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Jeder zweite psychisch krank: grausame Realität in Sachen psychische Gesundheit in Marokko

Amira el Masaiti, 28.7.2017, Morocco World News

Ein geistig kranker Mann im dorf Bouya Omar, etwa 86 km östlich von Marrakesh, am 20. März 2014 (Foto Fadel Senna, AFP)

Rabat – Jeder zweite Marokkaner, oder erstaunliche 50 Prozent der Bevölkerung, hat geistige oder psychische Störungen, gemäss einem alarmierenden Bericht des Ministeriums für Gesundheit über den Anteil an Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen in Marokko.

Furchterregende Statistiken, schlimmere Bedingungen

Zusammen mit dieser alarmierenden Statistik leidet Marokko unter einem kritischen Mangel an Psychiatern und psychiatrischen Arbeitskräften im öffentlichen Sektor. Insgesamt gibt es nur 197 Psychiater im Land, was durchschnittlich 0,63 Psychiater pro 100.000 Einwohner entspricht, verglichen mit dem Weltdurchschnitt von 3,66 Psychiatern pro 100.000 Einwohner.

Die psychischen Gesundheitseinrichtungen in Marokko sind nicht mit ausreichender Infrastruktur und Humankapital ausgestattet, um die steigende Nachfrage nach Sorge für geistig oder psychisch Kranke zu erfüllen, so dass die Patienten Verzögerungen beim Zugang zur Behandlung erleben.

Casablanca, die bevölkerungsreichste Stadt Marokkos, hat nur drei Zentren, die sich auf psychische Gesundheit spezialisiert haben, das Krankenhaus von Ibnou Rochd und die beiden Gesundheitszentren von Tit Mellil und El Hank, wobei jede der drei Einrichtungen ihre Kapazitäten reduziert hat.

In einem Interview mit Marokko World News, sagte Hassan Kisra, Direktor des Errazi Psychiatriekrankenhauses in Salé, dass von den 100 Absolventen der medizinischen Bildungsinstituten Marokkos nur 30 bis 40 in der Branche beschäftigt sind. „Das ist nicht genug“, sagte er, mit sichtlicher Besorgnis im Gesicht.

„Es wird geschätzt, dass es in Städten wie Paris über 700 Psychiater gibt. In Marokko ist die Zahl der Psychiater weniger als 400. Der Sektor leidet unter einem enormen Mangel und extremer Stigmatisierung“, sagte Ksira.

Steigende Nachfrage, beschränke Bettenzahl

Die Situation ist schlimm, so der Direktor. „Wir nehmen jährlich rund fünf Millionen Patienten auf, die aus ganz Marokko herbeiströmen. Wir haben eine Warteliste für Menschen, die nicht sofort ins Krankenhaus eingeliefert werden können, weil die Bettenkapazität begrenzt ist.“

In einem von der Weltgesundheitsorganisation veröffentlichten Bericht von 2017, der auf der Berechnung der kombinierten Zahl von Jahren, die depressive Personen mit psychischen Störungen leben, beruht, fand die WHO heraus, dass die Jahre mit Behinderung („Years lived with disability“, YLD) in Marokko 265.318 oder 7,4 Prozent der gesamten Depressionsfälle beträgt. Bei Angst-Patienten betrug die YLD-Zahl 135.833, oder 3,8 Prozent der Gesamtzahl der Angstfälle Marokkos.

Im Vergleich zum Bericht der WHO von 2005 stiegen in Marokko die Depressionen um 18,4 Prozent. Die Angstfälle stiegen um 14,9 Prozent während der 10-jährigen Periode.

der Psychiater Dr Mohamed El Baroudi malte ein kräftiges Bild von der Wirklichkeit der psychischen Gesundheit in Marokko aus seiner Erfahrung in diesem Arbeitsfeld.

Gefragt nach den Gründen des Anstiegs der Nachfrage nach Behandlungen psychischer Gesundheit sagte El Baroudi, dass die Gründe variieren von den Belastungen des modernen Lebens zu Kindheits-Traumata, je nach der Natur der Erkrankungen, ob mentaler oder psychologischer Art.

Der Direktor des Errazi Krankenhauses deutete an, dass die meisten wiederkehrenden Fälle Kinder sind, die unter Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Schizophrenie, bipolarer Störung, Depression, Angst und verschiedenen Phobien leiden. El Baroudi fügte hinzu, dass er eine wachsende Zahl von Fällen von Pädophilie sieht.

„Jeden Tag bekomme ich im Souissi Kinderkrankenhaus in Rabat etwa fünf Kinder eingeliefert, die Opfer von Pädophilie sind. Das Problem breitet sich erschreckend aus“, sagte der Psychiater.

Unerfüllte Versprechen 

Das Gesundheitsministerium unternimmt keine ausreichenden oder konsequenten Anstrengungen, um die erheblichen Lücken in der psychiatrischen Versorgung zu füllen, sagte El Baroudi, der sich auf die Schließung des Bouya Omar Mausoleums in El Kelaa des Sraghna vom Juli 2015 bezieht.

Die Patienten in dieser „psychiatrischen Anstalt“ wurden in miserablen Zuständen gehalten, angekettet und mit Handschellen an die Wand gefesselt und sie teilten einen Raum mit vier anderen Patienten gleichzeitig.

Das Gesundheitsministerium führte eine Mission durch, um alle Patienten aus der Anlage zu evakuieren und versprach, sie durch eine moderne Institution zu ersetzen. Dieses Versprechen ist jedoch noch nicht erfüllt.

El Baroudi anerkannte die Bemühungen des Ministeriums, die Situation Schließung der Anlage zu adressieren, die die höchsten Höhen menschlicher Grausamkeit und Misshandlung verkörperte hatte. Doch er sagt, das sei nicht genug. „Was jetzt?“, fragte er. „Wo werden diese Patienten hospitalisiert, wenn es nicht genügend Einrichtungen gibt, um sie zu beherbergen?“

Der Ministeriumsbericht besagte, die neue Anstalt werde „bald gebaut“ werden.

Eine nationale Delegation wird verantwortlich sein für die Präsentation von Politiken, Strategien und Berichte über den Zustand der psychischen Gesundheit in Marokko an das Ministerium.

In der Zwischenzeit wird eine regionale Delegation etabliert, die Feedback von Patienten einholen und ihre Gesundheit und vorliegende Jahresberichte über die Fortschritte der Reformen des psychiatrischen Gesundheitssystem im Land überwachen soll.

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