Dieser Text wurde von einer Zeitzeugin mit iranischen Wurzeln auf Facebook gepostet. Mit ihrer freundlichen Genehmigung.
„Der Schah war genauso böse wie Khomeini“
Solche und schlimmere Vergleiche hören sich Iraner seit nunmehr mehr als 40 Jahren an. Teilweise von Iranern selbst. Und es ist erschütternd bis hin zu ermüdend, da immer wieder die kleineren und grösseren „Wissenslücken“ zu füllen. Wie soll man auf einer Plattform nun 40 Jahre Neugeschichte in wenigen Sätzen verständlich rüberbringen? Wie seine eigene Geschichte, ohne sich oder andere in Gefahr zu bringen? Vor allem, um wirklich zu begreifen, wie was wann wo passieren konnte, die persische Geschichte, die ja nicht erst seit 1979 begann? Weiter frage ich, wie soll man als direkter oder indirekter Betroffener dann auch noch so völlig emotionslos darlegen, welche Konsequenzen diese gewisse „Islamische Revolution“ nach sich gezogen hat, sich immunisieren gegenüber zum Teil verhöhnenden Sprüchen? Wie?
Ich bin zu dem Entschluss gekommen, daß ich, trotzdem ich keine Geschichtsexpertin bin, dennoch als direkte/indirekte Zeitzeugin etwas hinterlassen sollte, das vielleicht ein wenig hilft, gewisse Einstellungen/Reaktionen etc. besser nachzuvollziehen. Und all das in einer Zeit, wenn viele Menschen schon bis oben an den Rand gefüllt sind, mit „ausländischen“ Schicksalsschlägen ganzer Gemeinschaften/Länder/Nationen. Andererseits: Wann genau ist denn der „richtige“ Zeitpunkt für Zeitzeugen? In diesem Sinne sei gleich gesagt: Wer einen Dreizeiler als geschichtliche Aufklärung erwartet, scrollt am besten jetzt gleich weiter.
Ich möchte den Bericht in zwei Kategorien unterteilen. Kategorie I erklärt die persönlichen Konsequenzen, die seit dem neuen „Zeitalter“ Irans ab 1979 nach sich zogen. Also eine ganz individuelle, persönliche Geschichte – und dann wiederum gar nicht so individuell, weil sich solche und ähnliche Geschichten in weitaus schlimmerer Art formierten – für fast jeden Iraner, ob im Iran selbst oder sonstwo auf der Welt, auf die eine oder andere Art.
Ich war inmitten eines sehr verwundbaren Alters, etwas zwischen Kind und Teenager – als sich meine Welt verändern sollte. Manche privaten, aber sehr wichtigen Fakten, kann und werde ich hier nicht schreiben, weil es zu sehr ausschweifen würde. Aber über etwas möchte ich heute berichten, was die Konsequenz einer unbedachten Revolution darstellt, die ich heute als erwachsener Mensch, als erwachsene Deutsch-Perserin, zu spüren bekommen sollte. Manchen Leuten/Freunden, die schon seit vielen Jahren bei mir lesen, mag aufgefallen sein, nie ein Wort über meine Eltern gelesen zu haben. Dafür gibt es einen guten Grund: sie leben nicht mehr! Und meine Lebenserfahrung hat mir gezeigt: wenn du bei einem Thema besonders verwundbar bist, dann mach es nicht zum Thema. Leider sollte ich genau damit Recht behalten. Aber um zu begreifen, warum Vergleiche bzw. Gleichstellungen zwischen dem Schah und Khomeini nicht nur absurd sind, sondern nicht weniger brutal und menschenverachtend wirken als wenn ein Grüner z. B. einen ganz normalen Deutschen sofort als „Nazi“ betitelt, der es wagt, nur mal zu hinterfragen, ob eine gewisse Richtung in der Politik ok ist, so ist es auch für viele Perser wie ein Schlag ins Gesicht oder noch schlimmer, wenn solche absurden Gleichstellungen von Iranern selbst kommen.
