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Malala Yousafzai und das Versagen der muslimischen Moderaten

Aboud Dandachi, 31.8.2014, Diplomacy Post

Vor einem Jahr, im September 2013, eröffnete die pakistanische Teenager-Bildungsaktivistin Malala Yousefzai eine 188-Millionen-Pfund-Bibliothek in der britischen Stadt Birmingham.

Nachdem sie die vorherigen 11 Monate in Rekonvaleszenz verbrachte, von einem Schuss in den Kopf, der ihr von pakistanischen Taliban-Terroristen als Vergeltung für ihren Aktivismus zugefügt worden war, wurde Malala das geehrteste Teenager-Mädchen seit Anne Frank. Ehrungen aus drei Kontinenten wurden ihr verliehen, ebenso wie zahlreiche Medienpreise und Auszeichnungen.

Um die Zeit ihres 16. Geburtstags, ein Tag, dessen die UNO als „Malala Day“ gedachte, kam es dazu, dass Malala den Kampf gegen militante islamische Extremismus symbolisiert.

Ein Kampf, den ihr Heimatland Pakistan und ein Grossteil der islamischen Welt heute deutlich verloren hat, oder den zu verlieren sie sich in einem fortgeschrittenen Stadium befinden. Während Malalas Mut und Entschlossenheit ausser Zweifel stehen, ist die düstere Realität, dass all ihr Aktivismus und ihre Auszeichnungen im Ausland, ihre Arbeit so gut wie nichts ereichen konnte, um die Flugbahn und die Dynamik der Taliban in ihrer Heimat herausfordern.

Traurigerweise verkörpert Malala den düsteren Zustand der zahlreichen muslimischen Aktivisten, von denen zu viele schliesslich tot enden oder im Westen um Asyl bitten. Prominente muslimische Aktivisten setzen am Ende ihre Arbeit aus genau jenen Gesellschaften heraus fort, die keine der Probleme oder Themenbereiche haben, die die Aktivisten zu beheben versuchen.

Muslimischen Gemeinden selbst, genau jene Orte, an denen die Bemühungen der Reformer am meisten benötigt werden, sind erschreckend unfähig, den Schutz und Raum sicherzustellen, die für reformerische Aktivitäten angesichts des religiösen Extremismus notwendig sind. Die persönliche Tapferkeit isolierter Individuen zählt wenig, wenn die Gesellschaft im Allgemeinen zu eingeschüchtert oder unterdrückt ist, gegen die Extremisten aufzustehen.

Angesichts des Anstiegs der wilden extremistischen Gruppen wie ISIS, Boko Haram und mit Al-Kaida verbundenen Gruppen, hat sich die Welt auf die „moderate muslimische Mehrheit“ gewartet, um sich zu behaupten. Und doch haben bisher die meisten muslimischen Gesellschaften sich als völlig unfähig erwiesen, um ihre eigenen Sozialreformer und Aktivisten herum Proteste aufzubauen.

Eine Multi-Millionen-Pfund-Bibliothek in Birmingham? Es wäre besser, wäre der pakistanische Staat stark genug gewesen, um Malala ermöglichen, eine bescheidene tausend Pfund Bibliothek in ihrer Heimatstadt Mingora zu eröffnen.

 

Als Rosa Parks im Jahre 1955 sich berühmterweise weigerte, ihren Sitzplatz im Bus für einen weissen Mann aufzugeben, wurde sie für ihre Missachtung verhaftet. Aber Parks hatte eine Bürgerrechtsbewegung neben sich, die bereit war, sich ihrer Sache anzunehmen. Die NAACP organisierte einen Boykott der Busse der Stadt, und die Frage der Rassentrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln ging schliesslich den ganzen Weg bis zum obersten Gericht der Vereinigten Staaten.

Ebenso hat der Reverend Martin Luther King Jr. oft sein eigenes Leben riskiert, um persönlich seinen Aktivismus in den tiefen Süden zu tagen, in das Herz der Gemeinden, die der Aufhebung der Rassentrennung und dem Begriff der Bürgerrechte am feindseligsten gegenüberstanden. Mahatma Ghandi ging auf Augendistanz mit Soldaten des britischen Empire und seiner Institutionen in Indien.

Im Gegensatz dazu konnte Pakistan Malala nicht schnell genug loswerden. Ihr Leben von britischen Ärzten in einem britischen Krankenhaus gerettet, fand sich Malala in ihrer Heimat oft geschmäht. Statt aufzustehen gegen die Barbarei der Taliban, entschieden sich viele Pakistanis, absurden Verschwörungstheorien und Vorwürfen gegen das Teenager-Mädchen zu frönen, ein „Spielball des Westens“, „westlicher Spion“, „westliches Medien-Spielzeug“ zu sein.

Und doch ist die traurige Tatsache die, dass nur im Westen Malala den Schutz und die Umgebung hat, die erforderlich sind, damit sie ihre Lobbyarbeit fortsetzen kann. Kein arabisches oder muslimisches Land hat den roten Teppich für das Teenager-Mädchen aus dem Swat-Distrikt ausgebreitet. Anders als bei Rosa Parks hat sich die Malala-Gemeinde nicht um sie herum versammelt. Selbst ihre Autobiografie wurde in ihrer Heimat verboten.

