Victor Davis Hanson, 23.1.2016, victorhanson.com
Will die Welt, dass die Deutschen aufstehen und ihren Stolz auf den westlichen Liberalismus und die Toleranz bekräftigen und darauf bestehen, dass Migranten sich entweder integrieren und westlichen Werten folgen, oder wieder nach Hause gehen und dort bleiben? Oder will sie, dass die Deutschen mehr oder weniger weiterhin alle Ausdrucksformen des kulturellen Selbstvertrauens unterdrücken?
Selbst dem am wenigsten informierten Beobachter erscheint die von Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich getroffene Entscheidung, Zehntausende von jungen muslimischen Migranten zu ermöglichen – etwa zwei Drittel davon junge Männer – aus dem kriegs- und terrorverseuchten Nahen Osten nach Deutschland zu kommen, windschief. Mehr als eine Million Migranten kamen allein im Jahr 2015 nach Deutschland, die überwiegende Mehrzahl von ihnen jung, männlich, muslimisch, aus dem Nahen Osten. Sie waren nach keiner klassischen Definition Flüchtlinge. Anscheinend muss Merkel im Besonderen, und müssen die Deutschen im Allgemeinen, klarstellen, dass sie die leichtfertigste postmodernste aller westlichen Nationen sind, um die Welt 77 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu beruhigen, dass sie nicht mehr rücksichtslos nationalistisch sind.
Selbst ein Zyniker, der die demographische Krise in Deutschland und den Bedarf an ungelernten Arbeitskräften als Katalysator für die Aufnahme Hunderttausender Männer aus dem Nahen Osten sah, konnte sich keinen Reim darauf machen, warum Merkel ein derartiges Chaos in die ansonsten am wenigsten chaotische Nation der Welt bringt. Dass Migranten derzeit deutsche Frauen belästigen und, im schlimmsten Fall, tätlich angreifen ist die logische, nicht die anormale Folge davon, Tausende von jungen muslimischen Männern aus dem Nahen Osten in einer von Europas reichsten und fortschrittlichsten Kulturen abzuladen.
Hat Merkel nicht verstanden, dass das, was Deutschland tut, aufgrund seiner einzigartigen vergangenen und gegenwärtigen Macht, globale Bedeutung erhält in einer Weise, die nicht für andere europäische Länder gilt? Deutschlands Kombination von internen selbstzerstörerischen Tendenzen und seine Arroganz im Export seiner Einwanderungstorheit in die europäischen Nachbarn ist es, was beides die Welt verwirrt und verängstigt. Beobachter wollen weder eine weitere dekadente Weimarer Republik, noch eine nationalistische rassistische Reaktion darauf.
Sicherlich ist keine Nation mehr Gefangene ihrer jüngsten Geschichte wie das heutige Deutschland – ein relativ junges Land, das nichtsdestotrotz bereits drei grosse Kriege geführt, zwei verloren hat, 20 Prozent seines Territoriums beraubt worden ist, gesehen hat wie seine Städte plattgemacht und seine Wirtschaft zerstört wurde und sein Territorium während fast 45 Jahren in zwei Teile aufgespalten sah, als es Ground Zero des Kalten Krieges war.
Deutschland ist die stärkste Wirtschaftsnation des Kontinents, aber aus offensichtlichen Gründen übersetzt es diese Schlagkraft nur ungern in eine angemessene militärische Macht. Berlin versteht, dass die „deutsche Frage“, die Europa anderthalb Jahrhunderte lang heimgesucht hatte, offenbar von einem Nachkriegs-nichtnuklearen Deutschland, das tief in der europäischen Union und der NATO eingebettet ist (mit der zusätzlichen Versicherung durch die Nuklearmächte Grossbritannien, Frankreich und den Vereinigten Staaten) gelöst wurde. Deutschland hat keine Lust, zur Atommacht zu werden, obwohl es höchstwahrscheinlich in den nächsten zehn Jahren in die Reichweite iranischer atomarer Langstreckenraketen gelangt.
Amerikaner sind etwas verwirrt über wachsende deutsche Ablehnung gegenüber den USA. In einer Reihe von Umfragen unter den grossen europäischen Ländern stellen sich die Deutschen immer wieder als die heraus, die die Vereinigten Staaten am wenigsten mögen. In der Tat ist Deutschland das einzige europäische Land, in dem Amerika keine positive Bewertung erhält, die es in Grossbritannien, Italien, Frankreich geniesst. Die neueste Pew-Umfrage aus dem siebten Jahr der Obama-Präsidentschaft zeigt, dass nur die Hälfte der Deutschen positiv auf die Vereinigten Staaten schaut. Viele Gründe springen ins Auge: die jüngste Bespitzelung der deutschen Führung durch die Obama-Regierung, die plötzlichen passiv-aggressiven Bemühungen Amerikas, Russland zu isolieren, hängengebliebene Angst über den Irak-Krieg, dem Abzug der meisten amerikanischen NATO-Truppen, und amerikanische Unterstützung für Israel.
