Deborah Danan, 7.2.2013, Jerusalem Post
Nicky Larkin war empört über das, war er den „Völkermord an den Palästinensern“ nannte. Aber alles änderte sich, als er nach Israel kam, um einen Dokumentarfilm zu drehen.
Mit auf die Kopfhaut geschorenem rotem Haar, einem tätowierten Unterarm, sommersprossiger weisser Haut und einem Pint Bier vor sich (wenn auch Goldstar, nicht Guinness) sieht Filmemacher Nicky Larkin jeden Zoll wie der stereotype Ire aus. Doch ein Blick auf sein Tattoo zeigt, dass mehr an ihm ist, als der erste Blick vermuten lässt: auf kyrillisch steht da das Post-Holocaust-Mantra eingeritzt, „Niemals wieder.“
Ein sich selbst als Zionisten bezeichnender und liebevoll „Ehrenjude“ unter seinen neuen israelischen Freunden genannter Larkin erreichte das Land im März 2011, um einen experimentellen, nicht-narrativen Film über Israel zu drehen. Ausgelöst durch die Operation Gegossenes Blei und den anschliessenden die irischen Medien überflutenden Berichten über Israels Aggression, war er entschlossen, sich die Situation selber anzusehen.
Wie bei den meisten Menschen in Irland lagen seine Sympathien stark bei den Palästinensern – die angeblichen Underdogs des israelisch-arabischen Konfliktes. Doch während seiner Reise, die ihn durch den grössten Teil der Westbank und den Rest des Landes brachte, begannen seine Haltung und die vorherrschenden Vorstellungen über Israel sich zu wandeln.
Larkins einziger vorheriger Kontakt mit Juden war, dass er Chassiden den Zug besteigen sah an der U-Bahnstation Golders Green, als er in London lebte als Student der bildenden Künste.
„Der erste Schock meiner Ankunft in Israel war, zu sehen, wie weltoffen, säkular und tolerant dieses Land war“, sagt er.
Er erinnert sich an ein paar Zwischenfälle, bei denen er den Konflikt in einem neuen Licht zu sehen begann, die einen Wendepunkt in seiner geistigen Reise markierten.
Der erste war ein banaler Austausch mit einem IDF-Soldaten. Larkin war in Hebron am Aufstellen seiner Kamera, als eine M16-schwingender Soldat auf einem Dach zu ihm hinunter schrie und ihn fragte, was er da tue. Larkin erklärte ihm, dass er ein Filmemacher aus Irland sei, und so wurde aus dem Gespräch ganz natürlich bald eine Diskussion über Bier. Während des Bier-Geplänkels zwischen den beiden Männern fiel Larkin zum ersten Mal ein, dass der Soldat vielleicht nicht wirklich dort stationiert sein möchte.
„Es war so surreal,“ sagt er. „Plötzlich reden wir über Bier und ich denke, dass wir in jeder anderen Situation hätten Freunde sein können.“
Bei einer anderen Gelegenheit traf er sich in der Westbank mit Hind Khoury, der ehemalige Generaldelegierte der PLO in Frankreich. Nach Anhörung unzähliger Palästinenser – Khoury eingeschlossen – die auf ihrem Lob des gewaltlosen Widerstands insistierten, war er schockiert, herauszufinden, dass Khoury sich hartnäckig weigerte, die Aktionen der palästinensischen Selbstmordattentäter zu verurteilen.
„Ich habe sie immer mehr darauf [auf dieser Frage] festzunageln versucht“, erinnert er sich. „Ich sagte: ‚Sie sagen mir also, dass es okay ist für einen 17-Jährigen, einen anderen 17-Jährigen in die Luft zu sprengen?‘ Sie wurde sehr wütend und schnappte schier über. Ich dachte dauernd, das ist Wahnsinn.
