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Berlin: Hauptstadt des europäischen Antisemitismus

Manfred Gerstenfeld, 3.10.2019, BESAcenter.org
aus dem Englischen von Daniel Heiniger

Antisemitische, pro-palästinensische Demonstration in Berlin, 17. Juli 2014, Foto von Boris Niehaus über Wikipedia

Berlin hat Malmö als Europas Hauptstadt des Antisemitismus übertroffen, mit einer Vielzahl von antijüdischen und antiisraelischen öffentlich zur Schau gestellten Positionen. Dazu gehören Dutzende von Fällen von körperlicher Gewalt gegen Juden, einschließlich gegen Rabbiner. Jüdische Schüler mussten öffentliche Schulen verlassen. 35 Prozent der Berliner betrachten Israelis als analog zu den Nazis. Jährlich findet ein Al-Quds-Tag-Marsch statt, der zur Zerstörung Israels aufruft. Sowohl die Gemeinde als auch die Bundesregierung sind doppelzüngig, was das Problem des Antisemitismus angeht.

Malmö, Schwedens drittgrößte Stadt, wurde von Experten jahrelang als die Hauptstadt des Antisemitismus in Europa angesehen. Dort kam es regelmäßig zu Vorfällen antijüdischen Hasses. Bürgermeister Ilmar Reepalu, ein ehemaliger Sozialist, war ein Antisemit. Eine Bombe wurde in eine örtliche Synagoge geworfen. Beschwerden von Juden wurden von den Richtern ignoriert. Das Simon Wiesenthal Center (SWC) hat eine Reisewarnung bezüglich der Stadt herausgegeben.

Der Antisemitismus in Malmö hat sich nicht wesentlich abgeschwächt, aber schon ein oberflächlicher Blick auf das Ausmaß des klassischen Antisemitismus und Anti-Israelismus in Berlin zeigt, dass er Malmö weit übertrifft. Antisemitismus hat in der deutschen Hauptstadt so viele Facetten, dass jede Zusammenfassung unvollständig bleibt.

Berlin ist mit 3,5 Millionen Einwohnern eine viel größere Stadt als Malmö, dessen Einwohnerzahl unter 350.000 liegt. In Berlin leben 40.000 jüdische Bürger, in Malmö etwa 500. Ein Bericht des Berliner Forschungs- und Informationszentrums für Antisemitismus (RIAS) verzeichnete 2018 1.083 antisemitische Vorfälle im Vergleich zu 951 im Jahr 2017. Dies ist nur ein Bruchteil der Gesamtzahl, da viele Vorfälle nicht gemeldet werden.

Ein viel beachteter Fall unter vielen ereignete sich im Juli 2019, als der Berliner Rabbi Yehuda Teichtal auf dem Heimweg mit seinem Sohn aus der Synagoge von arabisch Sprechenden bespuckt und beleidigt wurde. Im August wurde Rabbi Jan Aaron Hammel aggressiv geschubst, bespuckt und auf Arabisch verbal beleidigt. Der Angriff brachte ihn ins Krankenhaus, und danach musste er an Krücken gehen.

Im Jahr 2012 wurde Rabbi Daniel Alter auf einer Berliner Straße von vier arabisch anmutenden Jugendlichen in Anwesenheit seiner siebenjährigen Tochter schwer geschlagen. Der im Mai 2019 ernannte Berliner Antisemitismuskommissar Lorenz Korgel warnte davor, dass Juden, die in der Öffentlichkeit eine Kippa tragen, häufige Angriffe erleiden könnten.

Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlins, sagte, ein Drittel der Schüler des Jüdischen Gymnasiums Berlin sei an nichtjüdischen öffentlichen Schulen belästigt worden. „Im Jahr 2019 ist unsere High School voll von jüdischen Flüchtlingen“, sagte er. Die mutmaßlichen Täter sind oft Kinder muslimischer Einwanderer.

Der bekannteste Fall eines solchen Antisemitismuszwischenfalls trat 2017 an einer öffentlichen Schule auf. Es handelte sich um einen jüdischen Jungen, dessen Vorname in den Medien in Oscar Michalski geändert wurde. Seine Peiniger waren Schüler arabischer und türkischer Abstammung. Ein älterer Schüler schoss mit einer realistisch aussehenden Waffe auf das Kind und würgte es bis zur Bewusstlosigkeit.

Im August 2019 wurden auf einem großen jüdischen Friedhof Gräber von im Ersten Weltkrieg getöteten jüdischen Soldaten entstellt. Im selben Monat erhielt eine Berliner Jüdin einen Brief mit Asche.

Am 25. September 2019 fand am Brandenburger Tor eine pro-palästinensische Demonstration statt. Nur wenige Stunden zuvor hatte der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) die Teilnahme der beiden Rapper Shadi al-Bourini und Shadi al-Najja verboten, von denen eines die Zeilen enthält: „Brennt Tel Aviv nieder, wir wollen Tel Aviv niederbrennen“ und, was Juden betrifft: „Ich will dich unter meinen Füßen zertrampeln.“

Bei einer Berliner Demonstration im Jahr 2017 wurden Plakate getragen, die die Zerstörung Israels forderten, und eine israelische Flagge wurde in Brand gesteckt, ein Vorfall, der internationale Aufmerksamkeit erregte.

