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Gehängte iranische Frau hinterlässt eine herzerweichende letzte Botschaft

Daniel Politi, Slate, 26.10.2014

Ein Bild, aufgenommen am 8. Juli 2007, zeigt die Iranerin Reyhaneh Jabbari, wie sie in Handschellen neben dem Polizeihauptquartier in Teheran steht, nachdem sie verhaftet wurde wegen des Mordes an einem ehemaligen Geheimdienstoffizier.

Die 26-jährige iranische Frau, die am Samstag exekutiert wurde für den Mord an einem Mannes, von dem sie sagte, er hätte sie zu vergewaltigen versucht, schickt eine letzte Botschaft an ihre Mutter, in der sie sie bittet, ihre Organe zu spenden. Reyhaneh Jabbari ist grösstenteils ruhig in jener Sprachnachricht, die sie für ihre Mutter im April aufgezeichnet hat; darin scheint sie ihrem Schicksal gegenüber resigniert zu haben, nachdem sie über fünf Jahre lang in Todeshaft sitzt. Iranische Aktivisten haben eine Übersetzung der Nachricht verteilt und bezeichnen sie als Jabbari’s letztem Willen.

Jabbari ist dafür verurteilt worden, einen ehemaligen Geheimdienstoffizier getötet zu haben, der sie gerufen hatte unter der Angabe, er brauche ihren Ratschlag in Sachen Innenausstattung. Dann hat er sie angeblich zu vergewaltigen versucht, und sie stach ihn mit einem Taschenmesser nieder, obwohl sie leugnet, ihn ermordet zu haben. In ihrer letzten Nachricht sagt sie, dass ihr Schicksal ohnehin der Tod gewesen sei.

In jener ominösen Nacht hätte ich getötet werden sollen. Mein Körper wäre dann in irgend eine Ecke der Stadt geworfen worden, und nach ein paar Tagen hätte ihn die Polizei in die Gerichtsmedizin gebracht, wo man meinen Körper identifiziert hätte und auch festgestellt hätte, dass ich auch noch vergewaltigt worden bin. Den Mörder hätte man nie gefunden, da wir nicht seinen Wohlstand und seine Macht haben. Dann hättest du dein Leben in Leiden und Schande weitergeführt, und ein paar Jahre später wärest du an diesem Leiden gestorben und das wäre es dann gewesen.

Jedoch hat sich mit jenem verfluchten Stich die Geschichte verändert. Mein Körper ist nicht beiseite geworfen worden, sondern in das Grab des Evin-Gefängnisses und seinen einsamen Wachen, und nun in das grabesmässige Gefängnis Shahr-e Ray. Doch, gib dich dem Schicksal hin und klage nicht. Du weisst besser, dass der Tod nicht das Ende des Lebens ist.

Jabbari bittet dann ihre Mutter um einen letzten Gefallen: „Noch einmal musst du wegen mir leiden. Es ist das einzige, dass, selbst wenn du darum bettelst, so würde ich nicht wütend werden deswegen, obwohl ich dir viele Male gesagt habe, du sollst betteln darum, dass ich nicht exekutiert werde.“ Sie wollte nicht, dass ihre Organe verschwendet würden:

Ich will nicht in der Erde verrotten. Ich will nicht, dass mein Auge oder mein junges Herzen zu Staub werden. Bitte darum, dass es so eingerichtet wird, dass, sobald ich gehängt werde, dass dann mein Herz, meine Leber, Augen, Knochen und alles was transplantiert werden kann aus meinem Körper entfernt wird und jemandem gegeben wird, der es als Geschenk braucht. Ich will nicht, dass der Empfänger meinen Namen kennt, kauf mir einen Blumenstrauss, oder bete sogar für mich.