Man hört dieses Mantra von ‚gewaltfreiem Widerstand‘ immer und immer wieder, aber Sie können in jede [Westjordanland-] Stadt gehen und auf jedem verfügbaren Platz gibt es alle diese Bilder von Märtyrern mit ihren Namen, Geburtstagen und dem Ort, wo sie sich gesprengt haben.“
Er erinnert sich, dass er in einem Café sass in Tel Aviv eines Morgens, als die Hamas eine Panzerabwehrrakete auf einen Schulbus in der Nähe des Kibbutz Sa’ad schoss und dabei ein Kind tötete. Jene Woche markierte auch einen dramatischen Anstieg der aus dem Gazastreifen gestarteten Raketen, und die anschliessenden Schläge der IDF in dem Bemühen, die Angriffe zu unterdrücken.
„Ich wusste nichts über die Intensität der Raketen,“ sagt er. „Es gab ein Gefühl der Panik in Israel – eine grosse, moralische Panik. Ich erinnere mich, dass, wenn ich in Dublin oder Belfast oder London sässe, dass ich dann nicht von den Raketen oder dem getöteten Kind gehört hätte – ich hätte nur gehört, dass die bösen Israelis reingehen und die Sch…e aus den armen Menschen in Gaza rausbomben. Und plötzlich sah ich es durch israelische Augen. Das war ein grosser Moment der Klarheit.“
Vorher, gibt er zu, hatte er die verzerrte Darstellung in den Irische Medien des 2008-09 Einfalls in Gaza gekauft. Da kaum mehr als die Statistik präsentiert wurde, schienen die Berichte eindeutig: 1’200 tote Palästinenser und nur 13 Israelis.
„Ich war von dem, was ich las, angewidert“, sagt er.
„Es war als Massaker ausgemalt. Ich dachte, das ist kein Kampf, das ist Völkermord.“
Doch nach der Ankunft in Israel wurde er bald von einem Grossteil von dem, was er sah und hörte, beeinflusst. Er fand eine gute geölte palästinensische Propaganda-Maschine vor, und es hinterliess ihn mit einem tiefen Gefühl des Zynismus.
„Am Anfang fand ich es schwierig, Israelis dazu zu bringen, mit mir zu reden – sie waren zurückhaltend und vertrauen uns nicht, wahrscheinlich, weil wir Iren waren. Mit den Palästinensern, war es das Gegenteil – sie standen Schlange, um mit mir sprechen zu können. Jeder von ihnen hatte eine Geschichte, und sie sagten immer wieder: „Wir sind alle Freunde.“ Ich fand mich oft durch alle Propaganda jäten, nur um herauszufinden, was wirklich los war.“
Eines bestimmten Freitags filmten er und seine Crew in der Jerusalemer Silwan-Nachbarschaft. Das Freitagsgebet hatte gerade in der Moschee geendet, und alle Älteren gingen nach Hause, während die Jüngeren da blieben. Sie zogen karierte Schals über und warteten darauf, dass Larkin seine Kamera aufstellte, bevor sie begannen, Steine zu werfen und knapp vor vorbeifahrenden Autos durchzulaufen. Er stellte fest, dass der ganze Zwischenfall voller Theatralik war, und es wurde bald offensichtlich, dass ohne seine Anwesenheit mit der Filmkamera gar nichts passiert wäre.
„Sie waren alle um mich herum, alle mit hochgepushtem Ärger, bis dann einer von ihnen eine Aufmerksam erheischte und mich fragte, ob ich das alles [auf Video] habe.“
Der Filmemacher hat seine eigenen Theorien darüber, warum die irische Öffentlichkeit so bereit ist, jedes negative Wort der irischen Medien über Israel zu glauben.
