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Wie die Berichterstattung aus Israel meine Weltanschauung für immer verändert hat

Hunter Stuart, 22.6.2017, Honestreporting.com

Ich wollte ein Journalist sein, seit ich mich erinnern kann. Der Journalismus schien immer so wichtige Arbeit zu sein, die Voreingenommenheit der Völker herauszufordern und den Bürgern harte Wahrheiten nahe zu bringen, um sie ehrlich und informiert zu halten.

Seit ich zwei Wochen in Ägypten als Teenager verbracht habe – das war im Januar 2001, weniger als ein Jahr vor 9/11 – habe ich davon geträumt, ein freiberuflicher Reporter im Nahen Osten zu sein. Ich war fasziniert vom Terrorismus, von der Idee, dass jemand etwas so sehr glaubt, dass er sein Leben dafür geben würde. Jeder Journalist will die großen Stories abdecken, und ich dachte, der Nahe Osten sei die größte Story der ganzen Erde.

Also beschloss ich, zu gehen. Im Jahr 2015, im Alter von 32 Jahren, sahen meine Frau und ich eine Karte des Nahen Ostens und wählten Jerusalem als unser neues Zuhause. Nicht nur war die Stadt westlich und relativ sicher, sie war ein Steinwurf vom öffentlichsten Konflikt der Welt entfernt. In diesem Sommer verließen wir unsere Arbeit in New York City und zogen nach Israel.

Matti Friedman

Der öffentliche Hunger nach Nachrichten aus Israel-Palästina ist fast bodenlos, und es war nicht schwer für mich, nach dem Umzug nach Jerusalem Arbeit zu finden. Ich habe schnell angefangen, Stories an die Nachrichtenagenturen in den USA, Großbritannien und Australien, sowie Al Jazeera Englisch, das in Katar beheimatet ist, zu verkaufen.

Es war für mich sofort offensichtlich, dass die meisten dieser Organisationen Nachrichten wollten, die das Leiden der Palästinenser hervorhoben und die Schuld für dieses Leiden Israel auferlegten. Wie Matti Friedman, ein ehemaliger Redakteur des Jerusalem-Büros der Associated Press, im The Atlantic im Jahr 2014 schrieb, sehen die Nachrichtenmedien „die Israel-Geschichte“ als eine Geschichte des jüdischen moralischen Versagens. Ereignisse, die dieses Narrativ nicht unterstützen, werden oft ignoriert.

Ich war zufrieden damit, in meinen ersten Monaten in Israel diese Story zu erzählen, weil ich es auch glaubte. Wie ich vor kurzem im The Jerusalem Report schrieb, hatte ich eine tief negative Sichtweise auf den jüdischen Staat, bis ich dort hingezogen bin. Ich bin in einer sehr weissen Stadt in New England aufgewachsen, wo jeder ein liberaler Demokrat ist. Aus irgendeinem Grund ist die Feindseligkeit gegenüber Israel in den USA (und in ganz Europa) eine reflexartige linke Meinung. Als Produkt meiner Umgebung glaubte ich, dass Israel ein Tyrann und das primäre Hindernis für den Frieden im Nahen Osten war.

Doch Außenpolitik sieht immer anders aus, wenn sie lokal wird, und nirgendwo ist das wahrer als in Israel. Ich begann das an einem sonnigen Nachmittag nicht lange nach meinem Umzug nach Jerusalem zu sehen. An diesem Tag ging ich an eine palästinensische Demonstration vor einem israelisch geführten Gefängnis bei Ramallah, um darüber zu berichten. Ein Reporter für The Independent und ich fuhren dort hinaus und gerieten in eine Gruppe von etwa 100 palästinensischen Demonstranten, die auf das Gefängnis zumarschierten.

Als sie ankamen, kamen etwa ein halbes Dutzend israelische Soldaten heraus, um ihnen zu begegnen. Die Palästinenser richteten schnell eine Straßensperre von brennenden Reifen ein, um zu verhindern, dass die Israelis entkamen. Immer mehr Demonstranten kamen dazu  – ich weiß nicht von wo – aber ich sah sie bald über die Hügel über dem Gefängnis schwärmen, in Gesichtsmasken und Keffiyehs gekleidet. Es war wie eine Szene aus Game of Thrones. Manche hatten Messer in ihren Gürteln. Andere hatten Zutaten für Molotow-Cocktails. Sie nahmen Positionen auf den Hügeln oberhalb des Gefängnisses ein und begannen mit starken Schleudern Steine und Betonbrocken auf die sechs oder so israelischen Soldaten unten zu schleudern. Die Israelis waren so in der Unterzahl, dass ich nicht umhin konnte, das Narrativ, dass Israel Goliath war und die Palästinenser David, zu hinterfragen, weil es hier vor mir wie das genaue Gegenteil aussah.

