Obstlt d. Res. Dr. Mordechai Kedar, 11.9.2017, BESA-Center
Aus dem Englischen von Daniel Heiniger
ZUSAMMENFASSUNG: Europa, das torkelt unter aufeinander folgenden Flüchtlings- und Migrantenwellen, braucht dringend das Ende des syrischen Bürgerkriegs, der sich zum ersten Mal abzeichnet. Doch der entstehende Frieden wird die Auswanderung nur noch verstärken.
Irregeführt durch den Nebelvorhang des Krieges gegen ISIS, bemerkte die Welt nicht, dass Teheran beträchtliche Teile Syriens übernommen hat, besonders im dünn besiedelten Zentrum und Osten des Landes. Die iranische Übernahme wird von schiitischen, irakischen, afghanischen und iranischen Milizen, vor allem aber von der libanesischen Hisbollah umgesetzt. Diese Gruppe hat freie Hand bekommen, alles zu tun, was ihrem Führer Hassan Nasrallah im Westen Syriens, dem fruchtbareren Teil des Landes und der Heimat des Großteils der Bevölkerung, gefällt.
Während ISIS und die übrigen Rebellen schwächer werden, gewinnt Bashar al Assad an Stärke. Die Brutalität der russischen Intervention und die Grausamkeit der schiitischen Milizen haben seine Gegner überwältigt. Die Gezeitenwende kam 2015, als die Russen Ankara zwangen, die Unterstützung der Rebellen und von ISIS einzustellen; und während Erdogan keine andere Wahl hatte, als mit den Russen mitzugehen, sieht der Alawiten-Assad ihn – zu Recht – immer noch als islamistischen Feind an.
Die Kurden, die im Nordosten Syriens leben, werden nie wieder zustimmen, den Arabern ausgeliefert zu sein, da sie bis 2011 als Staatsbürger der Klasse D gelebt haben. Daher kann vernünftigerweise davon ausgegangen werden, dass selbst wenn Syrien ein Land unter Assads Herrschaft bleibt, die Kurden ihre Enklave weitgehend autonom halten oder gezwungen sein werden, gegen das Regime um ihre Rechte zu kämpfen. Das größere Problem des vereinten Syriens wird jedoch der drastische demografische Wandel sein, dem es sich unterziehen wird.
Etwa die Hälfte der syrischen Bürger – etwa zehn Millionen Menschen – sind zu Flüchtlingen geworden. Ungefähr die Hälfte von ihnen befindet sich innerhalb Syriens und die andere Hälfte außerhalb. Diejenigen im Ausland sind in Jordanien, der Türkei, dem Libanon, anderen arabischen Ländern, in Europa, Nord- und Südamerika, Australien und sogar in Israel.
Grob gesagt werden alle syrischen Flüchtlinge, die Länder außerhalb der arabischen Welt erreicht haben, dort für immer bleiben, denn das Leben in diesen Ländern ist geordnet und sicher. Die Flüchtlinge in Jordanien, im Libanon und in der Türkei – insgesamt etwa 3,5 Millionen Syrer – warten jedoch auf das Ende des Krieges, damit sie nach Hause zurückkehren können.
Der demographische Genius, syrischer Stil
Doch die Realität in Syrien ändert sich völlig, und eine massive Rückkehr der syrischen Flüchtlinge aus diesen Ländern ist schwerlich denkbar. Dafür gibt es zwei Hauptgründe. Erstens wurden in den sechs Jahren des brutalen und blutigen Krieges große Teile der syrischen Städte durch Luftbombardierungen, Fassbombenabwürfe von Hubschraubern aus, Artillerie- und Panzermunition, Sprengsätze und Minen in Schutt und Asche gelegt. Die Kämpfe, das sollte man bedenken, fanden vor allem in aufgebautem Gebiet statt. In den meisten Städten und Gemeinden Syriens sind die Strom-, Wasser-, Abwasser- und Kommunikationsinfrastrukturen teilweise oder vollständig zerstört. Hunderttausende von Gebäuden sind nicht mehr bewohnbar. Ganze Stadtviertel in Homs, Hama, Aleppo, Idlib und vielen anderen Städten müssen eingeebnet und neu aufgebaut werden. Es wird Jahrzehnte und viele Billionen Dollar brauchen, um das Land zu rehabilitieren, und man wird kaum sehen, dass die Nationen der Welt Schlange stehen, um Mittel beizusteuern. Die Flüchtlinge werden sich nicht damit einverstanden erklären, das Zelt in Jordanien gegen eine Ruine ohne Infrastruktur im zerstörten Syrien einzutauschen.
