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Die militärische Situation in der Ukraine

Centre Francais de recherche sur le renseignment (Französisches Zentrum für Aufklärungsforschung), Dokumentationsbulletin Nr. 27

Jacques Baud, März 2022, cf2r.org
aus dem Französischen von Daniel Heiniger

Teil eins: Auf dem Weg in den Krieg

Jahrelang, von Mali bis Afghanistan, habe ich mich für den Frieden eingesetzt und mein Leben dafür riskiert. Es geht also nicht darum, den Krieg zu rechtfertigen, sondern zu verstehen, was uns in ihn geführt hat. Ich stelle fest, dass die „Experten“, die sich in den Fernsehstudios abwechseln, die Situation auf der Grundlage von zweifelhaften Informationen analysieren, meist Hypothesen, die zu Tatsachen erhoben werden, und auf diese Weise kann man nicht mehr verstehen, was vor sich geht. So entsteht Panik.

Das Problem ist nicht so sehr, wer in diesem Konflikt Recht hat, sondern vielmehr die Frage, wie unsere politischen Führer ihre Entscheidungen treffen.

Versuchen wir, die Wurzeln des Konflikts zu untersuchen. Das beginnt mit denjenigen, die uns in den letzten acht Jahren von „Separatisten“ oder „Unabhängigen“ im Donbass erzählt haben. Das ist nicht richtig. Die von den beiden selbsternannten Republiken Donezk und Lugansk im Mai 2014 durchgeführten Referenden waren keine Referenden über „Unabhängigkeit“ (независимость), wie von einigen skrupellosen Journalisten behauptet wurde, sondern Referenden über „Selbstbestimmung“ oder „Autonomie“ (самостоятельность). Die Bezeichnung „pro-russisch“ suggeriert, dass Russland Konfliktpartei war, was nicht der Fall war, und der Begriff „russischsprachig“ wäre ehrlicher gewesen. Im Übrigen wurden diese Referenden gegen den Willen von Wladimir Putin durchgeführt.

In Wirklichkeit strebten diese Republiken nicht nach einer Abspaltung von der Ukraine, sondern nach einem Autonomiestatus, der ihnen den Gebrauch der russischen Sprache als Amtssprache garantierte. Denn die erste gesetzgeberische Handlung der neuen Regierung, die aus dem Sturz von Präsident Janukowitsch hervorgegangen war, bestand darin, am 23. Februar 2014 das Kivalov-Kolesnichenko-Gesetz aus dem Jahr 2012 abzuschaffen, das Russisch zur Amtssprache machte. Das ist in etwa so, als würden Putschisten beschließen, dass Französisch und Italienisch künftig keine Amtssprachen mehr in der Schweiz sind.

Diese Entscheidung löst einen Sturm in der russischsprachigen Bevölkerung aus. Die Folge ist ein hartes Vorgehen gegen die russischsprachigen Regionen (Odessa, Dnjepropetrowsk, Charkow, Lugansk und Donezk), das ab Februar 2014 einsetzt und zu einer Militarisierung der Situation und einigen Massakern (in Odessa und Mariupol, um die größten zu nennen) führt. Im Spätsommer 2014 blieben nur noch die selbsternannten Republiken Donezk und Lugansk übrig.

In diesem Stadium sind die ukrainischen Generalstäbe zu starr und zu sehr in einen doktrinären Herangehensweise an die Kunst des operativen Vorgehens eingebunden, so dass sie den Feind erduldeten, ohne sich durchsetzen zu können. Die Untersuchung des Verlaufs der Kämpfe im Donbass in den Jahren 2014-2016 zeigt, dass der ukrainische Generalstab systematisch und mechanisch dieselben operativen Schemata anwendete. Nun war der von den Autonomisten geführte Krieg damals sehr ähnlich dem, was man in der Sahelzone beobachten kann: sehr mobile Operationen, die mit leichten Mitteln geführt werden. Mit einem flexibleren und weniger doktrinären Ansatz konnten die Rebellen die Trägheit der ukrainischen Streitkräfte ausnutzen, um sie wiederholt „in die Falle zu locken“.

