Netzfund, 7.9.2018, Facebook
(einer meiner Facebook-Freunde, der anonym bleiben möchte)
Die NPD. Das rechtsradikal-völkische Ungetüm an sich. Jahrzehntelang das Lieblingsschlachtfeld aller Parteien und Organisationen. Die Welt soll sehen, das Deutschland nun zu den Guten zählt. Nirgends herrscht deshalb so viel Einigkeit wie beim Willen, das kaum jemals irgendwo gewählte Häuflein gescheitelter Spinner als Erzfeind der demokratischen Grundordnung zu bekämpfen. Mit millionenschwerem Aufwand wird jahrelang untersucht, studiert, erörtert, beobachtet, begutachtet. Nahezu liebevoll wird das fast vertrocknete, braune Pflänzchen gehegt. V-Männer werden als Gärtner beauftragt. Schließlich ist die NPD vollständig zur Kleingartensparte mutiert. Mit einem Vorstand, der sich namentlich kaum noch von einer Gehaltliste des Verfassungsschutzes unterscheidet. Als die angerufenen Hüter der Verfassung in Karlsruhe genau dies höchstrichterlich feststellen und ein Parteiverbot wegen schlichter Irrelevanz ablehnen, herrscht Katerstimmung.
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Sebnitz 1997. Ein Junge ertrinkt in einem Spaßbad. Drei Jahre später erscheint die Geschichte plötzlich als Drehbuch zu einem Nazi-Thriller auf der medialen Bildfläche. Der Plot – ein Sechsjähriger, von einer Horde Neonazis jämmerlich in einem Spaßbad ertränkt, vor den Augen der Badegäste. Die Geschichte macht monatelang und rings um die Welt Schlagzeilen, von denen sich die Kleinstadt nie wieder erholt. Dass an dieser aberwitzigen Konstruktion nichts aber auch gar nichts dran ist – kann kaum noch ins Bewusstsein dringen. Sebnitz – Sachsen – da war doch was?
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Dresden 2015. Khaled Idris Bahray. Eritreischer Flüchtling. Auf offener Straße erstochen. Abermals löst der Medienapparat einen landesweiten Aufschrei aus. Zigtausende auf den Straßen gegen Rechts. Alle haben es gewusst – jetzt hat der dumpfe Osten sein wahres Antlitz gezeigt. Erwartungsgemäß im völlig ausländerbefreiten Tal der Ahnungslosen. Lichterketten ziehen sich durchs Land. Wochenlang macht die Presse ihrem Namen alle Ehre und prägt Hitlers Antlitz noch tiefer in die östlichen Gefilde. Als einige Zeit später bekannt wird, dass der Mörder von Bahray ein Landsmann war, folgen schmallippige Dreizeiler. Die Kainsmale bleiben.
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Bautzen 2016. Alarmzustand. Fassbombenbegriffe schallen aus Lautsprechern. „Zusammenrottung, Mob, Hetzjagd“ besonders erschwerend diesmal – „auf minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge!“ TV-Sender in Heeresstärke machen sich auf Richtung Osten. Reisetätigkeit wie bei Flut. Land unter im Osten. Politiker in Gummistiefeln waten mit Stirnfalten durch den braunen Sumpf. Belehrungen. Warnungen. Kundgebungen. Teelichter. Ein kaum beachtetes Detail – es gibt keine Verletzten und auch sonst keine Belege für irgendwelche Gewalt. Auch, dass die Polizei derartige Meldungen dementiert, fällt unter den Tisch. Als sich Wochen später herausstellt, dass lybische Drogengangs mit einschlägigem polizeilichen Bekanntheitsgrad wochenlang Passanten belästigt, beleidigt und geschlagen haben, bis sich Bautzener dagegen lautstark, wenig druckreif, aber eben doch nur verbal zur Wehr gesetzt hatten, sind die Satellitenschüsseln abgebaut. Bautzen ist gilt ab sofort als rechte Trutzburg.