Kings „I have a dream“-Rede wurden von Märschen und Demonstrationen in die Herzen des rassengetrennten Südens begleitet. Malala könnte hundert Reden bei den Vereinten Nationen halten, was ihr viel Lob im Westen sichern würde, die abe den Taliban keinerlei Sorgen machen werden.

Der Angriff auf Malala war genauso ein Angriff auf den Staat, wie es ein Versuch war, eine Aktivistin zum Schweigen zu bringen. Und doch, wie so viele andere muslimische Länder, brach der pakistanische Staat ein.

Brutalität, wie etwa in der Art der Taliban, sollte nicht unbeantwortet bleiben. Statt eine Armeeabteilung abzustellen, um sicherzustellen, dass Malala keinen Schultag verpasst, statt die Taliban herauszufordern, ihr Leben zu gefährden, bei gleichzeitigem Personenschutz mit der geballten Macht des Staates, statt Malala zum Symbol des Widerstandes zu machen wie es Rosa Parks 57 Jahre vor ihr geschehen war … hat Pakistan sie stattdessen nach Grossbritannien geschickt, damit sie nie mehr zurückzukehre. Und ihr Buch verboten.

Das ist eine Lektion, die Malalas nächste Schulkameraden bestimmt nicht verpasst haben. Wer bei klarem Verstand könnte sich inspirieren lassen von der Tatsache, dass Malala nur im Westen in der Lage war, ihre Ausbildung fortzusetzen.

Als syrische Aktivist, der sein eigenes Land Ende 2013 verlassen hat, habe ich keine Illusionen über die Grenzen meiner eigenen Wirksamkeit, während ich ausserhalb von Syrien bin. Nur weil Bashar Assad keinen Bart zur Schau trägt, macht ihn das nicht minder zu einem Extemisten wie die schlimmsten Al-Qaida- oder Taliban-Fanatiker, und die letzten paar Jahre waren eine starke persönliche Lektion bezüglich der Bedeutung sicherer Häfen.

Die Menschen brauchen sichere Häfen, innerhalb derer sie arbeiten können. ISIS bekam einen sicheren Hafen in Raqqa und machte sich von da aus auf, den Osten von Syrien und den Nordirak zu erobern. Die syrische Opposition versuchte, einen in Aleppo aufzubauen, und die Stadt wurde durch das syrische Regime mit Fassbomben bombardiert und von seinen damaligen ISIS-Verbündeten angegriffen. Malala Yousefzai hat einen sicheren Hafen im Westen, und kann ihre Arbeit nach einer Mode weiterfühen.

Wenn nur der pakistanische Staat stark genug wäre, um ihr und ihren gleichgesinnten Aktivisten einen sicheren Hafen in ihrem eigenen Land bieten zu können, egal wie bescheiden.

Malala Geschichte ist die Geschichte von viel zu vielen muslimischen Aktivisten. Gemässigte Muslime könnten sehr wohl die Mehrheit der Muslime weltweit sein, doch Mässigung, die eingeschüchtert und zum Schweigen gebracht wird, zählt in der Praxis wenig. Die Welt wartet noch darauf, den Einfluss der moderaten Muslime oder den Nachweis ihrer Fähigkeit und Bereitschaft, auf die extremeren Elemente in muslimischen Gesellschaften Einfluss zu nehmen, zu sehen.

Die Welt muss sich mit den sehr realen Auswirkungen des islamistischen Extremismus auseinandersetzen, sie kann nicht ewig darauf warten, dass sich die „schweigende moderate Mehrheit“ durchzusetzen beginnt. Kanada verlieh Malala die Ehrenbürgerschaft, und doch bringt es der muslimische Bürgermeister einer der grossen Städte Kanadas nicht über sich, den krassen Antisemitismus auf den Strassen seiner Stadt zu verurteilen.

Eines Tages wird Malala zweifellos den Friedensnobelpreis für ihre Arbeit gewinnen. Sie wird ihn sich gut verdient haben. Aber während sie weltweit aufwändig gefeiert wird, hat sie ihre eigene Gesellschaft im Stich gelassen. Das Versagen von Pakistan und der islamischen Welt, die Malalas unter ihnen zu unterstützen, hat Aktivisten wie Malala in der Praxis wirkungslos gemacht.

Heute sind ISIS und die Taliban unendlich näher an der Verwirklichung ihrer Ambitionen von streng islamischen Gesellschaften auf der Erde, als Malala bei der Realisierung ihres einfachen Traums von gleicher Bildung für alle ist.

In ihrer Rede zum Gedenken an die Eröffnung der Bibliothek in Birmingham erklärte Malala, dass „Schreibstifte und Bücher die Waffen sind, die den Terrorismus besiegen werden.“ Leider aber nur, wenn die Bücher nicht im eigenen Land verboten werden. Malala wird eine Inspiration sein für viele Schulkinder in Birmingham, einer Stadt, die wohl auf de ganzen Welt am wenigsten Bedarf für solche Inspiration hat.

Doch die Barbarei der religiösen Extremisten und die Scheu der muslimischen Gesellschaften, die sie erfolgreich eingeschüchtert haben, werden dafür sorgen, dass die Botschaft Malalas wirkungslos verpuffen wird in den Städten und Dörfern, wo es am nötigsten ist.


Aboud Dandachi

Aboud Dandachi ist ein Syrischer Aktivist, der aktuell in Istanbul lebt. Er ist der Autor des Blogs „From Homs to Istanbul

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