2014 bin ich bei der NATO, zuständig für die Bekämpfung der Verbreitung von Kleinwaffen, und wir versuchen, russische Waffenlieferungen an die Rebellen aufzudecken, um zu sehen, ob Moskau etwas damit zu tun hat. Die Informationen, die wir damals erhalten, stammen fast ausschließlich vom polnischen Geheimdienst und „passen“ nicht zu den Informationen aus der OSZE: Trotz ziemlich grober Behauptungen werden keine Waffen- und Militärgüterlieferungen aus Russland beobachtet.

Die Rebellen werden durch die Überläufer russischsprachiger ukrainischer Einheiten, die auf die Seite der Rebellen überlaufen, bewaffnet. Im Zuge der ukrainischen Niederlagen werden die Reihen der Autonomisten durch vollständige Panzer-, Artillerie- oder Luftabwehrbataillone vergrößert. Dies veranlasst die Ukrainer, sich an den Minsker Vereinbarungen zu beteiligen.

Doch unmittelbar nach der Unterzeichnung des Minsk-1-Abkommens startet der ukrainische Präsident Petro Poroschenko eine groß angelegte Antiterroroperation (ATO/Антитерористична операція) gegen den Donbass. Bis repetita placent: Von NATO-Offizieren schlecht beraten, erlitten die Ukrainer bei Debalzewo eine vernichtende Niederlage, die sie zwang, sich auf das Minsk-2-Abkommen einzulassen…

Es ist wichtig, hier daran zu erinnern, dass die Abkommen von Minsk 1 (September 2014) und Minsk 2 (Februar 2015) weder die Trennung noch die Unabhängigkeit der Republiken vorsahen, sondern ihre Autonomie innerhalb der Körperschaft der Ukraine. Wer die Abkommen gelesen hat (es sind sehr, sehr wenige), wird feststellen, dass in klaren Buchstaben geschrieben steht, dass der Status der Republiken zwischen Kiew und den Vertretern der Republiken ausgehandelt werden sollte, um eine innerukrainische Lösung zu finden.

Aus diesem Grund hat Russland seit 2014 systematisch die Umsetzung der Vereinbarungen gefordert und sich gleichzeitig geweigert, an den Verhandlungen teilzunehmen, da es sich um eine innerukrainische Angelegenheit handle, Auf der anderen Seite hat der Westen – allen voran Frankreich – systematisch versucht, das Minsker Abkommen durch das „Normandie-Format“ zu ersetzen, bei dem sich Russen und Ukrainer gegenüberstanden. Es sei daran erinnert, dass vor dem 23. und 24. Februar 2022 zu keinem Zeitpunkt russische Truppen im Donbass stationiert waren. Außerdem haben die OSZE-Beobachter nie auch nur die geringste Spur von russischen Einheiten beobachtet, die im Donbass operiert hätten. So zeigt die von der Washington Post am 3. Dezember 2021 veröffentlichte Karte des US-Geheimdienstes keine russischen Truppen im Donbass.

Im Oktober 2015 gab Vasyl Hrytsak, der Direktor des ukrainischen Sicherheitsdienstes (SBU), zu, dass nur 56 russische Kämpfer im Donbass beobachtet worden seien. Dies war vergleichbar mit den Schweizern, die in den 1990er Jahren an den Wochenenden in Bosnien kämpften, oder den Franzosen, die heute in der Ukraine kämpfen.

Die ukrainische Armee befand sich zu diesem Zeitpunkt in einem desolaten Zustand. Im Oktober 2018, nach vier Jahren Krieg, erklärte der leitende ukrainische Militärstaatsanwalt Anatoly Matios, dass die Ukraine im Donbass 2700 Männer verloren habe: 891 durch Krankheiten, 318 durch Verkehrsunfälle, 177 durch andere Unfälle, 175 durch Vergiftungen (Alkohol, Drogen), 172 nach unvorsichtigem Umgang mit Waffen, 101 durch Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften, 228 durch Mord und 615 durch Selbstmord.

Tatsächlich ist die Armee durch die Korruption ihrer Führungskräfte unterminiert und genießt nicht mehr die Unterstützung der Bevölkerung. Laut einem Bericht des britischen Innenministeriums erschienen bei der Einberufung der Reservisten im März/April 2014 70 % nicht zum ersten Termin, 80 % nicht zum zweiten, 90 % nicht zum dritten und 95 % nicht zum vierten. Im Oktober/November 2017 erschienen 70 % der Einberufenen nicht zur Einberufungskampagne „Herbst 2017“. Dabei sind Selbstmorde und Desertionen (häufig zugunsten von Autonomisten), die im ATO-Gebiet bis zu 30 % der Belegschaft ausmachen, noch gar nicht berücksichtigt. Junge Ukrainer weigern sich, im Donbass zu kämpfen und ziehen die Emigration vor, was zumindest teilweise auch das demografische Defizit des Landes erklärt.