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Franco A. 2017. Deutsch-Italiener. Bundeswehroffizier. Beides passt ins rechte Raster. Als syrischer Flüchtling im Schnelldurchgang unter die subsidiäre Schutzdecke gelangt, ohne ein Wort Arabisch zu können. Die ganze Hilflosigkeit der Willkommensbürokratie liegt mit einem Mal blank – die Nation droht nervös zu werden. Das kann so nicht stehenbleiben. Die rettende Idee – Franco A. wird zum Rechtsterroristen 00-88 aufgerüstet, dessen intriganter Bösartigkeit der arglose Hilfsapparat kurzzeitig nicht gewachsen war. Auch Sachsen darf wieder eine Rolle spielen. Also ist von NSU-Nähe, Pistolen, Bombenbau und Terrorzelle zu lesen. Eine Sondersendung jagt die nächste. Auf das eklatante Behördenversagen fällt nun wunschgemäß milderes Licht. Als Monate später Franco A. wegen mangelndem Tatverdacht vor Gericht frei gesprochen wird, ist die journalistische Karawane schon wieder auf Suche nach dem nächsten Schauplatz.
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Altena 2017. Schlagzeilen. Mordversuch! Bürgermeister von Rechtsextremist im Döner Imbiss attackiert! Schwer verletzt! Diesmal endlich scheint alles zweifelsfrei gerichtet. Erneut brodelt die braune Suppe. Talkshow am Abend danach. Als Überraschungsgast? Das Opfer! Vor aller Augen schrumpft die schwere Verletzung zu einem Pflaster. Ungeachtet dessen folgen endlos Betroffenheitsrunden mit Mutmaßungen über aufziehende Wolken in Dunkeldeutschland. Wochenlang wiegen Politiker, Politologen, Politikberater und bis dato weithin unbekannte Terrorismusexperten die telegen frisierten Köpfe. Nachdem die Scheinwerfer erloschen sind, die Rauchschwaden sich verzogen haben, bleibt…? Ein frustrierter Betrunkener, dem das Wasser abgestellt wurde und die Feststellung des Richters, dass es sich „zweifelsfrei nicht um ein politisches Attentat“ gehandelt habe.
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Dresden 2018. Mir merkwürdiger, medialer Zurückhaltung wird ein Urteil gemeldet. Verhandelt wurde der Anschlag auf eine, als Radikalentreff bekannte Moschee 2016, in der auch der Imam samt Familie wohnte. Videos einer Überwachungskamera zeigten damals einen Mann mit Motorradhelm, ein Aufflackern, eine rußgeschwärzte Tür. Böller, Bombe, Tötungsabsicht? Den Bildern ist das so kaum zu entnehmen. Das nun statuierte Exempel – zehn Jahre Knast. Kurz darauf – ein anderes Urteil. Der Mörder von Kandel, ein Afghane, an dessen Altersangaben erhebliche Zweifel bestehen, wird verurteilt. Für einen bestialischen Mord an seiner Ex-Freundin, samt bis auf die Knochen aufgeschnittenem Gesicht lautet das Urteil – acht Jahre Haft. Vorzeitige Entlassung wahrscheinlich. Nein, keine Fragen mehr euer Ehren.
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Chemnitz 2018. Ein Messeropfer. Zwei Schwerverletzte. Einwohner berichten einhellig von ihrer seit Monaten veränderten Innenstadt. Wohin mit der Wut? Auf die Straße. PEGIDA, AfD, IB, Pro Chemnitz – also die Aussätzigen – sind mit dabei. Es kommt wie es kommen muss. Presse, Funk und Fernsehen feuern in nie gesehener Offensive aus allen Rohren. Die Munition ist die bewährte. „Aufmarsch, Rechter Mob, Hetzjagd, Zusammenrottung, Selbstjustiz, Neonazis, Hetze, Abschaum, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit!“ Neu im Diskurs sind jetzt „Pogrom“, „Pimmel mit Ohren“, „SAchsen“ mit den zwei großen Anfangsbuchstaben oder gleich vollständig in Braun.
Im Netz kursieren längst Anweisungen, wie man mit Nazisymbolen und ausgestrecktem Arm in Sekundenschnelle Protestversammlungen zu Fall bringt. Wenn diese illustrierenden Hitlergrüße fehlen, werden sie kurzerhand von öffentlich rechtlichen Nachrichtenmachern in die Kundgebungsvideos hineinmontiert. Und ab damit in den Äther. Gänzlich uninteressant dagegen auch hier – das offensichtliche Fehlen von Belegen. Kein einziges Opfer, keine Verletzten, keine entsprechenden Meldungen der Polizei. Was zu sehen ist, ist Wutgeschrei, vereinzelte Hitlergrüße und eine Videosequenz, in dem ein Dicker einem Dünnen versucht, einen Arschtritt zu verpassen, sein Ziel aber offenbar verfehlt. Von der ANTIFA gefilmt, dann direkt von den Kumpels der Tagesschau übernommen und in Endlosschleife wiederholt bis auch der letzte Zweifelnde die Treibjagd zu sehen glaubt. Tage später – man kennt inzwischen das Muster – der sich windende Rückzug. Kleinlaute Richtigstellungen. Zweifel an der Authentizität des Videos. Hetzjagden? Naja, vielleicht doch nicht.