Doch es gibt noch einen weiteren Grund, warum die Flüchtlinge nicht zurückkehren werden: die Angst der sunnitischen Flüchtlinge vor den neuen Herren des Landes, den Schiiten. Über eine beträchtliche Zeit hat der Iran schiitische Bürger aus dem Irak, Iran und Afghanistan nach Syrien transferiert. Seine klare Absicht ist es, die demografische Zusammensetzung des Landes entscheidend zu verändern, so dass es anstelle der sunnitischen Mehrheit, die es bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs 2011 besaß, eine schiitische Mehrheit haben wird. Dies ist zweifellos der Fall, denn die syrischen Herrscher der Alawiten wissen, dass die sunnitische Mehrheit sie als Ketzer und Götzendiener ansieht, die kein Recht haben, im Land zu leben, geschweige denn zu regieren.
Zweimal haben die Sunniten gegen ihre Regierung rebelliert. Das erste Mal war von 1976 bis 1982, und diese Rebellion kostete etwa 50.000 Zivilisten das Leben. Die zweite ist die derzeitige Rebellion, die bisher etwa eine halbe Million Männer, Frauen und Kinder das Leben gekostet hat. Die Alawiten wollen einen dritten Aufstand verhindern, und der sichere Weg dazu ist, die Bevölkerungsstruktur von einer sunnitischen Mehrheit in eine schiitische umzubauen. Folglich erlauben sie Sunniten nicht, in ihre Häuser zurückzukehren. Stattdessen werden sie sie zu dauerhaften Flüchtlingen machen, die Angst davor haben, in ein Land zurückzukehren, das von ihren Feinden eingenommen wurde.
Diese ethnische Säuberung fördert den Traum der Ayatollahs von der Schaffung eines schiitischen Korridors vom Iran über den Irak und Syrien bis zum Libanon und dem Mittelmeer. Dieser Korridor wird den (östlichen) arabischen Maschrik von Norden umkreisen, und der Krieg im Jemen soll einen komplementären Korridor vom Süden her schaffen. Zwischen den Korridoren werden die beiden Königreiche Saudi-Arabien und Jordanien gefangen gehalten, bis sie schließlich zusammen mit Israel, dem „kleinen Satan“, in die Hände der Schiiten fallen. Europa und Amerika werden nichts tun, denn wer schert sich dort schon darum, wenn Moslems gegen Moslems kämpfen?
Die Schiitenmehrheit, die in Syrien entsteht, wird auch den Zielen der libanesischen Hisbollah zupass kommen, für die diese Schiiten natürliche Partner sind. Die wärmer werdenden Bindungen zwischen dem schiitischen Syrien und dem Libanon könnten zu einer Art föderativer Union zwischen den beiden führen und Libanons christliche Gemeinschaften dadurch marginalisieren und sie „überreden“, in andere Länder zu fliehen und den Libanon seinen Schiiten-Besitzern zu überlassen. Das ist der reale Grund für Nasrallahs Begeisterung über den Krieg auf syrischem Boden, und es ist auch der Grund, warum Hisbollahs Gegner gegen seine Beteiligung dort Einwände haben.
Das Flüchtlingsproblem wird nur schlimmer werden
Die neue demografische Situation in Syrien wird die sunnitischen Flüchtlinge davon überzeugen, dass sie nichts mehr haben, wohin sie zurückkehren können. Sie werden daher alles in ihrer Macht Stehende tun, um von Jordanien, dem Libanon und der Türkei in jedes Land der Welt zu gelangen, das sich bereit erklärt, sie anzunehmen, vorzugsweise nach Europa oder Nordamerika. Dies könnte durchaus zu einem entgegengesetzten Prozess führen, wie er sich aus dem syrischen „Frieden“ ergeben sollte: Anstelle einer Rückkehr der Flüchtlinge wird es wahrscheinlich eine Massenflucht von noch mehr Flüchtlingen und sunnitischen Bürgern geben.
Neben dem Flüchtlingsproblem, das die Welt seit einiger Zeit quält, wird es in den Ländern, die die Flüchtlinge aufnehmen, aus verschiedenen Gründen zu einer Verschärfung des islamischen Terrors kommen.
Erstens werden ehemalige Kämpfer von ISIS und anderen Rebellengruppen, alles Sunniten, der Migrationswelle beitreten. Sie werden großen Zorn und brennenden Hass gegen die westlichen Staaten, die an der Anti-ISISIS-Koalition teilgenommen haben oder die den Rebellen nicht geholfen haben, mit sich bringen. Einige dieser Kämpfer werden ihren Dschihad auf europäischem und nordamerikanischem Boden mit Waffen, Sprengstoff und Fahrzeug-Ramm-Attacken fortsetzen.
