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Die Dissidentin: Ayaan Hirsi Ali über ihre kontroversen Ansichten zum Islam

Isabel Evans, 27.10.2015, Broadly

Seit sie anfing, extreme Kritik am Islam zu äussern, hat Ayaan Hirsi Ali Todesdrohungen und heftige Kritik von anderen Feministinnen auf sich gezogen. Dennoch hat sie nicht die Absicht, nachzugeben.


Wenn ich Ayaan Hirsi Ali frage, was sie gerne zum Spass macht, muss sie eine Pause machen. Es ist nicht, dass sie keine Antwort weiss – sie liebt das Tanzen – sondern sie macht sich Sorgen, da die Frage persönlich ist, ob etwas an ihrer scheinbar harmlosen Antwort ihre Sicherheit gefährden könnte.

Das ist ein berechtigtes Anliegen. Seit sie anfing, extreme Kritik am Islam zu äussern, sah sich Hirsi Ali mit Morddrohungen konfrontiert. Die expliziteste 2004 nach der Veröffentlichung eines Films, an dem sie mit dem niederländischen Regisseur Theo van Gogh gearbeitet hatte. Der kurze Dokumentarfilm, Submission, der zeigen will, wie die islamische Lehre Gewalt gegen Frauen billigt, und Bilder des Missbrauchs von muslimischen Frauen enthält, gegenübergestellt gegen bestimmte Koranverse. Ein paar Monate nach der Veröffentlichung des Films schoss ein islamischer Extremist in Amsterdam auf Van Gogh und stach ihn zu Tode, und heftete ein fünfseitiges Warnschreiben für Hirsi Ali auf seinen Körper – sie sei die nächste.

„Ich war erschrocken. Ich habe keine Lust, zu sterben“, schrieb Hirsi Ali später in ihrer Biographie von 2007, Infidel.

Doch Angst – ob vor dem Tod oder davor, Anstoss zu erregen – hat Ayaan Hirsi Ali noch nie abgehalten davon, ihre Meinung zu verkünden, wie umstritten, und, für viele, beleidigend sie auch sein mag. Auf Hirsi Ali wurde eine vernichtende Fatwa ausgestellt, aber sie bleibt eine der bekanntesten Kritikerinnen des Islam in der Welt. Sie ist auch die Gründerin der AHA-Stiftung, die versucht, Gewalt gegen Frauen im Namen der Ehre und der Religion zu beenden.

Geboren in Somalia, beginnt Hirsi Alis Geschichte mit ihrer Erziehung in einem strengen muslimischen Haushalt, wo sie weiblicher Genitalverstümmelung unterzogen wurde. Schliesslich, mit ihrer Familie nach Kenia umgezogen, floh Hirsi Ali 1992 in die Niederlande, um einer Zwangsheirat zu entkommen. Obwohl sie jetzt eine selbsternannte Ketzerin ist, war dies nicht immer der Fall. „Es gab eine Zeit … da wollte Ich die beste muslimische Frau überhaupt sein“, erzählt mir Hirsi Ali.

Fotos mit freundlicher Genehmigung von Ayaan Hirsi Ali.

Hirsi Ali war bereits in Holland bekannt wegen ihren Rollen im niederländischen Parlament, doch ihr Name wurde berühmt (oder berüchtigt) nach dem Tod von Van Gogh. Heute ist sie Autorin mehrerer Bücher, darunter drei, die für eine drastische islamische Reformation argumentieren: Infidel, Nomad und das kürzlich veröffentlichte Heretic. Immer stark auf Schockwirkung ist Hirsi Ali bekannt für den Vorschlag, der Islam – nicht nur seine radikalen Ableger – sollte „besiegt“ werden. In einem vielzitierten Interview von 2007 beschrieb sie den Islam auch als ein „nihilistischer Todeskult.“

Hirsi Ali hat sich inzwischen an die negativen Etiketten gewöhnt, die ihr von manchen Menschen angehängt wurden – Ungläubige, Frömmlerin, Islamophobe, um nur ein paar zu nennen. Der namhafte Akademiker Haroon Moghul hat Hirsi Ali fertig gemacht, indem er vor kurzem schrieb, dass ihr neues Buch, Heretic (=Ketzer), „nicht nur eines der schlechtesten Bücher, das je über den Islam geschrieben worden ist. Es ist eines der schlechtesten Bücher, Punkt.“ Früher in diesem Jahr argumentierte die palästinensische Journalistin Rula Jebreal, dass Hirsi Ali „eine intolerante, radikale“ Version des Islam mit dem Islam im Allgemeinen verschmilzt. Hirsi Ali und ihre Ansichten unverschämt zu billigen, schrieb sie, heisst „eine Milliarde Muslime zu beleidigen und zu verspotten.“

Obwohl sie als Autorin und Kritikerin angegriffen worden ist, so Hirsi Ali, kümmert sie sich mehr um ihre Rolle als Aktivistin, die für Frauenrechte und die Gleichstellung der Geschlechter eintritt. Ihre tiefe Abneigung und umstrittene Kritik am Islam ist in ihren dringenden Überzeugungen verwurzelt, dass als Religion, im Kern und in seinen heiligen Texten, der Islam unfaire und ungerechte Behandlung von Frauen fördert – ein Glaube, den viele muslimische Feministinnen als bigott und islamfeindlich verschrien haben.