Heute ist der Geburtstag meiner Mutter. Sie wäre 72 geworden, wenn sie nicht bereits vor bald acht Jahren urplötzlich verstorben wäre. Deshalb ist seit acht Jahren Norouz für mich etwas Erfreuliches, um unsere Tradion aufrechtzuerhalten – aber immer auch mit einem wehmütigen Beigeschmack. Ihr Tod im Iran kam fünf Wochen vor unserer Hochzeit. Ich werde mein Ergehen während dieser Zeit und der Zeit danach jedem ersparen, zumal ich es bereits schon einmal bereut hatte, überhaupt ein Wort darüber erzählt zu haben. Sie verstarb tausende von Kilometern entfernt von mir – war sie doch mit gepackten Koffern für meine Hochzeitszeremonie bereit, zwei Wochen später zurück nach D zu reisen, um kurz darauf an der lang ersehnten Hochzeit ihrer Tochter teilzunehmen. Ihr Grab habe ich bis heute nicht besucht – aus genau einem Grund. Irgendwann einmal hatte ich angefangen, mich über den Islam zu informieren – und fing folglich an, darüber aufzuklären. Als nicht gefragte geborene Muslima war ich damit zur Erzfeindin des Islamischen Regimes im Iran geworden. Zumindest das Risiko einer Festnahme im Iran besteht – und das für jeden Iraner, der es je gewagt hat, ein kritisches Wort über Islam, Regime etc. zu veröffentlichen. Und so wurde aus einem Nicht-Flüchtling eine pseudo „freie“ Iranerin, die eigentlich nichts mit dieser Regierung zu tun hatte, weil ich bereits zu Schahzeiten schon im Ausland lebte – damals waren die im Ausland lebenden Iraner eben Auswanderer – und keine Flüchtlinge.
Fast auf den Tag genau fünf Jahre später verstarb auch mein Vater. Er wanderte nach Jahrzehnten zurück in den Iran – nur wenige Monate später kehrte er nicht mehr ins Leben zurück. Auch sein Grab habe ich bis heute nicht besuchen können. Denn selbst wenn das Risiko nur bei einem Prozent läge – ich habe Kinder, und für diese trage ich Verantwortung. Als LEBENDE Mutter!
Die Konsequenzen, die dadurch meine Kinder mittragen, sind enorm. Denn ich bin bis heute der Meinung, meine Mutter hätte eine Überlebenschance gehabt, wäre sie zu jenem Zeitpunkt in D oder bei uns gewesen. Das genau ist u. a. Teil der Konsequenzen, die eine Islamische Republik nach sich zieht. Der technische und medizinische Fortschritt im Land ist stehengeblieben. Und selbst wenn nicht, fehlen in Krankenhäusern die technischen Geräte. Nicht umsonst sind persische Ärzte im Ausland so berühmt – aber im Iran sterben die Menschen weg wie Eintagsfliegen. Also zurück zu meinen Kindern: durch das „Verbrechen“ ihrer Mutter, über den Islam aufgeklärt zu haben, werden sie vielleicht nie im Leben erfahren, was „persische Familie“ bedeutet. Das Bild, welches man vom heutigen Iran erhält, animiert Menschen natürlich nicht zu mehr Interesse, sondern eher Abscheu. Verständlich. So sieht z. B. auch mein Sohn als erstes den schwarzen Schleier, wenn er an den Iran denkt. Aber die Wärme, das Mitgefühl, überhaupt das Gefühl, ein Teil des persischen Erbes zu sein, das wird ihm als auch seiner Schwester für immer verborgen bleiben. Das ist der Anfang von Kulturabbau, nationalem Empfinden, Wertegemeinschaft – allen voran, Teil einer ihn liebenden Familie zu sein. Teil einer einst kultiviertesten Historie zu sein. Die nächste Generation wird wahrscheinlich nicht mal mehr wissen, wie „Iran“ geschrieben wird. Das aber ist nicht die Schuld meiner oder anderer Kinder – DAS hat ganz allein das Okkupieren eines Landes/Nation zu verantworten, dessen Machthaber mehr Wert auf arabische Suren legen als auf Kultur, Leben, Tradition und vor allem Humanismus. Also bitte nehme man mir nicht übel, wenn man dann schon mal leicht angewidert ist, wenn der Schah mit Khomeini und Seinesgleichen auf eine Höhe in Sachen „Barbarismus“ gestellt wird.
