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Terrorismus als Macht über den Tod

Prof. Louis René Beres, 1.1.2019, besacenter.org
aus dem Englischen von Daniel Heiniger

Dschihadfahne weht in Rotterdam, 2014, Foto von Wouter Engler via Wikimedia Commons

Die Bekämpfung des Terrorismus, insbesondere des dschihadistischen Terrors, ist zu einer ständigen Sicherheitsverpflichtung der USA, Europas und natürlich Israels geworden. Dennoch wurde zu wenig ernsthafte analytische Aufmerksamkeit darauf gerichtet, Abhilfemaßnahmen für solche Gefahren zu finden. Diese Gegenmaßnahmen sollten auf dem Verständnis des Terrorismus als Instrument bei der Suche nach der persönlichen Unsterblichkeit aufbauen.

BESA Center Perspektivenpapier Nr. 1,053, 1. Januar, 2019

Während die Spezialisten für Terrorismusbekämpfung den Einflüssen von Martyrium und Dschihad zu Recht große Aufmerksamkeit schenken, ist nicht viel überzeugende Analyse in das tiefe zugrunde liegende Versprechen des Dschihad, die Macht über den Tod zu erlangen, gesteckt worden. Letztendlich ist es der Reiz dieses Versprechens, der den Erfolg oder Misserfolg von terroristischen Bewegungen bestimmen kann. Wie kann man dann diesem berauschendsten Appell entgegenwirken?

Jede zielgerichtete politische Reaktion muss theoretisch fundiert und wissensbasiert sein, nicht nur anekdotisch oder rein deduktiv. Wer auch immer der dschihadistische Feind des Augenblicks sein mag, der wahre Kampf geht nie nur um Territorium, Souveränität, Geographie oder Demokratie. Immer, egal, ob es sich um Kämpfe im Irak, in Afghanistan, Syrien, im Jemen, im Westjordanland oder im Gazastreifen handelt, der dschihadistische Feind sucht nach etwas viel überzeugenderem und persönlicherem.

Dieses besondere „Etwas“ ist das ewige Leben.

Einige offensichtliche Fragen sollten sich nun stellen. Wie können wir eine so unvergleichliche und unanfechtbare Form feindlicher Macht bekämpfen? Kann irgend ein irdisches Versprechen erfolgreich mit religiös begründeten Angeboten der Unsterblichkeit konkurrieren?

Unsere Antworten, auch wenn sie partiell und vorläufig sind, müssen auf fundierten Analysen beruhen. Sie müssen vollständig zivilisatorisch und kulturell transparent sein. Und sie werden wenig bis gar nichts mit der Anwendung militärischer Gewalt zu tun haben.

Um erfolgreich mit dschihadistischen Feinden umzugehen, muss man anerkennen, dass die Terrorismusbekämpfung nicht primär ein operatives Problem ist. Wenn dies der Fall wäre, wäre die Bedrohung anfälliger für enge taktische Abwehrmaßnahmen.

Manchmal ist die wissenschaftliche Wahrheit kontraintuitiv. Zum Beispiel hat dschihadistischer Terror wenig mit Land, Politik oder Strategie zu tun. Letztendlich offenbart er sich als Ausdruck „heiliger Gewalt“ – also von doktrinär begründeten Schlägen gegen bestimmte Abtrünnige, Ketzer oder schlicht Ungläubige. Im Mittelpunkt dieses sich ständig erweiternden Netzwerks von orchestrierten Morden steht heute eine au-courant-Form des religiösen Opfers. Eine langjährige historische Praxis, religiöse Opfer darzubringen, die aus vormodernen Bräuchen (nicht unbedingt islamischen) stammt, Praktiken, die das „Martyrium“ jedes geplanten Selbstmörders mit einem richtig dargebrachten Opfer verbinden.

Gibt es diplomatische Lösungen für den Dschihad? Diese schlichte aufopferungsvolle Gewalt drückt Istischad oder „Tod auf dem Weg Allahs“ aus. Folglich scheint es, dass es wenig oder gar keinen Raum für Verhandlungen geben kann. Für die USA und den Westen im Allgemeinen, insbesondere für Israel, gibt es wahrscheinlich niemals einen Vorteil, wenn man Zugeständnisse macht oder andere Manifestationen von Kompromissen eingeht.

Für die Hamas ist der israelische Feind mehr als nur ein geostrategischer Gegner. Es ist vielmehr ein delegiertes „religiöses“ Ziel, das zur Vernichtung bestimmt ist, dessen obligatorische und gewaltsame Eliminierung dem sich islamisch Opfernden gesegnetes ewiges Leben verleihen wird. „Ich schwöre“, erklärt die Hamas-Charta, „beim Bewahrer von Mohammeds Seele, dass ich um Allahs willen eindringen werde und getötet werden will, dann eindringen werde und getötet werden will, dann eindringen werde und getötet werden will und dann wieder eindringen werde und getötet werden will.“

Die tiefsten Wurzeln des dschihadistischen Terrors stammen, zumindest teilweise, aus jenen Kulturen, die bestimmte Ansichten über Opfergaben haben. In all diesen „heiligen Gewaltkontexten“ geht der Opferzweck weit über die bürgerliche Notwendigkeit hinaus. Hier wird die Opfergabe zu einem leidenschaftlichen und voll ritualisierten Ausdruck religiöser Leidenschaft.