„Die Generation meiner Eltern wusste nichts über Israel“, sagt er. „Lokale Nachrichten haben immer mehr Exemplare verkauft. Aber in den späten 90er Jahren waren Jahrzehnte des Krieges [mit Grossbritannien] in Irland vorbei, und doch hatten wir eine ganze Generation junger Iren mit einem Juckreiz für einen Kampf. Es waren Jugendliche, die romantische linke Vorstellungen über die Sache hatten. Iren sind geboren, um zu kämpfen, haben Kriegerblut in sich. Sie wussten, dass die IRA Geschäft mit der PLO machte, und viele von ihnen sympathisierten mit den Gemeinsamkeiten, die sie ihrer Meinung nach mit den Palästinensern teilten, also adoptieren sie das als Stellvertreter-Sache. Die republikanische Bewegung hat die palästinensische Bewegung gekapert.“
Er schilt seine Iren dafür, dass sie sich so eindimensionale Wahrnehmungen des israelisch-arabischen Konfliktes haben verkaufen lassen. „Sie sind verwirrt darüber, wer der Underdog ist. Sie merken nicht, dass, bloss weil du Pro-Palästina bist, das noch lange nicht heisst, dass du auch Anti-Israel sein musst.“
Larkin feiert die Tatsache, dass Israel der einzige Ort der Welt ist, wo man gleichzeitig sowohl eine zionistische Ideologie als auch eine linke Haltung vertreten kann.
„Ich mag es nicht, mich selber zu kategorisieren – ich bin in den meisten Dingen links, aber rechtsgerichtet in anderen – doch ich glaube fest daran, dass die Juden ein Recht auf ihre Heimat haben“, sagt er. „Und ich glaube, dass das nur sein kann, wenn es eine jüdische Mehrheit gibt.“
Als er um eine Erklärung für sein Tattoo gebeten wird, zuckt er beiläufig die Schultern. „Ich wollte es auf Hebräisch haben, dachte dann aber, dass das vielleicht eine schlechte Idee ist. Aber es geht nicht nur um Juden, es ist für jeden relevant. Eine halbe Nation auszulöschen darf nicht wieder vorkommen. Die Sache, die mich fasziniert ist, dass es so neu ist, wir es aber dennoch geschehen liessen – das haut mich fast um.“
Im März 2012, ein Jahr nach seinem ersten Besuch in Israel, brachte der Sunday Independent einen Gastkommentar, von ihm verfasst, mit dem Titel „Israel ist ein Zufluchtsort, aber eine Zuflucht unter Belagerung.“ Die erste Zeile liest sich so: „Ich habe Israel gehasst. Früher dachte ich, die Linke hat immer recht. Nicht mehr.
Jetzt hasse ich palästinensische Terroristen.“
Mit über einer Million Lesern ist der Independent leicht Irlands meistgelesene Zeitung, und gemäss dem Filmemacher ging sein Artikel innerhalb weniger Tage viral und zog 12’000 Teilungen auf Social-Media-Netzwerken nach sich.
Im Artikel nimmt er sich Irlands BDS (Boykott, Desinvestition und Sanktionen) -Bewegung vor. Er verurteilt den Boykott israelischer Produkte in den irischen Supermärkten, sagt, dass er auch palästinensischen Bauern schadet. Er greift rundweg Aktivisten an, die behaupten, Befürworter der Redefreiheit zu sein, die aber automatisch jeden Kommentar abschiessen, der Israel verteidigt.
Der kontroverse Artikel war genug, um eine Litanei von Gift in Richtung Larkin zu entfesseln – vor allem von seinen Kollegen in der Kunstwelt. Für ein paar Monate nach seiner Veröffentlichung war er depressiv und hatte sogar Angst, nur schon seine E-Mail zu öffnen.
Die Beleidigungen, die er erhielt, enthielten auch Todesdrohungen und Beschuldigungen, er habe das Blut palästinensischer Kinder an seinen Händen.
Dann kam die Dubliner Uraufführung seiner Dokumentation über Israel, Forty Shades of Grey. (Er behauptet, den Titel zwei Jahre vor der Veröffentlichung des ähnlich benannten Bestsellerromans Fifty Shades of Grey gehabt zu haben. Er wählte es als ein Wortspiel eines irischen Spitznamens, „Forty Shades of Green“, als Inbegriff dafür, dass es weit mehr als zwei Seiten gibt in jedem Konflikt.) Die Empörung setzte sich mit der Veröffentlichung des Films fort, der seither in Universitäten und Filmfestivals auf der ganzen Welt gezeigt wurde.
Der Irish Arts Council hatte den Dokumentarfilm finanziert, aber Larkin behauptet, das sei nur deshalb gewesen, weil er beim Förderantrag einen pro-palästinensischen Ansatz versprochen hatte.