Das ukrainische Verteidigungsministerium wandte sich daraufhin an die NATO, um sich dabei helfen zu lassen, ihre Streitkräfte „attraktiver“ zu machen. Da ich bereits an ähnlichen Projekten im Rahmen der Vereinten Nationen gearbeitet hatte, wurde ich von der NATO gebeten, an einem Programm teilzunehmen, das das Image der ukrainischen Streitkräfte wiederherstellen sollte. Dies ist jedoch ein langwieriger Prozess und die Ukrainer wollten, dass es schneller geht.

Um den Mangel an Soldaten auszugleichen, griff die ukrainische Regierung auf paramilitärische Milizen zurück. Diese bestehen hauptsächlich aus ausländischen Söldnern, die oftmals rechtsextreme Aktivisten sind. Im Jahr 2020 stellten sie etwa 40% der ukrainischen Streitkräfte und umfassten laut Reuters etwa 102.000 Mann. Sie werden von den USA, Großbritannien, Kanada und Frankreich bewaffnet, finanziert und ausgebildet. Es sind mehr als 19 Nationalitäten vertreten – darunter auch Schweizer.

Die westlichen Länder haben also eindeutig rechtsextreme Milizen in der Ukraine geschaffen und unterstützt. Im Oktober 2021 schlug die Jerusalem Post Alarm und prangerte das Projekt Centuria an. Diese Milizen operieren seit 2014 mit westlicher Unterstützung im Donbass. Auch wenn man über den Begriff „Nazi“ streiten kann, bleibt es dabei, dass diese Milizen gewalttätig sind, eine übelriechende Ideologie verbreiten und virulent antisemitisch sind. Ihr Antisemitismus ist eher kulturell als politisch bedingt, weshalb die Bezeichnung „Nazi“ nicht wirklich zutreffend ist. Ihr Judenhass rührt von den großen Hungersnöten in der Ukraine in den 1920er und 1930er Jahren her, die darauf zurückzuführen waren, dass Stalin die Ernten beschlagnahmte, um die Modernisierung der Roten Armee zu finanzieren. Dieser Völkermord – in der Ukraine als Holodomor bekannt – wurde jedoch vom NKWD (Vorläufer des KGB) verübt, dessen oberste Führungsebenen hauptsächlich aus Juden bestanden. Aus diesem Grund fordern ukrainische Extremisten heute von Israel, sich für die Verbrechen des Kommunismus zu entschuldigen, wie die Jerusalem Post feststellt. Von einer „Umschreibung der Geschichte“ durch Wladimir Putin sind wir also weit entfernt.

Diese Milizen, die aus den rechtsextremen Gruppen hervorgegangen sind, die 2014 die Revolution auf dem Euromaidan anführten, bestehen aus fanatisierten und brutalen Individuen. Die bekannteste von ihnen ist das Asow-Regiment, dessen Emblem an die 2. SS-Panzerdivision „Das Reich“ erinnert, die in der Ukraine regelrecht verehrt wird, weil sie 1943 Charkow von den Sowjets befreite, bevor es 1944 in Frankreich das Massaker von Oradour-sur-Glane verübte.

Zu den berühmten Figuren des Asow-Regiments gehörte der Oppositionspolitiker Roman Protassewitsch, der 2021 von den belarussischen Behörden im Zusammenhang mit dem RyanAir-Flug FR4978 festgenommen wurde. Am 23. Mai 2021 wird die absichtliche Entführung eines Passagierflugzeugs durch eine MiG-29 – natürlich mit Zustimmung Putins – als Grund für die Festnahme von Protassewitsch genannt, obwohl die damals verfügbaren Informationen dieses Szenario keineswegs bestätigen.