„Was ich immer wieder faszinierend fand, nachdem ich den Islam verlassen hatte, ist, dass es so viel versprochen wird in Bezug auf die Belohnung der Männer im Jenseits, worüber die gläubigen Männer phantasieren können … sie gehen dahin, haben unendlich Sex, sie haben endlose Macht, sie haben endlosen Komfort, dies und das, und das andere auch noch. Aber für uns als Frauen wird nicht viel versprochen“, sagt Hirsi Ali.

Neben dem Argument, dass die Hauptlehren des Islam grundsätzlich sexistisch sind – sie zitiert in unserem Interview eine Lehre aus dem Hadith, religiösen autoritativen Aussagen des Propheten Mohammed, dass die Mehrheit der Menschen in der Hölle Frauen sind – Hirsi Ali glaubt auch, dass Frauen die grössten Opfer des radikalen Islam sind. „ISIS ist die Manifestation [des islamischen Extremismus] die jetzt die ganze Aufmerksamkeit bekommt, aber in der ganzen islamischen Welt werden Frauen grundsätzlich als Fortpflanzungsorgane gesehen“, erzählt mir Hirsi Ali. „Frauen sind da, um Kinder zu gebären und um Sex mit ihnen zu haben. Und wenn Jihad geführt wird, werden Frauen als Werkzeuge gesehen, um die Gruppe der Muslime zu vergrössern … die Kinder, die sie austragen, werden als Teil des Kalifats gesehen.“

Sie fügt hinzu: „Weil die Ausbreitung des radikalen Islam in der ganzen Welt anhält, werden Gemeinden, die immer relativ liberal waren, jetzt, sehr streng bei der Durchsetzung islamischen Rechts. Und diese schnelle Durchsetzung des islamischen Rechts: Sie beginnt bei den Frauen.“

Während sie eine humanitäre Antwort auf die aktuelle Flüchtlingskrise in Europa unterstützt, befürchtet Hirsi Ali auch einen Zustrom von Gemeinschaften, die die Scharia vorziehen und was dies für die Frauen bedeuten würde. „Wenn du hingehst und weiter weibliche Genitalverstümmelung praktizierst, Kinderbräute und Ehrenmorde, wenn du hingehst, um weiterhin, naja, die Praxis oder Kultur der Frauenfeindlichkeit auszuleben, dann sind Sie nicht willkommen, danke. Dann können Sie wieder zurück gehen“, sagt Hirsi Ali. „Ich denke, Mitleid, Mitgefühl, ich denke, das ist ein wundervoller Teil, weil es uns antreibt, sicherzustellen, dass im Mittelmeer keine Menschen ertrinken. Aber sobald Sie sie herausfischen, ist das das Ende des Mitleids.“

Das ist eine starke Aussage, um das mindeste zu sagen — besonders weil Hirsi Ali selbst als Muslimin aus einem muslimischen Land flüchtete. Es ist eine seltsam ähnliche Ansicht wie Donald Trumps unentschuldigende Position bezüglich undokumentierte Einwanderer aus Mexiko in die USA (er spricht sich für die Aufnahme „der Guten“, ist aber vehement für das Aufhalten der Mehrheit der undokumentierten Mexikaner, die, wie er sagt, „Kriminelle, Drogendealer, Vergewaltiger usw. “ sind).

Hirsi Ali, betont, dass es „beschämend“ ist, zuzuschauen, wie Menschen auf dem Weg nach Europa oder in irgendeinem Teil der Welt sterben. Aber wenn sie die Werte der Scharia mitbringen, oder irgendwelche Tendenzen zu frauenfeindlicher Gewalt, dann ist sie ähnlich unerbittlich: „Machen Sie einen legale Kehrtwende. Gehen Sie zurück.“

Diese intensive Opposition zum islamischen Recht liegt Hirsi Alis Arbeit mit der AHA-Stiftung zugrunde, „der führenden Organisation, die sich zur Aufgabe macht, Ehren-Gewalt gegen Frauen zu beenden, die Tausende von Frauen und Mädchen in den USA jedes Jahr beschämt, weh tut, oder tötet, und die Millionen weitere in Gefahr bringt.“

Ich frage Hirsi Ali nach den Frauen, die sie durch AHA kennengelernt hat und ob sie Menschen gefunden hat, die für ihre Botschaft empfänglich sind. „Die Frauen, die zur AHA-Stiftung kommen … sie werden Rebellinnen genannt und solche Dinge, sie sind die Dissidenten, die sich gegen diese Lehren stellen, und sie stehen für sich selbst ein.“ sagt sie. „Also diese [Arten von Frauen] kommen zu mir, sie sind wie ich. Sie bewundern mich. Sie denken, dass hoffentlich eines Tages diejenigen von uns, die rebelliert haben, gross genug sind, um alle anderen zu beeinflussen.“

