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Weibliche Genitalverstümmelung und was wir unter dem verschleiernden Begriff „Genitalschneiden“ verstehen müssen

Ayaan Hirsi Ali, 28.4.2017, Fox News

Die jüngsten Nachrichten, dass ein Geschworenengericht in Michigan drei Personen wegen weiblicher Genitalverstümmelung verurteilt hat, darunter zwei Ärzte, ist eine willkommene Entwicklung. Als allererste Strafverfolgung dieses Verbrechens in den Vereinigten Staaten wirft der Fall dringend benötigtes Licht auf eine versteckte Menschenrechtsverletzung, die schon viel zu lange vor sich geht. Weibliche Genitalverstümmelung ist bewusst versteckt worden von denjenigen, die sie hier ausüben, oder ihre Töchter während der Sommerferien nach Übersee bringen, um sie außerhalb des Gesetzes verstümmelt zu können.

Dennoch werden tollpatschige Versuche, kulturell sensibel zu erscheinen, wie die New York Times, die über diese Geschichte berichtet, diese Themen noch tiefer im Untergrund versinken lassen. Der Gesundheits- und Wissenschaftsredakteur der Zeitung schrieb, die weibliche Genitalverstümmelung als ‚Genitalschnitt‘ zu bezeichnen sei weniger ‚kulturell belastet‘ und trage dazu bei, die Kluft zwischen denen zu schließen, die FGM praktizieren und denjenigen, die sie bekämpfen. In ihren Augen ist es ein Fall von Afrika gegen den Westen.

Als Afrikanerin, die FGM unterworfen wurde, die jetzt im Westen lebt, erlauben Sie mir, diese Kluft zu überbrücken, indem ich Ihnen erkläre, wovon wir reden, wenn wir das doppeldeutige Wort „Genitalschnitt“ benutzen.

Es gibt fünf Arten von weiblicher Genitalverstümmelung bei Mädchen, durchgeführt teilweise bereits bei Fünfjährigen. Vier von ihnen sind unzweifelhaft Verstümmelung, und die andere ist dafür gedacht, Verstümmelung zu symbolisieren. Ich fange mit dem mildesten an.

1. Der ‚Schnitt‘: Das Mädchen wird niedergehalten, ihre Beine auseinander gedrückt und eine Nadel wird benutzt, um in ihre Klitoris zu stechen. Der Schnitt ist ähnlich wie ein Schnitt-in-den-Finger-Bluttest für Diabetes, Blut kommt heraus und das Mädchen gilt als „gereinigt“. Oft gibt es ein Ritual mit einer kleinen Party, um den Vorgang zu feiern.

2. ‚Weibliche Beschneidung‘: Die zweite Stufe in Sachen Schwere wird oft mit der männlichen Beschneidung verglichen. Die Klitorisvorhaut wird abgeschnitten, in manchen Fällen wird die Spitze der Klitoris abgeschnitten, bekannt als Klitoridektomie. In dieser Form wird ein sonst normal funktionierendes Körperteil abgeschnitten und weggeworfen. Die Entstellung der Genitalien eines kleinen Mädchens auf diese Weise kann rational nicht anders als mit Verstümmelung bezeichnet werden.

3. Zwischen-Infibulation: In der dritten Form von FGM wird so viel von der Klitoris wie möglich ausgegraben und entfernt. Die inneren Schamlippen werden abgeschnitten und die äußeren Schamlippen werden zusammengenäht und lassen zwei kleine Löcher zum Wasserlassen und zur Menstruation zurück. An Orten, wo dies ohne „medizinische Intervention“ getan wird, sind bekanntermassen Mädchen zu Tode verblutet. Nach der Infibulation ist nicht sichtbar, was geschehen ist, wenn das Mädchen mit geschlossenen Beinen aufrecht steht, aber in der Frauenarztstellung ist es deutlich sichtbar, dass Teile ihrer Genitalien entfernt und zugenäht wurden.

Leider sind wir gerade erst halb durch die Liste hindurch und die weibliche Genitalverstümmelung wird übler. Kein Zweifel, diese Praktiken im Detail darzustellen, ist verstörend, doch es ist entscheidend, dass wir offen über das sprechen, was vorgeht, statt es in Euphemismen zu verhüllen, um niemanden in seinen Gefühlen zu verletzen.

4. Gesamt-Infibulation: In der vierten Art von FGM werden die Klitoris und die inneren Schamlippen herausgeschnitten und die äußeren Schamlippen ebenfalls weggeschnitten oder abgeschabt und dann zugenäht. Wenn das Mädchen aufrecht steht, selbst wenn sie die Beine geschlossen hält, sehen ihre Genitalien deutlich anders aus.

5. Vaginalverschmelzung: Bei der fünften Art von FGM, über die nur selten geredet wird, wird alles von der vierten Art gemacht und dann werden die Innenwände der Vagina zerkratzt, um Blutungen zu verursachen und dann wird wiederum zugenäht. Die Füße des Mädchens werden zusammengebunden, um die beiden Seiten der Vagina mit Narbengewebe zu verschmelzen, um sie zusammenwachsen zu lassen und so zu verschließen. Kinder können dabei sterben.