Darüber hinaus werden einige der Flüchtlinge in den Ländern, in die sie eingewandert sind, keine Arbeit finden und am Rande der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung leben. Sie werden Teil armer islamischer Stadtviertel werden, von denen viele seit Jahren in westeuropäischen Städten existieren, in denen sich die örtliche Polizei fürchtet, sie zu betreten. Armut und das Leben am Rande machen aus einigen jungen Muslimen leichte Beute für Terrorrekrutierer, die den Dschihad-Drang in ihnen wecken, indem sie die absorbierende Gesellschaft als verrottet und von Promiskuität, Prostitution, Alkohol, Drogen, Materialismus und Korruption überrannt darstellen. Jene Gesellschaften, argumentieren die Rekrutierer, benutzen die Immigranten als Sklaven für Fabriken, Garagen, Geschäfte und demütigende und erniedrigende Service-Berufe, während die Eingeborenen ausbeuterische Rechtsanwälte, Buchhalter, Geschäftsleute und Inhaber der Häuser und Wohnungen sind. Die Rekrutierung muslimischer Jugendlicher, insbesondere derjenigen, die in öffentlichen Schulen gelernt haben, dass „alle gleich sind“, ist nur eine Frage der Zeit.
Die flüchtlingsabsorbierenden Länder werden einen damit einhergehenden Anstieg der Kriminalität erleiden: Gewalt im öffentlichen Raum, sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe, Einbrüche, Autodiebstähle, Drogen- und Alkoholkonsum sowie inoffizielle, unversteuerte (Schwarz-) Arbeit. Dies wird zusätzlich zum illegalen Bauen hinzukommen, zusammen mit einem Anstieg der öffentlichen Ausgaben für soziale Dienstleistungen für Migranten im Zusammenhang mit Kindern, Arbeitslosigkeit, Überalterung und Gesundheit. Bereits heute liegt die Rate der Einwanderer der ersten und zweiten Generation in den westeuropäischen Gefängnissen deutlich über derjenigen der Gesamtbevölkerung.
Die Verschärfung der wirtschaftlichen, sozialen und sicherheitspolitischen Probleme in Europa und Nordamerika infolge der zunehmenden Zuwanderung wird den Anstieg der Rechten und der extremen Rechten weiter verstärken, was wiederum die sozialen und politischen Spannungen im Westen verschärfen wird. Abgeordnete, deren einziger Wunsch es ist, wiedergewählt zu werden, werden ihre parlamentarische Tätigkeit – und insbesondere die von ihnen geförderten Gesetze – auf die Erwartungen der Wahlkreise abstimmen, die muslimisch werden und die Interessen ihres eigenen Volkes auf dem Altar ihrer politischen Laufbahn opfern. Viele Europäer, die sich des Verrats ihrer Politiker bewusst sind, werden die Hoffnung verlieren und aus sozial und wirtschaftlich rückläufigen Ländern auswandern, und diese Flucht wird die Transformation Europas in eine neue, weitere islamische Region weiter beschleunigen.
Daher, ohne dass die Welt begreift, was geschieht, werden die Arrangements, die Russland und der Iran jetzt Syrien auferlegen, eine Kettenreaktion auslösen, die einen größeren Zustrom von Flüchtlingen und den unumkehrbaren Abstieg Europas nach sich zieht. Der Atlantische Ozean ist nicht breit genug, um Nordamerika vor dieser Katastrophe zu schützen. So planen die iranischen Ayatollahs, den ungläubigen, freizügigen, betrunkenen, materialistischen Westen zu zerstören: indem sie weitere Millionen von erbärmlichen Syrern in das Land der Häresie verbannen, der Nemesis der Ayatollahs. Auf dem Boden Syriens hat Teheran sowohl Europa als auch Amerika besiegt.
Dr. Mordechai Kedar ist Senior Research Associate am Begin-Sadat Center for Strategic Studies. Er war 25 Jahre lang im IDF-Armeegeheimdienst tätig und spezialisierte sich auf Syrien, den arabischen politischen Diskurs, arabische Massenmedien, islamische Gruppen und israelische Araber. Er ist Experte für die Muslimbruderschaft und andere islamistische Gruppen.
Auf Deutsch übersetzt und publiziert mit freundlicher Genehmigung des BESA Centers.