Aber dann muss man aufzeigen, dass Präsident Lukaschenko ein Schurke und Protassewitsch ein demokratiebegeisterter „Journalist“ ist. In einer ziemlich aufschlussreichen Untersuchung einer amerikanischen NGO aus dem Jahr 2020 wurden Protassewitschs militante rechtsextreme Aktivitäten aufgezeigt. Die westliche Verschwörungstheorie setzte ein und skrupellose Medien „feilten“ an seiner Biografie. Schließlich wird im Januar 2022 der ICAO-Bericht veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass Belarus trotz einiger Verfahrensfehler im Einklang mit den geltenden Regeln gehandelt hat und dass die MiG-29 15 Minuten nachdem der RyanAir-Pilot beschlossen hatte, in Minsk zu landen, abhob. Also keine belarussische Verschwörung und schon gar nicht mit Putin. Ah!… Noch ein Detail: Protassewitsch, der von der belarussischen Polizei grausam gefoltert wurde, ist heute frei. Wer mit ihm korrespondieren möchte, kann auf seinen Twitter-Account gehen.

Die Bezeichnung der ukrainischen Paramilitärs als „Nazis“ oder „Neonazis“ wird als russische Propaganda angesehen. Das mag sein; The Times of Israel, das Simon Wiesenthal Center oder das Zentrum für Terrorismusbekämpfung der West Point Academy sind jedoch anderer Meinung. Doch das bleibt umstritten, denn 2014 schien das Magazin Newsweek sie eher mit … dem Islamischen Staat in Verbindung zu bringen. Die Wahl liegt bei Ihnen!

Also unterstützt und bewaffnet der Westen weiterhin Milizen, die sich seit 2014 zahlreicher Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung schuldig gemacht haben: Vergewaltigungen, Folter und Massaker. Doch während die Schweizer Regierung sehr schnell Sanktionen gegen Russland verhängt hat, hat sie keine Sanktionen gegen die Ukraine verhängt, die seit 2014 ihre eigene Bevölkerung massakriert. Tatsächlich haben diejenigen, die sich in der Ukraine für die Menschenrechte einsetzen, die Machenschaften dieser Gruppen schon lange verurteilt, aber unsere Regierungen sind ihnen nicht gefolgt. Denn in Wirklichkeit will man nicht der Ukraine helfen, sondern Russland bekämpfen.

Die Integration dieser paramilitärischen Kräfte in die Nationalgarde ging keineswegs mit einer „Entnazifizierung“ einher, wie manche behaupten. Von den zahlreichen Beispielen ist das Abzeichen des Asow-Regiments aufschlussreich:

Im Jahr 2022 sind die ukrainischen Streitkräfte, die gegen die russische Offensive kämpfen, sehr schematisch wie folgt strukturiert:

Die Nationalgarde ist also eine territoriale Verteidigungstruppe, die nicht Teil der ukrainischen Armee ist. Sie umfasst die paramilitärischen Milizen, die sogenannten „Freiwilligenbataillone“ (добровольчі батальйоні), auch bekannt unter dem bezeichnenden Namen „Vergeltungsbataillone“, die aus Infanterie bestehen. Hauptsächlich für den Städtekampf ausgebildet, verteidigen diese heute Städte wie Charkow, Mariupol, Odessa, Kiew etc.

 

Teil zwei: Der Krieg

Als ehemaliger Verantwortlicher für die Warschauer-Pakt-Streitkräfte im Strategischen Nachrichtendienst der Schweiz stelle ich mit einer gewissen Trauer – aber nicht mit Erstaunen – fest, dass unsere Dienste nicht mehr in der Lage sind, die militärische Lage in der Ukraine zu verstehen. Die selbsternannten „Experten“, die unermüdlich über unsere Bildschirme paradieren, geben dieselben Informationen weiter, moduliert durch die Behauptung, Russland – und Wladimir Putin – seien irrational. Treten wir einen Schritt zurück.

Der Kriegsausbruch

Seit November 2021 drohen die Amerikaner immer wieder mit einer russischen Invasion der Ukraine. Die Ukrainer scheinen jedoch anderer Meinung zu sein. Warum?

Wir müssen bis zum 24. März 2021 zurückgehen. An diesem Tag erließ Wolodymyr Selenskij ein Dekret zur Rückeroberung der Krim und begann mit der Verlegung seiner Streitkräfte in den Süden des Landes. Gleichzeitig finden mehrere NATO-Übungen zwischen dem Schwarzen Meer und der Ostsee statt, die von einer deutlichen Zunahme von Aufklärungsflügen entlang der russischen Grenze begleitet werden. Russland führte einige Übungen durch, um die Einsatzbereitschaft seiner Truppen zu testen und zu zeigen, dass es die Entwicklung der Lage verfolgt.