Ein solches Opfer stammt aus einem verzweifelt erhofften Sieg über den Tod.

Für uns im Westen mögen solche religiösen Hoffnungen nicht überzeugend klingen. Dennoch kann es in diesem Bereich der Weltpolitik keine größere Macht als die Macht über den Tod geben. Denn mehr oder weniger überzeugende Versprechungen der Unsterblichkeit liegen praktisch allen großen Systemen religiösen Glaubens zugrunde. Doch aus verschiedenen Gründen bleibt diese Tatsache in Washington, Jerusalem und anderen großen westlichen Hauptstädten vernachlässigt oder missverstanden.

Märtyrer-Operationen wurden immer mit dem Dschihad in Verbindung gebracht. Diese Missionen basieren erwiesenermaßen auf der lang kodifizierten muslimischen Schrift. Eindeutige und feierliche, jubelnde Beschwörungen dieser besonderen Kriegsführung finden sich im Koran und in bestimmten kanonischen Hadithen.

Für die USA, Europa und insbesondere Israel rechtfertigen die sicherheitspolitischen Auswirkungen jeglicher gegnerischer Verschmelzungen von religiöser Lehre und Gewalt eine sorgfältige Überprüfung. Ein dschihadistischer Terrorist, der fest davon überzeugt ist, dass Gewalt gegen die USA, Europa oder Israel direkt zum Martyrium führt, wird sich wahrscheinlich nie durch gewöhnliche Drohungen militärischer oder bewaffneter Vergeltungsmaßnahmen abschrecken lassen. Dieser „treue“ Verbrecher wird durch territoriale Kapitulationen und/oder Gefangenenaustausche ermutigt, weitere Gräueltaten zu begehen.

Was ist die Grundvoraussetzung für all dies? Zunächst einmal ist es so, dass unsere aktuellen und geplanten Kriege vermutlich alle weitgehend am Ziel vorbeischießen. Ob wir bereit sind, es zu akzeptieren oder nicht, diese zerrüttenden Kriege konzentrieren sich in der Regel nur auf die sichtbaren Symptome der feindlichen Pathologie und nicht auf die zugrunde liegende Krankheit.

Angesichts entschlossener Gegner, die nicht nur bereit sind zu sterben, sondern aktiv ihren eigenen Tod suchen, um „ewiges Leben zu gewinnen“, sollten Jerusalem und Washington endlich die Grenzen der engen militärischen Gegenmaßnahmen verstehen. Diese Grenzen könnten noch unüberschaubarer werden, wenn unkonventionelle Kriege und unkonventioneller Terror jederzeit in Synergie gegen uns geschmiedet werden.

Aus ihrer Sicht tun unsere dschihadistischen Feinde nichts Böses. Sie geben sich der Aufgabe hin, Amerikaner, Israelis und andere verachtete „Ungläubige“ zu töten mit absoluter Reinheit des Herzens. In ihrem heiligen Unterbau sind solche Morde in den Köpfen der Täter immer heroisch.

Unsere Hauptaufgabe muss es sein, diese dogmatischen Grundlagen zu untergraben. Indem wir die beträchtliche Intelligenz unserer Zivilisationen nutzen und in bewusster Verbindung mit einigen der gewöhnlicheren Ausdrucksformen der militärischen Feuerkraft, kann diese Aufgabe erfüllt werden. Am Ende muss unser Krieg gegen den dschihadistischen Terror auf dem primären Schlachtfeld des „Geistes“ geführt werden.

Der Krieg gegen den dschihadistischen Terror muss zu einem herausragenden intellektuellen Kampf werden. Bei der Erläuterung ihres eigenen Umgangs mit dem Krieg zögerten die alten Griechen und Mazedonier nicht, ihre Präferenz für Kämpfe des „Geistes über den Verstand“ gegenüber diesen prosaischeren Wettbewerben des „Geistes über die Materie“ auszudrücken. Im besten Fall von „Geist über Verstand“ würde es im weiteren Sinne möglich sein, einen Feind zu besiegen, ohne dass Kosten oder Risiken für „Materie“ entstehen – also ohne tatsächliche Kämpfe.

Wie der alte chinesische Militärtheoretiker Sun-Tzu in Die Kunst des Krieges schrieb: „Die gegnerische Armee zu unterwerfen, ohne zu kämpfen, ist der wahre Gipfel der Exzellenz.“

Louis René Beres ist emeritierter Professor für Völkerrecht bei Purdue und Autor von 12 Büchern und mehreren hundert Artikeln über Nuklearstrategie und Atomkrieg. Die zweite Ausgabe seines Buches Surviving Amid Chaos: Israel’s Nuclear Strategy (Rowman & Littlefield) wurde 2018 veröffentlicht.


Auf Deutsch übersetzt und publiziert mit freundlicher Genehmigung des BESA Centers.

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