Meine Herren – Hier ist Eure Chance, zu hören, womit alle Frauen seit zu jungem Alter sich herumschlagen müssen. Also: Hört gut zu.
Gretchen Kelly, 15.7.2016, The Good Men Project
Es gibt da dieses Ding, das passiert, wenn ich über Frauenthemen rede oder schreibe – Dinge wie Dresscodes, Vergewaltigungskultur und Sexismus.
Ich bekomme Kommentare: Gibt es nicht wichtigere Dinge? Ist das wirklich so eine große Sache?
Bist du da nicht etwas überempfindlich?
Bist du sicher, dass du rational bist über diese Sache?
Jedes. Einzelne. Mal.
Und jedes einzelne Mal bin ich frustriert. Warum kapieren sie es nicht?
Ich glaube, ich weiss jetzt, warum.
Sie wissen es nicht.
Sie wissen nichts über De-Eskalation. Minimieren. Ruhig einzuwilligen.
Hölle, obwohl Frauen es leben, sind wir uns dessen nicht immer bewusst. Aber wir haben es alle getan.
Wir haben alle gelernt, entweder instinktiv oder durch Versuch und Irrtum, wie eine Situation minimieren, die uns unwohl macht. Wie man vermeidet, einen Mann zu verärgern oder uns selbst zu gefährden. Wir haben alle, bei vielen Gelegenheiten, einen beleidigenden Kommentar überhört. Wir haben alle einen unpassenden Anmachspruch weggelacht. Wir haben alle unsere Wut geschluckt, als wir abgewertet oder herablassend behandelt wurden.
Es fühlt sich nicht gut an. Es fühlt sich eklig an. Schmutzig. Aber wir tun es, weil es nicht zu tun uns in Gefahr bringen könnte oder uns eine Kündigung einbringen könnte oder uns das Schlampenetikett angehängt werden könnte. Also nehmen wir in der Regel den Weg, der am wenigsten prekär ist.
Es ist nicht etwas, über das wir jeden Tag sprechen. Wir erzählen es nicht unseren Freunde, Ehemännern und Kollegen jedes Mal, wenn es passiert. Weil es so häufig ist, so allgegenwärtig, dass es zu etwas geworden ist, das wir einfach tun.
Vielleicht wissen sie es nicht.
Vielleicht wissen sie nicht, dass wir im zarten Alter von 13 Jahren erwachsene Männer abbürsten mussten, die uns auf die Brüste starrten.
Vielleicht wissen sie nicht, dass ein Mann im Alter unseres Vaters uns angemacht hat, als wir an der Supermarktkasse arbeiteten.
Wahrscheinlich wissen sie nicht, dass der Mann in der Deutschklasse, der mit uns ausgehen wollte, wütende Nachrichten versandt hat, weil wir ihn ablehnten.
Sie sind sich vielleicht nicht bewusst, dass unser Vorgesetzter uns regelmäßig auf den Arsch klopft.
Und Sie wissen sicherlich nicht, dass wir die meiste Zeit lächeln, zähneknirschend, dass wir wegschauen oder so tun, als ob wir es nicht bemerkten. Sie haben wahrscheinlich keine Ahnung, wie oft diese Dinge passieren. Das sind Dinge, die zur Routine geworden sind. So erwartbar, dass wir sie kaum noch bemerken.
Derart Routine, dass wir durch die Regung des Ignorierens und Minimierens hindurch gehen.
Nicht unsere unterdrückte Wut und Angst und Frustration zeigen. Ein schnelles flüchtiges Lächeln oder Lachen erlaubt uns, mit unserem Tag weiterzumachen. Wir de-eskalieren. Wir minimieren. Sowohl innerlich als auch äusserlich minimieren wir es. Wir müssen. Es nicht abzuschütteln würde uns häufiger in den Konfrontationsmodus versetzen, als die meisten von für verkraftbar halten.
Wir lernen in jungen Jahren, wie dies zu tun ist. Wir haben ihm keinen Namen gegeben und es nicht beschriftet. Wir haben nicht einmal in Erwägung gezogen, dass andere Mädchen dasselbe tun. Doch wir haben uns selbst beigebracht, die Kunst der De-Eskalation zu meistern. Lernen durch Beobachtung und schnelle Risikobewertung, wie unsere Reaktionen sein sollte und wie nicht.
Wir gehen durch eine kurze mentale Checkliste. Scheint er flüchtig oder wütend zu sein? Sind noch andere Menschen um uns herum? Scheint er vernünftig und versucht nur, lustig zu sein, wenn auch ahnungslos? Wenn ich etwas sage, wirkt sich das auf meine Schule / Job / Ruf aus? In wenigen Sekunden bestimmen wir, ob wir etwas sagen werden oder ob wir es schleifen lassen. Ob wir ihn festnageln oder uns wegdrehen, höflich lächeln oder so tun, als ob wir es nicht hören / sehen / fühlen.