Die Lage beruhigte sich bis Oktober/November mit dem Ende der ZAPAD-21-Übungen, deren Truppenbewegungen als Verstärkung für eine Offensive gegen die Ukraine interpretiert wurden. Doch selbst die ukrainischen Behörden weisen die Vorstellung von russischen Kriegsvorbereitungen zurück und Oleksiy Reznikov, der ukrainische Verteidigungsminister, erklärt, dass es an seiner Grenze seit dem Frühjahr keine Veränderungen gegeben habe.

Unter Verletzung der Minsker Abkommen führt die Ukraine mit Hilfe von Drohnen Luftoperationen im Donbass durch, von denen mindestens eine im Oktober 2021 ein Treibstofflager in Donezk traf. Die US-Presse berichtete darüber, die Europäer jedoch nicht, und niemand verurteilte diese Verstöße.

Im Februar 2022 überstürzen sich die Ereignisse. Am 7. Februar bekräftigt Emmanuel Macron bei seinem Besuch in Moskau gegenüber Wladimir Putin sein Festhalten an den Minsker Vereinbarungen, eine Zusage, die er nach seinem Treffen mit Wolodymyr Zelensky am folgenden Tag wiederholt. Doch am 11. Februar endete das Treffen der politischen Berater der Staats- und Regierungschefs des „Normandie-Formats“ in Berlin nach neun Stunden Arbeit ohne konkrete Ergebnisse: Die Ukrainer weigerten sich weiterhin, das Minsker Abkommen umzusetzen, offenbar auf Druck der Vereinigten Staaten. Wladimir Putin stellt daraufhin fest, dass Macron ihm leere Versprechungen gemacht hat und dass der Westen nicht bereit ist, die Abkommen umzusetzen, wie seit acht Jahren nicht.

Die ukrainischen Vorbereitungen in der Kontaktzone gehen weiter. Das russische Parlament ist alarmiert und fordert Wladimir Putin am 15. Februar auf, die Unabhängigkeit der Republiken anzuerkennen, was dieser jedoch ablehnt.

Am 17. Februar kündigt Präsident Joe Biden an, dass Russland die Ukraine in den nächsten Tagen angreifen wird. Woher weiß er das? Mysterium … Aber seit dem 16. nimmt der Artilleriebeschuss der Bevölkerung im Donbass dramatisch zu, wie aus den täglichen Berichten der OSZE-Beobachter hervorgeht. Natürlich reagieren weder die Medien noch die Europäische Union, die NATO oder irgendeine westliche Regierung darauf und greifen nicht ein. Später wird man sagen, dass es sich um russische Desinformation handelt. Tatsächlich scheint es, dass die Europäische Union und einige Länder das Massaker an der Bevölkerung im Donbass absichtlich verschwiegen haben, weil sie wussten, dass dies eine russische Intervention auslösen würde.

Gleichzeitig wurde von Sabotageakten im Donbass berichtet. Am 18. Januar fingen Donbass-Kämpfer mit westlicher Ausrüstung ausgestattete und polnisch sprechende Saboteure ab, die in Gorlivka chemische Unfälle herbeiführen wollten. Es könnte sich um CIA-Söldner handeln, die von Amerikanern angeführt oder „beraten“ werden und aus ukrainischen oder europäischen Kämpfern bestehen, um Sabotageaktionen in den Donbass-Republiken durchzuführen.


Tatsächlich weiß Joe Biden bereits seit dem 16. Februar, dass die Ukrainer damit begonnen haben, die Zivilbevölkerung im Donbass zu beschießen, was Wladimir Putin vor eine schwierige Wahl stellt: dem Donbass militärisch zu helfen und ein internationales Problem zu schaffen oder tatenlos zuzusehen, wie die russischsprachigen Menschen im Donbass zerquetscht werden.

Wenn er sich für eine Intervention entscheidet, kann sich Wladimir Putin auf die internationale Verpflichtung der „Responsibility To Protect“ (R2P) berufen. Er weiß jedoch, dass eine Intervention, unabhängig von ihrer Art oder ihrem Umfang, eine Flut von Sanktionen auslösen wird. Daher wird der Preis, ob sich seine Intervention auf den Donbass beschränkt oder ob er weiter geht, um Druck auf den Westen wegen des Status der Ukraine auszuüben, derselbe sein. Dies erklärte er auch in seiner Rede am 21. Februar.