Dies sind nur einige Beispiele für die bisher schwersten Vorfälle. Die offizielle – umstrittene – Bewertung, die von RIAS unterstützt wird, lautet, dass die Haupttäter antisemitischer Vorfälle in Berlin Deutsche sind und nicht aus der 300.000 großen muslimischen Gemeinschaft kommen. RIAS fügt jedoch hinzu, dass 49% der Täter „unbekannt“ sind. Geisel (SPD) hat versprochen, die Motive für antisemitische Delikte besser zu hinterfragen: „Es ist offensichtlich ungerechtfertigt, jedem dieser ungelösten Verbrechen ein Motiv des Rechtsextremismus zuzuschreiben.“

Antisemitische Vorfälle sind nur ein Teil des Berliner Antisemitismus. Im Jahr 2019 erschien der erste Berlin Monitor, der Einblicke in die Ansichten der Stadtbewohner zu wichtigen Themen gibt. Der Monitor stellte fest, dass der israelbezogene Antisemitismus in Berlin floriert. 28 Prozent der Einwohner ohne Migrationshintergrund betrachten die Gründung Israels als schlechte Idee und 35% sehen das Verhalten der Israelis als vergleichbar mit dem der Nazis unter Hitler. Von den Berlinern mit Migrationshintergrund stimmen bis zu 55 % diesen Aussagen zu.

In dieser Atmosphäre, in der der Hass auf Israel weit verbreitet ist, wurde das Jüdische Museum in Berlin im Laufe der Jahre für eine Reihe von anti-israelischen Programmen scharf kritisiert. Letztendlich führten sie zum Rücktritt von Direktor Professor Peter Schäfer im Juni 2019. Obwohl er ein renommierter Wissenschaftler ist, fehlten ihm offensichtlich die Managementkapazitäten, um mehrere Skandale zu verhindern.

Die 1971 gegründete Fachhochschule Berlin wurde 2009 nach Christian Peter Wilhelm Beuth (1781-1853), einem preußischen Staatsmann und virulenten Antisemiten, umbenannt. Er forderte den Mord an Juden und propagierte unter anderem Anschuldigungen wegen Blutverleumdung.

Der Marsch zum Al-Quds-Tag, der zur Zerstörung Israels aufruft, ist eine jährliche Veranstaltung in Berlin. Es gibt auch eine Moschee von Hisbollah-Sympathisanten. Die Bundesregierung weigert sich, lokale Niederlassungen dieser genozidalen terroristischen Organisation zu verbieten.

Ein weiteres Thema ist die Haltung der lokalen Regierung. Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat es abgelehnt, sich öffentlich gegen hochkarätige Anti-Israel-Veranstaltungen in Berlin zu wenden. Er geriet in diesem Sommer erneut in die Kritik, als er den Bürgermeister von Teheran empfing. Die Berliner Staatssekretärin Sawan Chebli (SPD) ist Initiatorin des Arbeitskreises des Berliner Senats zur Bekämpfung des Antisemitismus, doch im Juni 2019 teilte sie sich das Podium mit einem jüdischen Pro-BDS-Anhänger bei einer Veranstaltung in Berlin.

Schließlich gibt es noch die doppelzüngige Haltung der in Berlin angesiedelten deutschen Regierung. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) besuchte Rabbi Teichtal nach dem Angriff auf ihn, gratulierte aber auch der iranischen Regierung, die offen vom Völkermord an Israel spricht. Die Christdemokratin Angela Merkel tritt regelmäßig gegen Antisemitismus ein – doch ihre Asylpolitik hat Hunderttausende von Antisemiten aus muslimischen Ländern nach Deutschland gebracht. Sie hat auch ihre Solidarität mit den antisemitischen Mitgliedern des amerikanischen Kongresses der Demokraten Ilhan Omar und Rashida Tlaib bekundet.

Außenminister Heiko Maas (SPD) nahm an einem Solidaritätsgebetsgottesdienst mit Rabbi Teichtal in einer Synagoge in Berlin teil, aber Deutschland unterstützt in seiner Autorität eine Vielzahl von Anti-Israel-Resolutionen in der UNO-Generalversammlung. Der anti-israelische Stellvertretende Aussenminister Niels Annen (SPD) stattete der iranischen Botschaft in Berlin einen Glückwunschbesuch ab, um den 40. Jahrestag der Revolution zu feiern.

In Berlin sind drei Antisemitismusbeauftragte aktiv. Es gibt detaillierte Pläne zur Bekämpfung des Antisemitismus. Doch solange auf den höchsten Ebenen in der Kommune und der Regierung Doppelzüngigkeit vorherrscht, kann man sich nur fragen, welche Perspektiven der Kampf gegen den Berliner und deutschen Antisemitismus entweder in seiner klassischen oder in seiner antiisraelischen Form hat.

BESA Center Perspektivenpapier Nr. 1.305, 3. Oktober, 2019 (PDF)

Dr. Manfred Gerstenfeld ist Senior Research Associate am BESA Center und ehemaliger Vorsitzender des Steering Committee des Jerusalem Center for Public Affairs. Er ist spezialisiert auf israelisch-westeuropäische Beziehungen, Antisemitismus und Antizionismus und Autor von The War of a Million Cuts.

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