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Der anhaltende Einfluss der Nazis auf die Einstellung der Araber

Interview mit dem Politikwissenschaftler Dr. Matthias Künzel: „Der Einfluss der Nazis auf den Nahen Osten wird von Nahost- und Islamwissenschaftlern fast systematisch übersehen“.

Dr. Manfred Gerstenfeld, 11.10.2013, Arutz Sheva
aus dem Englischen von Daniel Heiniger

Dr. Manfred Gerstenfeld Er ist Vorstandsmitglied und ehemaliger Vorsitzender des Jerusalem Center for Public Affairs und Träger des LIfetime Achievement Award (2012) des Journal for the Study of Anti-Semitism.

„Bedeutende Elemente des Einflusses Nazi-Deutschlands auf den Nahen Osten sind bis heute erhalten geblieben. Dies betrifft auch die aktuellen Konflikte in der Region.

„1937 schlug Großbritannien vor, Palästina in einen beträchtlichen arabisch-muslimischen Staat und einen viel kleineren jüdischen Staat zu unterteilen nach dem Peel-Plan. Dieser Schritt alarmierte die nationalsozialistische Führung in Berlin. Danach begann sie, große Gelder zu investieren, um Araber gegen die Juden zu mobilisieren. In Ägypten zum Beispiel investierte Nazi-Deutschland mehr Geld in die Muslimbruderschaft als in irgendeine andere antibritische Organisation. Gleichzeitig lieferten sie Geld und Waffen an den Mufti von Jerusalem, Haj Amin el-Husseini in Palästina.“

Dr. Matthias Künzel ist deutscher Politikwissenschaftler und Autor zahlreicher Bücher. Eines von ihnen beschäftigt sich mit dem Dschihad und Antisemitismus. Er lebt in Hamburg.

„Mitte der 1930er Jahre waren die gemäßigten palästinensischen arabischen Kräfte, die eine Koexistenz mit den Zionisten anstrebten, noch nicht an den Rand gedrängt. Das änderte sich mit der enormen nationalsozialistischen Unterstützung für die Islamisten. Der Mufti zerstörte oder vertrieb gemäßigte Palästinenser beim arabischen Aufstand von 1936-1939. Die Muslimbruderschaft in Ägypten nutzte die Unruhen in Palästina für antisemitische Kampagnen, die es ihnen ermöglichten, eine riesige Organisation zu werden. Ihre Mitgliederzahl stieg von 800 im Jahr 1936 auf 200.000 im Jahr 1938.

„Im April 1939 begann Deutschland, antisemitische Propaganda auf Arabisch, Persisch, Türkisch und Hindi zu verbreiten. Sein moderner Kurzwellensender Radio Zeesen wurde in der arabischen Welt besser empfangen als jeder andere. Von 1939 bis 1945 strahlte er täglich professionelle antisemitische Programme aus. Sie wurden vermischt mit Zitaten aus dem Koran und arabischer Musik.

„Die Alliierten wurden als von den Juden abhängig dargestellt, die als größter Feind des Islam dargestellt wurden. Das Programm verkündete: ‚Der Jude ist unser Feind, und ihn zu töten, macht Allah Freude.‘ Auf diese Weise radikalisierte die deutsche Propaganda den bestehenden Judenhass unter den Muslimen.

„Verschiedene Zeugnisse aus dieser Zeit deuten darauf hin, dass diese Sendungen weithin gehört wurden. Ein arabischer Informant der Jewish Agency berichtete, dass er am 7. Oktober 1939 an einem Café in Jaffa vorbeikam. Viele Araber standen herum und hörten Radio Zeesen. Genauso wie die Menschen auf den Balkonen in der Nähe.

„Der iranische Schriftsteller Amir Cheheltan schrieb, dass es üblich sei, dass Passanten auf den Bürgersteigen um den Eingang von Teehäusern in Teheran herumstehen und auf Radio Zeesen Sendungen über den Fortschritt der deutschen Armee hören. Er schrieb: ‚Diese Sendungen inspirierten die Phantasie der Massen auf der Straße. Jeder deutsche Sieg bedeutete eine Niederlage der Kolonialmächte, der Sowjetunion und Großbritanniens, die sie mit Beifall begrüßten.‘

Radio Zeesen trug dazu bei, dass immer mehr Teile der arabischen Welt den Nahostkonflikt durch die antisemitische Perspektive der Deutschen wahrnahmen. Als Nazi-Deutschland 1945 besiegt wurde, standen dessen wichtigste Agenten im Nahen Osten an der Spitze ihrer Macht.

„Die Muslimbruderschaft in Ägypten hatte etwa 500.000 Mitglieder. 1946 begrüßten sie Al-Husseini, der sich aktiv für den Holocaust eingesetzt hatte. Sie nannten ihn einen ‚Helden‘, der mit Hilfe Hitlers gegen den Zionismus gekämpft habe. Sie erklärten: ‚Deutschland und Hitler sind nicht mehr da, aber Amin al-Husseini wird diesen Kampf fortsetzen.‘

„Die Haltung der ägyptischen Muslimbrüder und des Mufti von Jerusalem hatte einen großen Einfluss auf die arabische Ablehnung des UNO Teilungsplans für Palästina. Dasselbe galt für den Ausbruch des Krieges 1948, der die Zerstörung Israels als Hauptziel sah. Ihre Ursprünge liegen im Antisemitismus, den Deutschland zwischen 1938 und 1945 systematisch gefördert hatte und der vom Mufti und der Muslimbruderschaft zwischen 1946 und 1948 weiter vorangetrieben wurde.

„Es gibt viele Indikatoren, die die Kontinuität des Einflusses des nationalsozialistischen Denkens in der arabischen Welt bis heute belegen. Viele arabische antisemitische Karikaturen ähneln denen der Nazizeit. Es gibt zahlreiche großformatige Publikationen von Hitlers Mein Kampf mit der dazugehörigen Hitlerverehrung. Häufig findet man dort die Leugnung des Holocaust oder die Förderung eines neuen Holocaust.

„Dennoch wird dieser Nazi-Einfluss auf den Nahen Osten von Nahost- und Islamwissenschaftlern, auch von deutschen, fast systematisch übersehen. Radio Zeesen zum Beispiel ist ein Thema, das staatlich geförderte deutsche Institute wie das Zentrum für Antisemitismusforschung oder das Zentrum Moderner Orient ignorieren“.

Kuentzel schlussfolgert: „Die Grundannahme ist offenbar, dass ausschliesslich die israelische Politik den Antisemitismus in der Region verursacht haben muss. Was diesem Axiom des ‚politisch korrekten‘ – d.h. Israel ist schuldig – widerspricht, wird nicht berücksichtigt. Das liegt nicht nur daran, dass man nicht informiert ist. Es ist ein Ausdruck aktiver und bewusster, gezielter Ignoranz – der Korruption von Wissenschaft und Wahrheit.“

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