An diesem Tag gab er dem Ersuchen der Duma nach, erkannte die Unabhängigkeit der beiden Donbass-Republiken an und unterzeichnete im selben Atemzug Freundschafts- und Beistandsverträge mit ihnen.

Die Bombardierung der Bevölkerung im Donbass durch die ukrainische Artillerie ging weiter und am 23. Februar baten die beiden Republiken Russland um militärische Hilfe. Am 24. berief sich Wladimir Putin auf Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen, der die gegenseitige militärische Unterstützung im Rahmen eines Verteidigungsbündnisses vorsieht.

Um die russische Intervention in den Augen der Öffentlichkeit komplett illegal erscheinen zu lassen, verschleiern wir bewusst die Tatsache, dass der Krieg in Tat und Wahrheit am 16. Februar begonnen hat. Die ukrainische Armee bereitete sich bereits 2021 darauf vor, den Donbass anzugreifen, was einigen russischen und europäischen Geheimdiensten sehr wohl bekannt war… Juristen werden urteilen.

In seiner Ansprache vom 24. Februar nannte Wladimir Putin die beiden Ziele seiner Operation: „Entmilitarisierung“ und „Entnazifizierung“ der Ukraine. Es geht also nicht darum, die Ukraine einzunehmen, wahrscheinlich nicht einmal darum, sie zu besetzen, und ganz sicher nicht darum, sie zu zerstören.

Von da an ist unser Einblick in den Ablauf der Operation begrenzt: Die Russen haben eine ausgezeichnete Operationssicherheit (OPSEC) und die Details ihrer Planung sind nicht bekannt. Doch recht schnell lässt sich anhand des Operationsverlaufs nachvollziehen, wie die strategischen Ziele operativ umgesetzt wurden.

Die „Entmilitarisierung“

Die russische Offensive verläuft sehr „klassisch“. Zunächst – wie es die Israelis 1967 getan hatten – mit der Zerstörung der Luftwaffe am Boden in den allerersten Stunden. Dann folgt ein gleichzeitiger Vormarsch auf mehreren Achsen nach dem Prinzip des „fließenden Wassers“: Man rückt überall dort vor, wo der Widerstand schwach ist, und lässt die Städte (die sehr truppenhungrig sind) für später liegen. Im Norden wird das Kraftwerk Tschernobyl sofort besetzt, um Sabotageakte zu verhindern. Bilder von ukrainischen und russischen Soldaten, die gemeinsam das Kraftwerk bewachen, werden natürlich nicht gezeigt…

Die Idee, dass Russland versucht, die Hauptstadt Kiew einzunehmen, um Zelensky zu beseitigen, stammt typischerweise vom Westen: So haben sie es in Afghanistan, im Irak und in Libyen gemacht und so wollten sie es auch in Syrien mit dem Islamischen Staat machen. Wladimir Putin hatte jedoch nie die Absicht, Selenskij zu töten oder zu stürzen. Russland versucht vielmehr, ihn an der Macht zu halten, indem es ihn durch die Einkreisung Kiews zu Verhandlungen drängt. Er hatte sich bis dahin geweigert, die Minsker Vereinbarungen umzusetzen, doch nun wollen die Russen die Neutralität der Ukraine erreichen.

Viele westliche Kommentatoren wunderten sich, dass die Russen weiterhin eine Verhandlungslösung anstrebten, während sie gleichzeitig militärische Operationen durchführten. Die Erklärung dafür liegt im russischen Strategiekonzept seit der Sowjetzeit. Für den Westen beginnt der Krieg, wenn die Politik aufhört. Der russische Ansatz folgt jedoch einer clausewitzschen Inspiration: Der Krieg ist die Kontinuität der Politik und man kann fließend zwischen beiden wechseln, sogar während der Kampfhandlungen. So kann Druck auf den Gegner aufgebaut und er zu Verhandlungen gedrängt werden.

Aus operativer Sicht war die russische Offensive ein Musterbeispiel dieser Art: Innerhalb von sechs Tagen eroberten die Russen ein Gebiet, das so groß wie Grossbritannien war, wobei sie schneller vorankamen, als die Wehrmacht es 1940 geschafft hatte.