Dieses deutsche Missfallen ist so viel grösser als in anderen Ländern vorgefunden, deutet vielleicht auf eine besondere Antipathie gegen die herausragende Rolle der Vereinigten Staaten als Supermacht. Ist es Antipatie, weil sie zwei Kriege gegen die USA verloren haben, oder ein Gefühl des moralischen Triumphalismus, dass, während sie die Lektion über die Sinnlosigkeit des Krieges gelernt haben, die interventionistische USA dies bislang offenbar nicht geschafft hat – und damit eine Gefahr für diejenigen darstellt, die haben? Oder ist es eher Realpolitik und die wachsende Erkenntnis, dass das schwindende amerikanische Expeditionskorps nicht so wichtig ist für Deutschland, finanziell oder militärisch, wie in der Vergangenheit? Warum um eine Supermacht im Niedergang werben? In jedem Fall sind die Deutschen auf jeden Fall überzeugt von ihrer eigenen moralischen Überlegenheit. In einer Umfrage des Economist sind sie die einzigen Europäer, die ihre eigene Nation als vertrauenswürdigste, wenigsten arrogante, und mitfühlendste der EU bewerten – eine positive Sichtweise, die von den meisten ihrer Nachbarn in derselben Umfrage nicht geteilt wird.
Deutschland ist nur selten bereit, sich westlichen Anstrengungen, den Abtrünnigen Wladimir Putin zu isolieren, anzuschliessen. Aber wer würde das schon, nach zwei Weltkriegen im Osten, die zusammen mehr als 5 Millionen deutsche Jugend gekostet haben zwischen 1914 und 1945? Wenn diese Albträume nicht Brust-zusammenschlagen mit Russland entmutigen, dann vielleicht die 400 sowjetischen Divisionen, denen es gegenübersitzt, und ein Wald von taktischen sowjetischen Nuklearraketen, denen es sich fast ein halbes Jahrhundert lang gegenübersieht.
Einerseits machten Merkels einstige harsche Worte an die bankrotten verschwenderischen EU-Staaten am südlichen Mittelmeer durchaus sinn, bei dem gegebenen Trauma Deutschlands wegen der Hyperinflation der späten 1920er Jahre, die das Leben von Millionen von sparsamen deutschen Familien zerstörte und dazu beitrug, einen demagogischen Hitler an die Macht zu bringen. Andererseits Schuld wegen der blutigen Kriege auf dem Balkan und dem tödlichen Verhalten der Wehrmachttruppen dort von April 1941 bis 1945 könnte erklären, warum Griechenland, um ein Beispiel zu nennen, Deutschland bei Krediten aushebeln konnte mit Argumenten, die pragmatische Sorgen um die Einheit der Europäischen Union transzendierten. In den letzten vier Jahren hat die griechische Presse erfindungsreiche Wege gefunden, deutsche Führer zu karikieren, von Gauleitern bis zum Waffen-SS Obersturmführer.
An einem gewissen Punkt, so fragt sich die Welt, wird sich Deutschland wieder in der traditionellen Weise behaupten, wie mächtige Nationen das so tun? Wieder, wie Umfragen zeigen, sind die Deutschen die selbstbewusstesten Europäer – und werden von den meisten südlichen und östlichen Europäer als die arrogantesten gesehen.
Es gibt eine Reihe von Gründen, zu glauben, dass das 21. Jahrhundert ein ganz anderes Deutschland sehen wird, wie das der letzten Hälfte des 20., wenn auch nicht unbedingt ähnlich wie die Erfahrungen aus der ersten Hälfte jenes Jahrhunderts. Unter Obama haben die USA die amerikanische globale Nachkriegs-Führungsrolle vergossen. Iran, Russland, China, und ISIS – Das Vakuum wird bereits von lokalen Hegemonen gefüllt. Die NATO ist unterfinanziert und verliert zunehmend an Bedeutung. Die EU wird fragmentiert von fiskalen und Einwanderungs-Schismen. An einem gewissen Punkt wird die weltweit viertgrösste Volkswirtschaft für seine eigene Sicherheit sorgen müssen.
Das Migration-Durcheinander hat die Deutschen an die Grenzen der europäischen Ökumene und den Bankrott der Multikulturalität erinnert, mit der die Jugend Europas indoktriniert worden ist unter der Annahme, dass alle Kulturen gleich sind, wenn auch mit der Qualifikation, dass der Westen angeblich unter den zusätzlichen Pathologien des Kolonialismus, Imperialismus Rassismus und Militarismus leidet. Diese Ente mag ein trendiger abstrakter Gedanke sein, doch nicht so sehr im konkreten, wenn Multikulturalismus in Düsseldorf oder Köln kollidiert mit westlichen Vorstellungen von Feminismus, Rechten Homosexueller, und religiöser Toleranz. Tatsächlich erweist sich der Multikulturalismus als ziemlich gefährlich in Bezug auf die chaotische Einwanderung, und selbstmörderisch in Fragen des islamistisch inspirierten Terrorismus.
Die Welt ist schizophren betreffs der nahen Zukunft Deutschlands. Zu einem gewissen Grad hofft sie, dass Deutschland aufwacht, sein Vertrauen in die eigenen Institutionen bekräftigt, die eigenen Bürger beschützt und Nein sagt zum rücksichtslosen Vorgehen des Nahen Ostens. Aber auf der anderen Seite, warum hat Deutschland überhaupt auf so arrogante Art und Weise versucht, seinen Einwanderungswahnsinn seinen Nachbarn aufzudrängen, und das auf solch antidemokratische und tyrannische Weise? So dass dieselben Beobachter, die ein selbstbewusstes europäisches Deutschland wollen, sich ebenfalls Sorgen machen, nach seiner Rückkehr zur Normalisierung und seiner stolzen Vergangenheit, „Was kommt als nächstes?“