„Seit ich [als Pro-Israel] ‚geoutet‘ war, wollen sie mich nicht mehr finanzieren“, sagt er. „Der Film schockiert sie. Ich bin der einzige, der von [der Förderung] abgeschnitten wurde.“
Doch trotz der überwältigenden Verurteilung räumt er ein, dass er auch viel Unterstützung erhielt.
„Leute haben gesagt, dass sie respektieren, was ich tat. Das Problem ist, dass es grösstenteils auf privater Ebene war, in E-Mails und dergleichen. Es macht mich traurig, dass die Menschen Angst haben, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, doch die Schläger der [palästinensischen] Solidaritätskampagne haben eine Atmosphäre aufgebaut, wo man keine Unterstützung für Israel zeigen kann – sie haben sogar eine Webseite, auf der sie meine Bewegungen überwachen!“ Trotzdem gab es einige Erfolge in der Öffentlichkeit, und er ist der Meinung, dass die Dinge sich ändern. Der Besitzer eines Pubs in Dublin las seinen Artikel und änderte seine Meinung über den jüdischen Staat, so sehr, dass er eine israelische Flagge vor seinem Lokal aufhängte zu Ehren von Israels Unabhängigkeitstag.
„Die irische Flagge vor dem Pub direkt neben der israelischen Flagge zu sehen, war der stolzeste Moment meines Lebens“, sagt Larkin. „Die Leute ändern langsam ihre Meinung. Ich war der erste, der sich aus dem Fenster lehnte und frische Informationen präsentierte. Ich glaube, ich trug zur Änderung des Diskurses in Irland bei. Das soll nicht heissen, dass jedermann in Irland zum Zionisten werden wird, aber zumindest denken die Leute über die Dinge nach, statt nur alles, was sie hören, zu akzeptieren.“
Auf die Frage, wie seine Eltern auf die ganze Aufregung reagierten, die sein Artikel und Film produzierten, schüttelt er den Kopf und lacht.
„Sie finden das alles sehr lustig“, sagt er.
„Sie sagten:“ Oh, sieh mal da, der kleine Junge in der Zeitung, der all diesen Ärger verursacht.“ Sie rahmten den Artikel ein, bloss weil er eine solche Kontroverse verursacht hatte.“
Seine Botschaft an die Kunst-Community ist, Künstler dazu zu drängen, aufgeschlossen genug zu sein, um ihre Vorurteile herauszufordern und eine Veränderung des Herzens zu ermöglichen, wenn der Fall es rechtfertigt. Er legt ferner Kritikern Israels nahe, das Land zu besuchen, bevor sie sich für die eine oder andere Seite entscheiden.
Und wo genau, denkt er, geht Israel hin? „Die Mehrheit der Palästinenser – zumindest diejenigen aus der Westbank – wollen Anerkennung; sie wollen einen Staat, und sie wollen Frieden“, sagt er. „Neunzig Prozent der Menschen auf beiden Seiten der Mauer wollen Frieden.“
Und wo liegen die Herausforderungen, seiner Meinung nach? „Ich denke, Siedlungsbau ist ein grosses Problem. Es muss aufhören – es pisst jeden an. Aber das Hauptproblem, wie ich es sehe, ist die Hamas. Mindestens anerkennt die Fatah das Existenzrecht Israels. Wenn Du wirklich pro-palästinensisch bist, dann musst du verstehen, dass die Hamas gehen muss. Man muss nicht Freunde sein, aber ihr müsst euch auch nicht gegenseitig umbringen.“
Gefragt, ob er Hoffnung hat, dass die Seiten in der nahen Zukunft eine Aussöhnung erreichen, zwinkert er mit einem schelmischen Grinsen.
„Nun, wenn wir die Iren mit den Palästinensern vergleichen, dann seid Ihr alle am Arsch. Es dauerte 800 Jahre, bevor wir Frieden finden konnten – ihr Jungs habt einen langen Weg vor euch, bis ihr ihr das erreichen könnt. Also, ja, nicht so optimistisch.“