Fotojournalisten dokumentieren Aufstände von palästinensischen Demonstranten in der arabischen Nachbarschaft von Silwan, Ost-Jerusalem; Teil einer Fotoreportage, die zeigt, was alle Mainstream-Medien zu dokumentieren vermeiden: die Anwesenheit des Fotografen und sein Einfluss auf die Ereignisse. Foto von Ruben Salvadori / Flash 90

Als ich einige Monate später den Gaza-Streifen besuchte, sah ich wieder den Unterschied zwischen dem, wie Journalisten einen Ort darstellen, und der Realität. Wenn man die Nachrichten über Gaza liest, dann denkt man, der ganze Ort liegt in Trümmern, dass es mehr oder weniger wie Homs oder Aleppo aussieht. In Tat und Wahrheit ist Gaza aber nicht anders als irgend ein anderer Ort der arabischen Welt. Während acht Tagen im Streifen sah ich kein einziges kriegsgeschädigtes Gebäude, bis ich danach fragte. Als Reaktion darauf fuhren sie mich nach Shujaya, einer Nachbarschaft von Gaza-Stadt, die eine bekannte Hamas-Festung ist und noch immer sichtbar beschädigt ist vom Krieg von 2014.

War die Zerstörung in Shujaya schockierend? Ja. Aber es war sehr lokal und keineswegs bezeichnend für den Rest von Gaza. Der ist nicht anders als viele Entwicklungsländer: die Menschen sind arm, aber sie schaffen es, sich selbst zu versorgen und sogar sich gut zu kleiden und die meiste Zeit glücklich zu sein. Eigentlich gibt es Teile des Streifens, die ganz nett sind. Ich war essen in Restaurants, wo die Tische aus Marmor sind und die Kellner Westen und Krawatten tragen. Ich sah riesige Villen am Strand, die in Malibu nicht fehl am Platze wären, und – direkt gegenüber – besuchte ich eine neue, 4-Millionen-Dollar-Moschee.

Haben die Gazaner einige unglaubliche Schwierigkeiten? Da können Sie darauf wetten! Leben die meisten von ihnen in zerstörten Gebäuden, offen für die Elemente, wie die Zeitungen es oft darstellen? Absolut nicht. Ich gönne ihnen ihre Marmortische oder ihre Strandvillen. Wie jeder andere, wollen sie sich wohl fühlen und das Leben genießen. Aber ich finde es seltsam, dass nicht einmal gelegentlich ausländische Nachrichtenorganisationen einen Artikel über Gazas wohlhabende Nachbarschaften oder Millionen-Dollar-Moscheen bringen. Aber nein, sie ziehen es vor, sich auf die winzige Minderheit des Streifens zu konzentrieren, die noch immer vom Krieg mit Israel von 2014 beschädigt ist (ein Krieg, den übrigens die Hamas angefangen hat), denn das ist es, was das Narrativ bestätigt, dass Israel eine Supermacht ist, die Araber für ihre eigenen egoistischen Zwecke brutalisiert und das ist das Narrativ, das zu viele Menschen hören wollen.

Hunter Stuart (Foto: Damon Dahlen/HuffPost)

Unbesehen der Tatsache, dass Pressefreiheit in Gaza und anderswo in der arabischen Welt praktisch inexistent ist. In vielerlei Hinsicht war der Versuch, aus Gaza zu berichten, eine absurde und gefährliche Bemühung. Während einer einzigen Woche in Gaza bekam ich bei zwei separaten Gelegenheiten Schwierigkeiten mit der Hamas, weil ich ihre strengen Presseregeln gebrochen hatte. Bei der ersten Gelegenheit waren meine Helferin und ich an der Strandpromenade in Gaza-Stadt und interviewten Passanten über eine bevorstehende Wahl in Gaza (die später abgesagt wurde, nicht überraschend, da die meisten arabischen Führer Demokratie hassen). Nach etwa 15 Minuten kam ein junger Kerl in einem T-Shirt und einer Latzhose zu uns und führte ein unangenehmes Gespräch auf Arabisch mit meiner Helferin, worauf mir meine Helferin sagte, dass wir sofort abreisen müssten, weil der Mann ein Hamas-Geheimdienstler sei und unzufrieden mit uns war, weil wir den Leuten politische Fragen stellten.