Es ist schwer für Menschen außerhalb von Gemeinschaften, die FGM ausüben, zu verstehen, was da abläuft. Ein Beispiel, das mir im Laufe der Jahre geblieben ist, war eine Frau in den Niederlanden, die ich übersetzt habe. Ich begleitete sie, um einen Frauenarzt zu besuchen, da sie große Schwierigkeiten mit dem Wasserlassen und der Menstruation hatte. Sie zeigte dem Arzt ihre Genitalien, nachdem sie der fünften und schwersten Art von FGM mit vollständiger Entfernung ihrer Genitalien unterworfen worden war. Der fassungslose Arzt fragte, ob sie eine Verbrennung erlitten habe. Er konnte nicht glauben, dass das, was mit ihr geschehen war, vorsätzlich war, er nahm an, dass es ein schrecklicher Unfall gewesen sein musste. Aber es war kein Unfall.

Für Frauen wie sie habe ich die AHA-Foundation gegründet, als Ressource, um Frauen und Mädchen zu helfen, die die Kluft zwischen Welten und Kulturen wirklich überbrücken. Sie leben in den Vereinigten Staaten unter dem Schutz unserer Gesetze und Verfassung, leiden aber unter Menschenrechtsverletzungen, die aus Übersee importiert worden sind.

Das Ziel von FGM in all seinen Formen ist es, die weibliche Sexualität zu kontrollieren. Die Klitoris wird entfernt, um körperliche Freude am Sex zu nehmen und die Libido zu reduzieren. In seinen schwereren Formen, mit dem Zunähen der Genitalien, ist das Ziel, sicherzustellen, dass das Mädchen in ihrer Hochzeitsnacht eine Jungfrau ist. Viele Frauen müssen chirurgisch neu geöffnet werden (oder einfach mit einem Teppichmesser oder einer Rasierklinge), um ihre Ehe zu vollziehen. Die Konsequenzen von FGM sind andauernde psychologische und physische Schäden von Infektionen bis zu Fisteln und sogar dem Tod.

Sogar in seiner mildesten Form umfasst das ‚Schnitt‘ -Verfahren ein junges Mädchen, das von ihren Lieben niedergehalten wird und eine Nadel, die in eines ihrer empfindlichsten Körperteile gesteckt wird. In dem Moment, in dem dies geschieht, wird das Kind ‚geschlechtsreif‘, sie kann jetzt eine Versuchung sein für Männer, sie kann die so genannte ‚Ehre‘ ihrer Familie zerstören und muss sich in Gegenwart von Jungen auf bestimmte Weise verhalten, um ihre Bescheidenheit zu demonstrieren.

Die Debatte um das Schneiden, die zuvor abgeschlossen war, wurde im vergangenen Jahr wiederbelebt durch einen Artikel im Journal of Medical Ethics. Die Autoren behaupteten, dass die Vulva zu schneiden oder das Abschneiden der Klitorisvorhaut (FGM Formen 1 und 2 oben) weniger schädlich sind und von liberalen Gesellschaften toleriert werden sollten. Diese Praktiken, so schlagen sie vor, sind ethisch akzeptabel und keine Verletzung der Menschenrechte der Mädchen.

In der Tat, wie die New York Times argumentieren diese Akademiker, dass die Bezeichnung dieser bescheideneren Formen der FGM als ‚Verstümmelung‘ kulturell unsensibel sei und ‚wichtige kulturelle Praktiken‘ dämonisiere. Dennoch wird die Bedeutung dieser ‚bedeutenden Kulturpraktiken‘ nicht unter ihrer ‚ethischen Lupe‘ untersucht. Notorisch nehmen akademische und politisch korrekte Apologeten wie sie an, dass jeder Anspruch auf ‚Kultur‘ seinem Recht nach eine gute Sache ist und alle anderen Überlegungen übertrumpft.

Da ich sehe, wie sie so sehr zögern, Kritik zu üben an kulturellen Praktiken, abgesehen von jenen von ‚mächtigen, weißen Männern‘, werde ich das für sie tun. Der ‚Schnitt‘ symbolisiert und kommuniziert kleinen Mädchen, dass ihr natürlicher Zustand unrein ist und dass ihren Genitalien Schmerzen zugefügt werden müssen, um sie für ihre Gemeinschaften akzeptabel zu machen.

FGM ist das Symptom der schädlichen kulturellen Überzeugungen, dass Mädchen und Frauen sexuell rein und bescheiden sein müssen und dass ihr Körper ausschliesslich der Vermehrung dient. Ob es sich um eine Muslimin, Ägypterin, Inderin, Jüdin, Schwarze, eine Frau oder eine andere Kategorie handelt, die im identitätspolitischen Pantheon verehrt wird, diese Überzeugungen sind nicht mit liberalen Gesellschaften vereinbar, die sich dazu bekennen, die Menschenrechte ihrer Bürger zu gewährleisten.

Ich möchten jeden, der daran interessiert ist, diese barbarische Praxis, die in den Vereinigten Staaten geschieht, zu stoppen, dazu ermutigen, uns zu kontaktieren – www.ahafoundation.org.

Ayaan Hirsi Ali ist Gründerin der AHA-Foundation, die dafür da ist, Frauen und Mädchen vor Missbräuchen der in diesem Artikel beschriebenen Art zu schützen. Sie ist auch Forscherin an der Hoover Institution, Stanford.

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