Hier der Text der Botschaft in vollem Wortlaut:

Liebste Sholeh, heute habe ich gelernt, dass es nun an mir ist, Quisas (dem Rachegesetz des iranischen Regimes) ins Gesicht zu sehen. Ich bin verletzt darüber, dass du mich nicht selber hast wissen lassen, dass ich vor der letzten Seite des Buches meines Lebens stehe. Denkst du nicht, dass ich es wissen sollte? Du weisst genau, wie beschämt ich darüber bin, dass du so traurig bist. Warum hast du mir nicht die Chance gegeben, deine Hand zu küssen und die von Papa? Die Welt hat mir erlaubt, 19 Jahre lang zu leben. In jener ominösen Nacht hätte ich getötet werden sollen. Mein Körper wäre dann in irgend eine Ecke der Stadt geworfen worden, und nach ein paar Tagen hätte ihn die Polizei in die Gerichtsmedizin gebracht, wo man meinen Körper identifiziert hätte und auch festgestellt hätte, dass ich auch noch vergewaltigt worden bin. Den Mörder hätte man nie gefunden, da wir nicht seinen Wohlstand und seine Macht haben. Dann hättest du dein Leben in Leiden und Schande weitergeführt, und ein paar Jahre später wärest du an diesem Leiden gestorben und das wäre es dann gewesen.

Jedoch hat sich mit jenem verfluchten Stich die Geschichte verändert. Mein Körper ist nicht beiseite geworfen worden, sondern in das Grab des Evin-Gefängnisses und seinen einsamen Wachen, und nun in das grabesmässige Gefängnis Shahr-e Ray. Doch, gib dich dem Schicksal hin und klage nicht. Du weisst besser, dass der Tod nicht das Ende des Lebens ist.

Du hast mich gelehrt, dass man in diese Welt kommt, um an Erfahrung reicher zu werden und eine Lektion zu lernen, und mit jeder Geburt wird eine Verantwortung auf die eigenen Schultern geladen. Ich habe gelernt, dass man manchmal kämpfen muss. Ich erinnere mich genau, wie du mir erzählt hast, wie der Wagenführer protestierte gegen den Mann, der mich gezüchtigt hat, doch der Züchtigende hieb ihm mit der Peitsche auf Kopf und Gesicht und hat letztlich seinen Tod herbeigeführt. Du hast mir erzählt, dass man, um Werte zu schaffen, durchhalten muss, selbst wenn man stirbt.

Du hast uns beigebracht, dass, während wir zur Schule gehen, wir eine Lady sein sollen im Angesicht des Streits und der Klagen. Erinnerst du dich daran, wie sehr du unser Verhalten unterstrichen hast? Deine Erfahrung war nicht korrekt. Als dieses Ereignis passierte haben mir meine Lektionen nicht geholfen. Vor Gericht präsentiert zu werden, liess mich wie eine kaltblütige Mörderin und rücksichtslose Kriminelle erscheinen. Ich habe keine Tränen vergossen. Ich habe nicht gebettelt. Ich habe mir nicht den Kopf vom Hals geweint, weil ich dem Gesetz vertraut habe.

Doch ich wurde angeklagt, gleichgültig zu sein vor einem Verbrechen. Siehst du, ich habe nicht mal die Fliegen getötet und ich habe die Schaben weggeworfen, indem ich sie an ihren Antennen aufnahm. Und jetzt bin ich zur vorsätzlichen Mörderin geworden. Mein Umgang mit den Tieren wurde interpretiert als ein-Junge-sein-wollen und der Richter hat sich nicht die Mühe gemacht, die Tatsache anzuschauen, dass ich zum Zeitpunkt des Verbrechens lange und tadellos gefeilte Nägel hatte.

Wie optimistisch war er, der Gerechtigkeit von den Richtern erwartete! Er hat nie die Tatsache hinterfragt, dass meine Hände nicht Rauh wie die einer Sportsfrau, besonders einer Boxerin, waren. Und dieses Land, zu dem du so viel Liebe mir eingepflanzt hast, hat mich nie gewollt und keiner hat mich unterstützt, als ich unter den Schlägen des Vernehmungsbeamten weinte und die vulgärsten Wörter mir anhören musste. Als ich das letzte Zeichen meiner Schönheit von mir warf und meine Haare abrasierte, da wurde ich belohnt: Mit 11 Tagen Einzelhaft.