Es passiert andauernd. Und es ist nicht immer klar, ob die Situation gefährlich oder gutartig ist.
Es ist der Chef, der etwas unangemessenes sagt oder tut. Es ist der Kunde, der unser Trinkgeld außer Reichweite hält, bis wir uns hinüberlehnen, um ihn zu umarmen. Es ist der männliche Freund, der zu viel getrunken hatte und versucht, uns für einen „Freunde mit gewissen Vorzügen“-Moment in die Ecke zu drängen, obwohl wir deutlich gemacht haben, dass wir nicht interessiert sind. Es ist der Mann, der wütend wird, wenn wir ihm ein Date ausschlagen. Oder zu tanzen. Oder ein Getränk.
Wir sehen, dass es unseren Freundinnen passiert. Wir sehen es in so vielen Szenarien und Vorkommnissen geschehen, dass es zur Regel wird. Und wir denken wirklich nichts dabei. Bis zu jenem einen Mal, das ganz nah an einer gefährlichen Situation war. Bis wir hören, dass der „Freund“, der uns die Ecke gedrängt hat, einen Tag später der Vergewaltigung bezichtigt wird. Bis unser Chef sein Versprechen, uns auf Silvester zu küssen, wahr macht, als er uns in der Küche allein erwischt. Diese Male bleiben haften.
Das sind die, von denen wir vielleicht unseren Kollegen, Freunden, oder Ehemännern erzählen.
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Doch all die anderen Male? Alle Male, als wir uns unruhig oder nervös fühlten, aber es ist nichts weiter passiert? Jene Male, wenn wir einfach unseren Tätigkeiten weiter nachgehen und nicht weiter darüber nachdenken.
Es ist die Realität einer Frau in unserer Welt.
Es ist das Weglachen von Sexismen, weil wir gefühlt keine andere Wahl hatten.
Es ist die Übelkeit im Magen, weil wir „mitspielen“ mussten, um mit den Leuten auszukommen.
Es ist das Gefühl von Scham und Bedauern, dass wir diesen Kerl nicht konfrontiert haben, jener Eine, der einschüchternd erschien aber im Nachhinein wahrscheinlich harmlos war. Wahrscheinlich.
Es ist das Telefon aus der Tasche zu holen, den Finger über der Anruftaste schweben zu lassen, wenn wir in der Nacht allein zu Fuß unterwegs sind.
Es ist das Positionieren unserer Schlüssel zwischen den Fingern für den Fall, dass wir eine Waffe benötigen, wenn zu unserem Auto gehen.
Es ist das Lügen und sagen, dass wir einen Freund haben, nur damit ein Typ ein „Nein“ akzeptiert.
Es ist an einer überfüllten Bar / Konzert / jedem dicht gedrängten Ereignis zu sein und sich umdrehen zu müssen nach dem Kerl, der grade deinen Arsch gepackt hat.
Es ist das Wissen, dass, selbst wenn wir ihn identifizieren, wir wahrscheinlich trotzdem nichts sagen.
Es ist zu Fuß über den Parkplatz eines Supermarktes zu gehen und höflich Hallo zu sagen, wenn ein Mann, der an uns vorbeigeht, Hallo sagt. Es ist so zu tun, als hörten wir nichts, während er uns beschimpft, weil wir nicht anhalten, um mit ihm zu reden. Was? Du bist dir wohl zu gut, um mit mir zu reden? Hast du ein Problem? Pffft … Bitch.
Es ist unseren Freunden oder Eltern oder Ehemännern nichts zu erzählen, weil es nur eine Frage der Fakten ist, ein Teil unseres Lebens.
Es ist die Erinnerung, die uns verfolgt, von jenen Malen, als wir missbraucht, attackiert oder vergewaltigt wurden.
Es sind die Geschichten, die uns unsere Freundinnen unter herzzerreißenden Tränen erzählen von jenen Malen, als sie missbraucht, attackiert oder vergewaltigt wurden.
Es ist die Realisierung, dass die Gefahren, die wir jedes Mal sehen, wenn wir uns Entscheiden, diese Situationen zu konfrontieren, nicht in unserer Phantasie sind. Weil wir zu viele Frauen kennen, die missbraucht, attackiert oder vergewaltigt worden sind.
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Es kam mir vor kurzem in den Sinn, dass eine Menge Männer von diesen Dingen keine Ahnung haben.
Sie haben von Dingen gehört, die geschehen sind, Sie haben wahrscheinlich manchmal solche Dinge gesehen, und sind dazwischengegangen, um sie zu stoppen. Aber Sie haben wahrscheinlich keine Ahnung, wie oft es passiert. Dass es vieles von dem, was wir sagen oder tun, und wie wir es tun, einfärbt.