Bei der zweiten Gelegenheit fotografierten meine Helferin und ich in Shujaya zerstörte Gebäude, als zwei Hamas-Soldaten, von denen keiner ein Tag älter als 25 Jahre alt war, buchstäblich zu unserem Wagen hinüber rannten, unsere IDs nahmen, meine Kamera beschlagnahmten und uns zu einer Militärkaserne eskortierten, in der eine Gruppe von Beamten der Hamas uns ausführlich befragte, wer wir seien und was wir dort gemacht hätten. Sie sahen sich jedes Foto auf meiner Kamera an, bevor sie uns erlaubten, zu gehen. Meine Helferin war sichtlich erschüttert. Ich konnte es ihr nicht verdenken: Die Hamas verhaftet oft, schlägt und manchmal foltert sie sogar Journalisten, die Dinge sagen, die sie schlecht aussehen lassen.

* * *

Während ich in Israel lebte, bemerkte ich, dass viele Journalisten sich selbst als Anwälte betrachteten. Sie sprachen vom Journalismus als einer Möglichkeit, dem Underdog eine Stimme zu geben, und für zu viele von ihnen waren die Palästinenser der Underdog. Guter Journalismus, natürlich, vertritt keinen Standpunkt. Er sagt die Wahrheit, unabhängig davon, wer dabei gut und wer schlecht aussieht. Weil die Wahrheit keine Gefühle hat.

Angesichts dessen ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass Reporter in Israel und den palästinensischen Gebieten den Mitarbeitern der Menschenrechtsagenturen Nahe stehen. Sie bewegen sich in denselben sozialen Kreisen, gehen zusammen essen und trinken. Vielleicht ist das der Grund, warum fast jeder Artikel im Internet über Israel ein Zitat der Vereinten Nationen, von Amnesty International, Human Rights Watch oder anderen NGOs enthält. Als Reporter ist es einfach, diese Gruppen zu zitieren, weil sie alle Informationen, die Sie benötigen, in einer zugänglichen, leicht verständlichen Weise zur Verfügung stellen.

Ich bewundere viel von der Arbeit, die diese NGOs leisten. Das Problem ist, dass sie oft in einer Weise handeln, die gegen Israel voreingenommen ist. Zu oft lasten sie die Schuld für das palästinensische Leiden Israel an, anstatt, sagen wir, die Schwäche und Korruption der palästinensischen Führer zu benennen, die eindeutig einen großen Teil der Schuld für den Schmerz ihres Volkes tragen. Diese Gruppen haben jeweils ihre eigene Agenda, aber da ihr der Öffentlichkeit zugängliches Gesicht ansprechend ist, da sie sich als Sprecher der Unterdrückten gebärden, nehmen sie die meisten Linken, die in den USA und Europa leben, beim Wort.

* * *

Eineinhalb Jahre lang als Reporter in Israel zu arbeiten zerbrach meinen Glauben an den Journalismus nicht. Aber es hat meine Skepsis erhöht, dass er in der Welt Gutes tun kann. Acht Jahre Arbeit für die Nachrichtenmedien hat mich mehr und mehr beunruhigt, wie partisanenhaft er geworden ist. News-Verlage zielen in diesen Tagen auf Millenials auf Social Media, die lieber ihre eigenen Meinungen bestätigt sehen wollen als einen Artikel, der ausgewogen und objektiv ist. Diese Zuschauer wollen ihre Vorurteile nicht herausgefordert sehen. Wenn die Medien nur existieren, um zu bestätigen, was wir bereits glauben, werden wir nur mehr gespalten, und es wird nur mehr und mehr Konflikte auf der Welt geben.

Hunter Stuart ist Journalist und Schriftsteller mit mehr als 8 Jahren Berufserfahrung und arbeitet derzeit als Senior Editor bei Dose Media in Chicago. Er war ein angestellter Reporter und Redakteur der Huffington Post in New York von 2010-2015. Zuletzt arbeitete er 1,5 Jahre als freiberuflicher Reporter im Nahen Osten, wo er für Vice, The Jerusalem Post, Al Jazeera English, International Business Times und andere schrieb. Seine Berichte sind auch auf CNN, Pacific Standard, Daily Mail, Yahoo News, Slate, Talking Points Memo und The Atlantic Wire erschienen.

Fotos: Ruben Salvadori / Flash 90

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