Aber da ist noch mehr: ich bin nicht als Monarchistin geboren, noch bin ich erzieherisch zur Monarchistin geprägt worden. Noch habe ich mich, wie es mir mal eine deutsche Linke einst unterstellte, mit der kaiserlichen Familie zum Chai (Tee) getroffen. Ich war in Sachen Monarchie genauso ungebildet wie in Sachen Islam. Es waren auch nicht irgendwelche Schah-Anhänger, die mich überzeugten. Es waren die Schah-Hater. Ich habe über Jahre sehr intensiv das Verhalten, die Einstellung, das Benehmen, das Wissen bzw. Unwissen vieler verschiedener Iraner studiert – und fing DANN erst an, mir ein halbwegs reales Bild zu machen. Da ich das Glück hatte, schon zu Zeiten des Schahs im Iran gewesen zu sein, kann ich aus erster Hand sagen, wie sehr sich der Iran unterschied zwischen „damals und heute“. Wie sehr sich auch die Menschen unterscheiden.
Ich hatte damals mit meinem iranischen Pass keine Probleme, zu reisen. Seit Khomeini jede Menge.
Ich war nicht in der Position, mich als Perserin erklären und behaupten zu müssen. Seit Khomeini sind Iraner auf dem ständigen „sich-behaupten-Zwang“.
Mich betatschte am Teheraner Flughafen auch keine verschleierte, ungebildete Frau. Unter dem neuen Regime schon.
Ich kann mich auch an keinen einzigen Vorfall erinnern, indem ich, meine Mutter oder sonstige Frauen zurückgerufen wurden, weil der Kleidungsstil nicht passte. Unter dem neuen Regime kam ich wohl nicht nur einmal gerade mal davon, weil mein „Hijab nicht richtig jedes Haar bedeckte“.
Auch erfühlte ich nie eine Angst bei meinen nicht-monarchischen Eltern, Verwandten, Freunden bei Einreise in den Iran. Später schon.
Der Empfang am Teheraner Flughafen zu Zeiten des Schahs fand mit einer Vielzahl von Verwandten und Freunden statt – Blumen, Lachen, Umarmungen, Freude – das ist das Bild meiner Kindheit. Nach der Machtübernahme Khomeinis erkannte ich das Bild am Teheraner Flughafen nicht wieder. Nur zwei Verwandte waren da, um uns abzuholen. Mit einem schweren, kleinen Lächeln auf den Lippen. Es hing Schwere in der Luft – ich war noch so jung und doch ist dieses Bild in meinem Gedächtnis hängengeblieben.
Ich erinnere mich an Wege, die vollgepflastert waren mit Bildern junger Männer. Ich begriff es gar nicht, aber es wirkte traurig auf mich. Später erfuhr ich, es waren die „Märtyrer“, die im Krieg gegen den Irak gefallen waren. Ein sinnloser Krieg, der noch sinnloser um sechs Jahre künstlich von Khomeini am Leben erhalten wurde.
Meine Cousine erschrak, als ich mal mitten am Tag laut loslachte. Lachen war zur Sünde geworden. Musik war unerwünscht. Kleidung nur nach Vorschrift. Selbst oben auf den Bergen, wo man mit seiner Familie ein Picknick machen wollte, war Vorsicht geboten. Was man sagte, was man trug. Die Religionsgarden waren überall im Land zu erwarten. Zugang zum Studium war nicht von den Leistungen abhängig – sondern von der religiösen (wenn auch gespielten) Einstellung. Im Restaurant durfte ich als junge Frau meinen Mantel nicht ausziehen, das sei eben zu unislamisch. Das Tragen von Make-up war, je nach Phase im Lande, mal mehr, mal weniger akzeptiert. Sie lassen die Zügel etwas lockerer (das ist dann der Punkt, wenn ausländische Touristinnen, aber auch Iranerinnen selbst von „ach, es ist hier gar nicht mehr so streng“ reden), damit sie dann überfallartig im Hauruck-Verfahren Religions- und Kleidungsrazzien durchführen können.