Das Gros der ukrainischen Armee war im Süden des Landes stationiert, um eine größere Operation gegen den Donbass vorzubereiten. Daher konnten die russischen Streitkräfte sie bereits Anfang März im „Kessel“ zwischen Slawjansk, Kramatorsk und Sewerodonezk durch einen Vorstoß aus dem Osten über Charkow und einen weiteren aus dem Süden von der Krim aus umzingeln. Die Truppen der Republiken Donezk (DVR) und Lugansk (RPL) vervollständigten die Aktion der russischen Streitkräfte mit einem Vorstoß aus dem Osten.

In diesem Stadium ziehen die russischen Streitkräfte die Schlinge langsam enger, stehen aber nicht mehr unter Zeitdruck. Ihr Ziel der Demilitarisierung ist praktisch erreicht und die ukrainischen Restkräfte haben keine operative und strategische Kommandostruktur mehr.

Die „Verlangsamung“, die unsere „Experten“ auf eine schlechte Logistik zurückführen, ist nur die Folge davon, dass sie ihre Ziele erreicht haben. Russland scheint sich nicht auf eine Besetzung des gesamten ukrainischen Territoriums einlassen zu wollen. Vielmehr scheint es, dass Russland versucht, seinen Vormarsch an der Sprachgrenze des Landes zu begrenzen.

Unsere Medien berichten von wahllosen Bombenangriffen auf die Zivilbevölkerung, insbesondere in Charkow, und danteske Bilder werden in Dauerschleife ausgestrahlt. Doch Gonzalo Lira, ein Lateinamerikaner, der dort lebt, zeigt uns am 10. März und am 11. März eine ruhige Stadt. Natürlich ist es eine große Stadt und man sieht nicht alles, aber das scheint darauf hinzudeuten, dass wir uns nicht in dem totalen Krieg befinden, der uns ständig auf unseren Bildschirmen serviert wird.

Was die Donbass-Republiken betrifft, so haben sie ihre eigenen Gebiete „befreit“ und kämpfen in der Stadt Mariupol.

„Entnazifizierung“

In Städten wie Charkow, Mariupol und Odessa wird die Verteidigung von paramilitärischen Milizen übernommen. Sie wissen, dass das Ziel der „Entnazifizierung“ in erster Linie ihnen gilt.

Für einen Angreifer in urbanisierten Gebieten sind Zivilisten ein Problem. Deshalb versucht Russland, humanitäre Korridore zu schaffen, um die Städte von Zivilisten zu säubern und nur die Milizen zurückzulassen, damit sie leichter bekämpft werden können.

Umgekehrt versuchen diese Milizen, die Zivilisten in den Städten zu halten, um die russische Armee davon abzuhalten, in die Städte zu kommen, um dort zu kämpfen. Daher sträuben sie sich gegen die Umsetzung dieser Korridore und tun alles, um die russischen Bemühungen ins Leere laufen zu lassen: So können sie die Zivilbevölkerung als „menschliche Schutzschilde“ einsetzen. Videos, die Zivilisten zeigen, die Mariupol verlassen wollen und von Kämpfern des Asow-Regiments verprügelt werden, werden bei uns natürlich sorgfältig zensiert.

Auf Facebook wurde die Asow-Gruppe in die gleiche Kategorie wie der Islamische Staat eingestuft und unterlag der Richtlinie zu gefährlichen Personen und Organisationen der Plattform. Daher war es verboten, sie zu verherrlichen, und „Beiträge“, die sie unterstützten, wurden systematisch verbannt. Am 24. Februar änderte Facebook jedoch seine Politik und ließ Postings zu, die die Miliz unterstützten. Im März erlaubte die Plattform in den ehemaligen Ostblockländern Aufrufe zum Mord an russischen Militärs und Führern. Soweit zu den Werten, die unsere Führer inspirieren, wie wir noch sehen werden.

Unsere Medien verbreiten ein romantisierendes Bild des Volkswiderstands. Es ist dieses Bild, das die Europäische Union dazu veranlasst hat, die Verteilung von Waffen an die Zivilbevölkerung zu finanzieren. Das ist eine kriminelle Handlung. In meiner Funktion als Chef der Doktrin für friedenserhaltende Maßnahmen bei den Vereinten Nationen habe ich mich mit der Frage des Schutzes der Zivilbevölkerung beschäftigt. Damals stellten wir fest, dass Gewalt gegen Zivilisten in ganz bestimmten Kontexten stattfindet. Insbesondere dann, wenn es eine Fülle von Waffen gibt und keine Befehlsstrukturen vorhanden sind.