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Immer aufs Neue gelingt es der eingespielten Maschinerie, mit dem Flügelschlag des Schmetterlings die gewünschten Erdbeben auszulösen. Das Chaos im Land bestimmt so den Rhythmus. 60.000 Partygäste hüpfen post mortem im vorgegebenen Takt. Nicht gegen Messerattentäter, nicht gegen Politikexperimente sondern gegen…Rechte Gewalt. Und damit donnern sie das Weiter so in den Boden! Immer weiter! In Zeiten wie diesen, spüren wir Unendlichkeit. In der Tat, in Form sich endlos wiederholender Absurditäten.
Bürger sind randvoll mit Bildern. Opfer rechter Gewalt sind kaum darunter. Aber eine Kanzlerin, die vor laufenden Kameras angewidert die deutsche Fahne in die Ecke legt. Eine Bundestagsvizepräsidentin, die hinter einem Transparent herläuft, auf dem „Deutschland du mieses Stück Scheiße“ zu lesen ist. Reker und Laschet im Karnevalskostüm am Tatort eines ermordeten Polizisten. Die SPD Spitze, nach dem Messerattentat grinsend in Chemnitz. Die Bundespolizei als Barriere vor angemeldeten Protestzügen. Der Bundespräsident mit seiner wärmsten Empfehlung für „Musiker“, die kübelweise Fäkaltexte über Deutschland, Polizisten und menschliches Zusammenleben ausgießen. Bürger sind auch voll mit noch schrecklicheren Bildern – Gesichter getöteter und vergewaltigter Mädchen etwa, oder auch die, sich zum Bild verdichtenden Ergebnisse auf Bildschirmen, nachdem man bei Google das Wort Messerattacke eingegeben hat. 1,7 Millionen stichhaltige Treffer!
Was sagen uns nun all diese Einzelfälle? Man mag es kaum glauben. Sie haben keinen erkennbaren Zusammenhang. Sie ergeben keinen Sinn. Sie erlauben keine Rückschlüsse. Sie sagen nichts über Sozialisation. Nichts über Herkunft. Nichts über Religionen. Und nichts über die Mechanik politischer Interessen. Sie sagen uns allumfassend…? Nichts! Verstanden?
Nachwort
Hier könnte der Text schließen. Denken und Schreiben ohne einen Beipackzettel der Korrektheit aber beinhaltet heute Risiken und Nebenwirkungen. Ich füge daher das ausdrückliche Bekenntnis an, dass auch ich finde, dass rechte Gewalt nicht zu verharmlosen sondern realistisch zu betrachten ist, dass sich mit dem NSU und diversen militanten Gruppen im Land durchaus ein ernstzunehmendes Potential für Rechtsradikalität gezeigt hat. Richtig dürfte auch sein, dass rechtsextreme Gruppierungen im Osten stärker verbreitet sind als im Westen. Jedem Übergriff ist rechtsstaatlich zu begegnen und das geschieht, vor allem bei rechter Gewalt, auch mit aller Härte und Konsequenz. Kurzum, der über dem Schlachtfeld thronenden, kindlichen Kaiserin kann man schlecht widersprechen, wenn sie zwischen den Zähnen hervorpresst, dass Verbrechen bei uns verboten sind.
Und doch darf man so langsam die These wagen, dass Rechtsradikalismus oder gar Nationalsozialismus in einer, die Demokratie gefährdenden Dimension, wie nun in Kretschmers verbalem Drahtseilakt erklärt, weit und breit nicht zu sehen sind. Man ahnt – es tut der neuen deutschen Seele weh – aber es lässt sich durch Fakten einfach nicht belegen. Das Bild können auch die permanent im Tatort auftauchenden rechten Dumpfbacken nicht aufrecht erhalten, die Sonntag für Sonntag wehrlose Schutzsuchende massakrieren. Genausowenig, wie Statistiken nicht weiterhelfen, bei denen Meinungsdelikte wie das Tragen von Symbolen, zweifelhaftes Liedgut oder Hitlergrüße, so verabscheuenswürdig sie auch sein mögen, zahlenmäßig als rechte Straftaten erfasst werden, während marodierende Linksextremisten, besetzte Antifa-Quartiere und Stalinporträts eine Art wohlwollenden Duldungsstatus genießen. Eine Gehwegplatte von einem Baugerüst in Hamburg 14m nachunten auf einen Polizisten zu werfen, wird heute statistisch kaum anders behandelt als ein an die Toilettenwand gekritzeltes Hakenkreuz. Leider steht zu befürchten, dass dies mit voller Absicht geschieht.
