasste Gelegenheit: Olmert, Abbas, und Medienvorurteile

Mark Lavie, 23.11.2015, Tablet Magazine

Im Jahr 2008 erfuhr ein langjähriger Reporter aus Jerusalem von einem israelischen Angebot, das einen Grossteil der Westbank und des Gazastreifens, inklusive einem Korridor zwischen beiden, den Palästinensern geben würde. Doch sein Knüller wurde abgeblockt.

Im September 2008 bot der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas eine Karte an, ein Vorschlag, der den Palästinensern 93,7 Prozent des Westjordanlandes geben würde, mit 5,8 Prozent israelischem Staatsgebiet zum Ausgleich, und einem Korridor zwischen Gaza und der Westbank für die fehlenden 0,5 Prozent. Olmert bestand darauf, dass Abbas die Karte paraphiere, bevor er sie entgegennehme. Es war klar, dass es sich um ein finales Angebot Israels handelte. Abbas lehnte ab. Er begegnete Olmert nie mehr.

Israel wollte diese gescheiterten Verhandlungen geheim halten. Die Palästinenser hatten hingegen andere Interessen, und so entdeckte ich das Angebot. Dies war meine News Story seit 2009. Damals wurde sie von den Medienvorurteilen gekillt. Heute wurde sie beinahe vom verkrüppelten Zustand der Medien in der Internet-Ära gekillt. Beinahe.

Im März 2009 wurde Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat auf Arabisch von Al-Dschasira interviewt. Als ich die MEMRI-Übersetzung sah, verstand ich sofort die Bedeutung: Erekat liess verlauten, dass Abbas ein Angebot abgelehnt hatte, das den Palästinensern einen Staat fast im gesamten Westjordanland gegeben hätte, dem gesamten Gaza sowie Teilen von Jerusalem. Dann entdeckte ich die Geschichte mit der Karte. Niemand sonst hatte diese Story.

Aufgeregt über diesen Scoopo rannte ich ins Büro meines Bürochefs bei der AP in Jerusalem. Stellen Sie sich meinen Schock vor, als mir gesagt wurde, dass das keine Story sei, und man mir verbot, darüber zu schreiben. Es konnte einfach keine legitime Geschichte sein, im Einklang mit der neuen Definition von Journalismus.

Der Beruf, in den ich in den 1960er Jahren eintrat, drehte sich nicht darum, jemandem zu helfen. Es ging um die Berichterstattung und Erläuterung der Nachrichten. Diese neue Definition des Journalismus erforderte offenbar, sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden. Dies wurde mir bereits im Jahre 1988 klar, zu Beginn der ersten Intifada, als ich eine Reporterin aus ihrem Auto springen sah, mitten in einem Aufruhr in Gaza, und sie die Palästinenser anschreien hörte, die Steine auf ihr Fahrzeug warfen: „Warum tut ihr das? Ich versuche doch, euch zu helfen!“ Wie die meisten westlichen Medienquellen wollte sie den Aufstand – die Palästinenser als Volk – als hilflose Opfer darstellen, um die Israelis als die grausamen Unterdrücker an den Pranger zu stellen. Geschichten, die nicht in diese Rahmenbedingungen passten, hatten es schwer, das Licht der Welt zu erblicken. Selbst ein Friedensangebot.

Deshalb, natürlich, trotz der Tatsache, dass Israel den Palästinensern zweial einen Staat angeboten hatte – 2000 und 2008 – sah die Welt Israel als die unnachgiebige Seite an. Über den Vorschlag von 2008 wurde in der Medienwelt kaum berichtet.

Diesen Monat strahlte Israels TV Channel 10 eine dreiteilige Reihe von Dokumentarfilmen aus über die gescheiterten Friedensbemühungen der Jahre 2000 und 2008. Der dritte Teil enthielt Interviews mit Olmert und Abbas. Darin räumte Abbas zum ersten Mal ein, was ich vor sechs Jahren schon wusste: Olmert bot ihm die Karte an und verlangte, dass er sie unterzeichnet. „Ich habe nicht zugestimmt“, sagte Abbas seinen Interviewer. „Ich wies sie einfach von der Hand.“ Er behauptete, dass er kein Experte für Karten sei. In der Tat ging er aber zurück in sein Büro und skizzierte die Karte aus dem Gedächtnis – ziemlich exakt.

Da war sie also, meine Story. Und wieder berichtete niemand darüber.

Ich verließ die AP Anfangs 2014, so dass jetzt, im Gegensatz zu 2009, frei war, unabhängig darüber zu schreiben. Ich schrieb einen Artikel, der rasch von jüdischen Medien abgeholt wurde, doch ich wollte, dass auch die allgemeinen Medien diese „Nachricht“ erhalten. Ich fand heraus, dass Top-AP Leute das Interview nicht kannten, weil sie nicht mehr genügend Personal haben, um einen alten Hasen als Senior Editor auf der Abendschicht zu haben. Der Zahn des Internet-Zeitalters wirkt offensichtlich in der gesamten Branche, und Kürzungen haben die Berichterstattung so sehr beeinträchtigt wie früher die Vorurteile.

Als ich meinen ehemaligen Kollegen die Bedeutung dessen erklärte, was Abbas gesagt hatte, war die AP einverstanden, dass es sich lohnte, darüber zu berichten. Die AP-Story lief einen ganzen Tag nachdem Abbas‘ Interview ausgestrahlt worden war. Von dort aus breitete sie sich aus.

Es ist eine vorübergehender Sieg – die Geschichte eines grosszügigen Friedensangebots Israels und Abbas‘ Ablehnung ist endlich da draussen und macht ein paar Wellen. Aber noch einmal, dies ist vorübergehend, da das zugrunde liegende Vorurteil, die Einrahmung des Konflikts in das starke, grausame Israel gegen die schwachen, schickanierten Palästinenser – sich nicht geändert hat.

Und so bleibt mir eine bittere Beobachtung: Wenn diese Nachricht heute Wellen schlägt, stellen Sie sich vor, was passiert wäre, wenn mir die Erlaubnis erteilt worden wäre, sie in Echtzeit zu berichten?

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