Eine Cousine von mir landete mal in einem islamischen Gefängnis. Irgendwann sah ich mich inmitten einer Trauerfeier meiner Tante. Alle am Weinen, alle verzweifelt. Die Tochter, meine Cousine, hatte sich das Leben genommen – nachdem sie aus dem Gefängnis wieder „frei“ war. Niemand konnte (oder wollte?) mir damals erzählen, was sie dazu bewogen haben mochte. Ihre 4-jährige Tochter blieb züruck – ohne Mutter.
Eine andere Verwandte verlor für viele Jahre ihren Sohn, nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hatte. Als alleinstehende Frau hatte sie kaum Chancen, das Sorgerecht für ihren Sohn zu erhalten. Auch ihrer Mutter, der Oma des Kindes, wurde jahrelang der Kontakt zu dem Kind verweigert.
Ich vernahm eine immer intensivere Unart unter manchen Iranern. Das Lügen. Das wurde bei manchen wie zur zweiten Haut. Auch das ist die Konsequenz aus einem jahrzehntelangen Regimes, wenn man merkt, ohne Lügen nicht mehr weiterkommen zu können. Im Gegenteil, wer sachlich und lügenfrei bleibt, geht definitiv als Verlierer aus. Eine sehr beunruhigende Entwicklung.
Dieses und so vieles mehr an Veränderungen seit der Schah das Land verlassen hatte. Und nichts, wirklich GAR NICHTS ZUM POSITIVEN, aber verdammt viel zum Negativen.
So sitze ich also jedes Jahr hier, ob am Norouz, am Geburtstag meiner Mutter, ob Weihnachten oder auch nur mal so zwischendurch zum Abendessen und denke beim Anblick meiner Kinder:
Ach, wenn Eure Mamani Euch doch nur sehen könnte.
Ja, jeder nimmt irgendwann mal Verluste in der Familie hin. Die wenigsten jedoch sind in Gefahr, vielleicht niemals das Grab ihrer Eltern besuchen zu können. Etwas, worüber ich zu Zeiten des Schahs nicht mal für einen Bruchteil der Sekunde hätte nachdenken müssen. Wo ich den Rest meiner Familie und die neue Generation nicht per Faceapp besichten dürfte, sondern in meine Arme nehmen könnte.
Man sehe mir also bitte nach, wenn ich da kein allzu „dickes Fell“ und „Sachlichkeit“ mitbringe, wenn da trotzig behauptet wird:
Der Schah war genauso ein Monster/schlimm/brutal/wasauchimmer wie Khomeini. Das ist nicht nur faktisch FALSCH – es ist ein Schlag für jeden echten Perser.
Und Iraner, die solchen Unsinn in die Welt setzen, weil sie damals selbst bei der Revolution dabei waren oder deren Eltern und bis heute UNFÄHIG sind, sich selbst zu reflektieren, sollten sich in Grund und Boden schämen.
Mit dem Schah hatte ich eine persische Heimat. Mit der islamischen Revolution ein Leben mit Risiko, neg. Veränderung, Erklärungsnöte.
Bitte keine traurigen Emojis verwenden. Denn ich bin nicht hier, um „Mitleid“ zu erwirken. Ich bin hier, um darauf aufmerksam zu machen, wie sich manche unbedachten Sätze auswirken können. Denn egal, was man hier heute gelesen hat – das alles ist nichts verglichen zu den Schicksälen und Lebenswegen vieler anderer Iraner. Ich bin noch eine, die trotz allem Glück hatte – denn ich lebe in relativer Freiheit. Aber selbst dann ist man nie wirklich ganz frei von einem Iran. Also bespuckt bitte mit unbedachtem „Wissen“ nicht jene Iraner, deren Leben sich von heute auf morgen auf den Kopf gestellt hat – mit allen neg. Konsequenzen, die man sich nur vorstellen kann.
Teil II – Fakten Schah-Khomeini
Teil III – Fakten Schah-Khomeini