Was von den Drehbuchautoren des politischen Gefechts übersehen wird – eine Bedrohung, die der fortwährenden Manipulation und Überzeichnung bedarf, wird naturgemäß irgendwann bezweifelt werden. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, haben wir gelernt. Wo also ist der Sinn dieses Tuns? Was steckt hinter der Hysterie? Wem dient der rechte Popanz? Wie so oft, hilft auch hier die einfache Frage nach den Profiteuren. Qui Bono? Die Antwort liegt auf der Hand. Die rechtsextreme Drohkulisse hat eine Funktion. Sie wird gebraucht.
- Ihr Vorhandensein ist für das Überleben unzähliger politischer und nicht politischer Organisationen, Parteien, Stiftungen, Initiativen von existenzieller Bedeutung. Die Abwesenheit von rechter Gewalt bedeutet versiegende Geldquellen für das Geschäftsmodell Kampf gegen Rechts. Zigtausende Jobs hängen davon ab.
- Das Brandzeichen Rechtsextrem ist ein willkommenes und bewährtes Mittel eines über Jahre gewachsenen und geschulten, politmedialen Kartells, um jegliche oppositionelle Bewegung aus dem Feld zu räumen und die uneingeschränkte Deutungshoheit im politischen Diskurs zu behalten.
- Das Rechtsextreme ist nicht zuletzt bestens geeignet, mit Hilfe der „Wirsindmehr“- Diktion eine individuelle Wohlfühldistanz zu unserer, ins Bewusstsein tätowierten, moralischen Kollektivschuld aufzubauen. Solange ich den Hort des Bösen rechts verorten kann, bin ich selbst für das Elend der Welt kaum noch verantwortlich zu machen. Denn ich stehe allzeit automatisch auf der richtigen Seite.
Einigkeit und Recht und Freiheit mit gebündelten Kräften gegen einen Phantom zu verteidigen, ist an sich noch kein Problem. Ein riesiges Problem entsteht aber, wenn diese Scheingefechte sich zur Massenpsychose ausweiten, während tausendfach unschuldige Menschen von Fanatikern mit frei erfundenen Biografien angegriffen werden, wenn die Bevölkerung durch eine behauptete, ganzen Regionen zugeschriebenen Hasskultur gespalten wird, wenn der soziale Kitt zerbröselt, wenn Gräben zwischen Ost und West, Alt und Jung, inmitten von Freundschaften, Familien und Kollegen entstehen, wenn aus politischen Programmen Ideologien und Wohlverhaltensverordnungen werden, wenn sich Verlage und Galerien sich von kritischen Geistern distanzieren, wenn Bestsellerlisten verschwinden und Preisverleihungen zur Farce geraten, wenn jeder nur denkbare, demokratische Widerstand gegen unverantwortliche und international heftig kritisierte Politik unter kontaminierten Worthülsen erstickt wird. Deutsche, das wissen wir, neigen zu solchen irrationalen Feindbildern. Letztlich sind es auch die Millionen von bereits integrierten und integrationswilligen Migranten, die inmitten eines vom kollektiven Wahn befallenen Landes zum Verlierer werden.
Mit jedem Tag der verordneten Ignoranz gegenüber den Problemen im Land, steigt die Gefahr, dass ohnmächtige Wut irgendwann tatsächlich in Gewalt umschlägt. Wenn es dann zur selbsterfüllenden Prophezeiung gekommen ist, werden sich Politik, Medien und Geschichtsschreibung wiederum nicht lange mit den kausalen Zusammenhängen aufhalten. Die Erklärungen werden vermutlich von kolossaler Einfachheit sein. Die Schuld tragen Hitlers Erben.
Die österreichische Autorin Eva Menasse in ihrer bemerkenswerten, gestrigen Rede beim Internationalen Literaturfestival – „Was man für richtig hält, was man in Ruhe begründen kann, muss man sagen, egal, wer applaudiert, wer protestiert, egal, ob es einen Shitstorm gibt. Sagen soll man es, nicht schreien. Schreiben soll man es, nicht twittern.“