Vielleicht müssen wir es besser erklären. Vielleicht müssen wir aufhören, es selbst zu ignorieren, es in unseren eigenen Köpfen zu minimieren.
Die Männer, die es abschütteln oder weghören, wenn eine Frau über Sexismus in unserer Kultur redet? Sie sind nicht böse Jungs. Sie haben einfach nicht unsere Realität gelebt. Und wir reden nicht wirklich über die alltäglichen Sachen, von denen wir Zeuge werden oder die wir erleben. Woher also sollen sie das wissen?
Vielleicht haben also die guten Kerle in unserem Leben keine Ahnung, dass wir uns mit diesem Zeug auf regelmäßiger Basis beschäftigen.
Vielleicht ist es so sehr unsere Norm, dass es uns gar nicht einfällt, dass wir es ihnen erzählen sollten.
Es fiel mir ein, dass sie den Umfang davon nicht kennen und nicht immer verstehen, dass dies unsere Realität ist. Also, ja, wenn ich mich echauffiere über einen Kommentar, den jemand über ein enges Kleid eines Mädchens macht, kapieren sie das nicht immer. Wenn ich mich über den alltäglichen Sexismus aufrege, den ich sehe und erlebe und beobachte … wenn ich höre, was für Dinge meine Tochter und ihre Freundinnen erleben … sie erkennen nicht, dass es die winzige Spitze eines viel größeren Eisbergs ist.
Vielleicht erkenne ich, dass von den Männern nicht erwartet werden kann, zu verstehen, wie allgegenwärtig alltäglicher Sexismus ist, wenn wir nicht anfangen, es ihnen zu sagen, und mit dem Finger darauf zu zeigen, wenn es geschieht. Vielleicht fange ich an zu begreifen, dass Männer keine Ahnung haben davon, dass selbst beim betreten eines Ladens Frauen auf der Hut sein müssen. Wir müssen, unbewusst, unsere Umgebung wahrnehmen und etwaige Bedrohungen.
Vielleicht beginne Ich, zu erkennen, dass mit den Schultern zu zucken und keine große Sache daraus zu machen niemandem helfen wird.
Wir de-eskalieren.
Wir sind uns unserer Verletzlichkeit sehr bewusst. Bewusst, dass, wenn er wollte, jener Mann auf dem Supermarktparkplatz uns überwältigen könnte und tun könnte, was er will.
Meine Herren, das ist es, was es bedeutet, eine Frau zu sein.
Wir werden sexualisiert, noch bevor wir verstehen, was das bedeutet.
Wir entwickeln uns in Frauen, während unser Geist immer noch unschuldig ist.
Wir bekommen Blicke und Bemerkungen, bevor wir Autofahren können – von erwachsenen Männern.
Wir fühlen uns unwohl, wissen aber nicht, was zu tun ist, so gehen wir durch unser Leben. Wir lernen in einem frühen Alter, dass jede Situation zu konfrontieren, die uns möglicherweise erschauern lässt, uns möglicherweise in Gefahr bringt. Wir sind uns bewusst, dass wir das kleinere, körperlich schwächere Geschlecht sind, dass Jungen und Männer fähig sind, uns zu überwältigen, wenn sie das wollen. Also minimieren wir und de-eskalieren.
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Also, das nächste Mal, wenn eine Frau davon erzählt, dass ihr hinterhergepfiffen wurde und wie ihr das unangenehm ist, dann tu es nicht einfach ab. Hör zu.
Das nächste Mal, wenn sich deine Frau darüber beschwert, dass sie bei der Arbeit als „Schatz“ gerufen wurde, zuck nicht mit den Schultern in Apathie. Hör zu.
Das nächste Mal, wenn du von einer Frau liest oder hörst, die gegen sexistische Sprache protestiert, setze sie nicht herab dafür. Hör zu.
Das nächste Mal, wenn deine Freundin erzählt, dass die Art, wie ein Mann mit ihr geredet hat, sie sich unwohl fühlen machte, zucke nicht einfach mit den Schultern. Hör zu.
Hör ihr zu, weil deine Wirklichkeit nicht dieselbe ist wie ihre.
Hör zu, weil ihre Bedenken berechtigt sind und nicht übertrieben oder aufgeblasen.
Hör zu, weil die Realität ist, dass sie oder jemand, den sie persönlich kennt, irgendwann missbraucht, attackiert oder vergewaltigt worden ist. Und sie weiß, dass es immer eine Gefahr ist, die ihr zustossen könnte.
Hör zu, denn selbst eine einfache Bemerkung von einem fremden Mann kann Wellen der Angst in ihr auslösen.
Hör zu, weil sie versuchen könnte, ihre Erfahrung nicht zur Erfahrung ihrer Töchter zu machen.
Hör zu, denn durch Zuhören ist noch nie etwas Schlimmes passiert.
Hör. Einfach. Zu.