Liebste Sholeh, weine nicht um das, was du hörst. Am ersten Tag in der Polizeidienststelle hat mir ein alter, unverheirateter Agent weh getan um meiner Nägel willen; ich verstehe, dass Schönheit an diesem Ort nicht gesucht wird. Die Schönheit des Aussehens, die Schönheit von Gedanken und Wünschen, die Schönheit der Handschrift, die Schönheit der Augen und des Blickes, ja selbst die Schönheit einer angenehmen Stimme.

Meine liebe Mutter, meine Ideologie hat sich geändert und du bist nicht dafür verantwortlich. Meine Worte hören nicht auf und ich habe sie alle jemandem gegeben, damit, wenn ich exekutiert werden ohne deine Anwesenheit und ohne dein Wissen, dass sie dir gegeben werden. Ich habe dir viel handschriftliches Material als meine Erbschaft hinterlassen.

Jedoch, vor meinem Tod will ich etwas von dir, dass du für mich sorgen sollst mit allem was du hast, und auf jede Weise, die dir möglich ist. In der Tat ist dies das einzige, was ich will von dieser Welt, diesem Land, und von dir. Ich weiss, dass du dafür Zeit brauchst. Deshalb teile ich dir Teile meines Willens schon früher mit. Bitte weine nicht, sondern höre mir zu. Ich will, dass du zum Gericht gehst und ihnen meine Bitte mitteilst. Ich kann einen solchen Brief nicht aus dem Gefängnis schreiben, er würde vom Gefängnisleiter nicht genehmigt; deshalb musst du noch einmal leiden wegen mir. Es ist das einzige, dass, selbst wenn du darum bettelst, so würde ich nicht wütend werden deswegen, obwohl ich dir viele Male gesagt habe, du sollst nicht darum betteln, mich vor der Exekution zu bewahren.

Meine liebe Mutter, liebste Sholeh, die eine, die mir mehr bedeutet, als mein Leben. Ich will nicht in der Erde verrotten. Ich will nicht, dass mein Auge oder mein junges Herzen zu Staub werden. Bitte darum, dass es so eingerichtet wird, dass, sobald ich gehängt werde, dass dann mein Herz, meine Leber, Augen, Knochen und alles was transplantiert werden kann aus meinem Körper entfernt wird und jemandem gegeben wird, der es als Geschenk braucht. Ich will nicht, dass der Empfänger meinen Namen kennt, mir einen Blumenstrauss kauft, oder gar für mich betet. Ich sage dir aus dem Grunde meines Herzens, dass ich kein Grab für mich will, wo du herkommen kannst, um zu leiden und zu trauern. Ich will nicht, dass du schwarze Kleidung trägst für mich. Mach dein bestes, um meine schwierigen Tage zu vergessen. Gib mich dem Wind, um mich hinwegzutragen.

Die Welt hat uns nicht geliebt. Sie wollte mein Schicksal nicht. Und jetzt gebe ich nach und umarme den Tod. Weil vor dem Gericht Gottes werde ich die Kommissare anklagen, ich werde Kommissar Shamlou anklagen, ich werden den Richter anklagen, und die Richter des obersten Gerichtshofes dieses Landes, die mich zusammengschlagen haben, als ich wach war und die nicht davor zurückgeschreckt sind, mich zu belästigen. Im Gericht des Schöpfers werde ich Dr. Farvandi anklagen, ich werde Qassem Shabani anklagen und all jene, die aus Ignoranz oder aus ihren Lügen heraus mich ins Unrecht versetzt haben, meine Rechte mit Füssen traten und der Tatsache keine Beachtung schenkten, dass manchmal etwas, das wie die Realität aussieht, keine ist.

Liebe sanftmütige Sholeh, in der anderen Welt werden du und ich die Ankläger sein und die anderen die Angeklagten. Dann werden wir sehen, was Gott will. Ich wollte dich umarmen bis ich sterbe. Ich liebe dich.

Reyhaneh

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