Hirsi Ali gibt zu, dass viele Frauen sie auch zu hassen scheinen. Zu ihrer Überraschung und Enttäuschung hat sie festgestellt, dass westliche Feministinnen unter denen sind, die ihre Meinungen und ihre Lobbyarbeit am stärksten verurteilen. Im Jahr 2014, nachdem sie zuvor sagten, sie würden Hirsi Ali eine Ehrendoktorwürde verleihen, widerrief die Brandeis University die Ehre, nachdem eine Change.org-Petition Tausende von Unterschriften gewann, die Hirsi Ali Islamophobie vorwarf. Hirsi Ali stellt in Heretic fest, dass unter denen, die die Petition unterschrieben haben, Professoren von Frauen-, Gender- und Sexualitäts-Studien sowie Feminismus-Gelehrte waren.

Hirsi Ali glaubt, dass ihre feministischen Kritiker heuchlerisch sind. „Sie nennen sich Feministinnen“, sagt sie. „Wie auf der Erde wollen sie die dieses Erbe erhalten und es auf den Rest der Frauenwelt ausweiten, wenn sie Entschuldigungen für religiöse Frauenfeindlichkeit finden mit der Begründung, dass die Religion nur von einer Minderheit praktiziert wird? Sollten wir nicht diese Privilegien, die haben am meisten auf all diejenigen Minderheiten ohne Stimme erweitern? Ist es nicht das, was der Feminismus tun sollte?“

In Heretic adressiert Hirsi Ali auch diesen Vorfall: „Warum fühlen sich diese Menschen gezwungen, mich zum Schweigen zu bringen, gegen meine öffentlichen Auftritte zu protestieren, meine Ansichten zu stigmatisieren und mich von der Bühne zu verjagen unter der Androhung von Gewalt und Tod?“

Maajid Nawaz, ein bekannter Akademiker und Aktivist, der Bekämpfung des islamistischen Extremismus gewidmet, ist ein enger Freund von Hirsi Ali und ist auch mit dem Tod bedroht worden für seine Meinungsäusserungen. Nawaz und Hirsi Ali sind nicht immer einer Meinung (sie begegneten sich zuerst auf gegenüberliegenden Seiten einer Debatte), aber sie sehen eine Sache mit denselben Augen: Sie hat jedes Recht, ihre Meinung zu äussern.

„Ich habe eine Maxime: ‚Keine Idee steht darüber, Untersucht zu werden, und kein Mensch ist unwürdig‘,“ schrieb mir Nawaz in einer E-Mail. „Solange die Untersuchung der Religion in einer Weise geschieht, die nicht ihre Anhänger zu Opfern macht und sie nicht stigmatisiert, dann ist es nicht nur völlig legitim, sondern es ist unsere staatsbürgerliche Pflicht, die Ideen selbst zu hinterfragen. Ayaan versteht diesen Unterschied. Was wirklich Antimuslimisch ist, ist die Annahme, dass Muslime irgendwie gegen intellektuelle Konversationen abgeschirmt werden müssen, weil sie nicht damit umgehen können. Wir nennen dies Rassismus der niedrigen Erwartungen.“

Eine andere Freundin von Hirsi Ali, Asra Nomani, die ein bekannter Name in der islamischen Frauenbewegung ist, denkt, die, die Ayaan dämonisieren, sollten ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes konzentrieren. „Sicher, gibt es Zeiten, wo sich Ayaan entschieden hat, ihre Ideen wenig delikat einzurahmen, aber unsere Worte an einen Ort der Weisheit zu verhandeln, und auf dem Weg dorthin zeitweise zu stolpern, ist das Wesen des Mensch seins“, sagt Nomani. „Das beste wäre, wenn der Islam nett zu ihr wäre, aber statt dessen habe ich gesehen, dass, anstatt den Islamischen Staat und Abu Bakr Al-Bagdhadi zum Feind Nummer 1 zu machen, haben zu viele Muslime eine Zielscheibe auf Ayaans Rücken gesetzt, herzlos, gemein, und rachsüchtig in ihrem Zorn, Grimm und ihrer Wut.“

Hirsi Ali wurde als eine militante Agitatorin dargestellt, entschlossen, die muslimische Welt unter ihrem stählernen Stiefel zu zerquetschen. Sie sieht sich als Kritikerin mit strittigen, oft Feuer entfachenden, Meinungen und starken feministischen Überzeugungen. „Ich finde, dass sie sensibel, nachdenklich, und selbstkritisch ist“, sagt mir Nomani. „Es wachsen ihr keine Hörner aus dem Kopf.“

Hirsi Ali sagt, sie erwartet und begrüsst die Debatte, Meinungsverschiedenheiten, Kritik und sogar Verurteilung. Häufiger jedoch sieht sie sich Dämonisierung und der Androhung von Gewalt gegenüber. Nach dem Verlassen unseres Mittagessens hat sie einen ganzen Nachmittag von Gesprächen vor sich, sehr zum Leidwesen ihrer wahrscheinlichen Gegner.

„Sie wollen nicht, dass ich dieses Gespräch beginne, und tief unten ist das genau das, worum es geht,“ sagt sie.

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