Diese Führungsstrukturen sind jedoch das Wesen von Armeen: Sie haben die Aufgabe, die Anwendung von Gewalt auf ein Ziel hin zu kanalisieren. Durch die ungeordnete Bewaffnung von Bürgern, wie es derzeit der Fall ist, macht die EU sie zu Kämpfern mit den daraus resultierenden Folgen: sie werden zu potenziellen Zielen. Darüber hinaus führt die Verteilung von Waffen ohne Führung und ohne operative Ziele unweigerlich zu Abrechnungen, Banditentum und Aktionen, die eher tödlich als effektiv sind. Der Krieg wird zu einer emotionalen Angelegenheit. Aus Stärke wird Gewalt. So geschehen in Tawarga (Libyen) vom 11. bis 13. August 2011, wo 30.000 Schwarzafrikaner mit von Frankreich (illegal) abgeworfenen Waffen massakriert wurden. Übrigens sieht das britische Royal Institute for Strategic Studies (RUSI) keinen Mehrwert in diesen Waffenlieferungen.

Außerdem setzt man sich durch Waffenlieferungen an ein Land, das sich im Krieg befindet, der Gefahr aus, als kriegführend betrachtet zu werden. Die russischen Luftangriffe vom 13. März 2022 auf den Luftwaffenstützpunkt Mykolajiw folgen den russischen Warnungen, dass Waffentransporte wie feindliche Ziele behandelt würden.

Die EU wiederholt die katastrophalen Erfahrungen des Dritten Reichs in den letzten Stunden der Schlacht um Berlin. Der Krieg sollte dem Militär überlassen werden, und wenn eine Seite verloren hat, sollte man das auch zugeben. Und wenn es Widerstand geben sollte, muss dieser unbedingt geführt und strukturiert werden. Wir tun jedoch genau das Gegenteil: Wir drängen Bürger dazu, in den Kampf zu ziehen, und gleichzeitig erlaubt Facebook Aufrufe zum Mord an russischen Militärs und Führern. So viel zu den Werten, die uns inspirieren.

In manchen Geheimdiensten sieht man diese unverantwortliche Entscheidung als eine Möglichkeit, die ukrainische Bevölkerung als Kanonenfutter für den Kampf gegen Wladimir Putins Russland zu benutzen. Man hätte diese Art von mörderischer Entscheidung den Kollegen von Ursula von der Leyens Großvater überlassen sollen. Es wäre klüger gewesen, in Verhandlungen einzutreten und so Garantien für die Zivilbevölkerung zu erhalten, als Öl ins Feuer zu gießen. Es ist leicht, mit dem Blut anderer kämpferisch zu sein…

Mariupols Geburtsklinik

Es ist wichtig, vorab zu verstehen, dass nicht die ukrainische Armee Mariupol verteidigt, sondern die Asow-Miliz, die sich aus ausländischen Söldnern zusammensetzt.

In ihrer Zusammenfassung der Lage vom 7. März 2022 erklärte die russische UNO-Mission in New York: „Einwohner berichten, dass die ukrainischen Streitkräfte das Personal des Geburtskrankenhauses Nr. 1 in der Stadt Mariupol vertrieben und einen Schießstand innerhalb der Einrichtung eingerichtet haben.“

Am 8. März veröffentlichte das unabhängige russische Medium Lenta.ru die Aussage von Zivilisten aus Mariupol, die berichteten, dass die Entbindungsstation von den Milizen des Asow-Regiments eingenommen worden sei und die zivilen Bewohner unter Androhung von Waffengewalt vertrieben hätten. Damit bestätigten sie die Aussagen des russischen Botschafters einige Stunden zuvor.

Das Krankenhaus von Mariupol befindet sich in einer beherrschenden Lage, die sich perfekt für die Stationierung von Panzerabwehrwaffen und zur Beobachtung eignet. Am 9. März griffen russische Truppen das Gebäude an. Laut CNN soll es 17 Verletzte geben, doch die Bilder zeigen keine Opfer in den Räumlichkeiten und es gibt keine Hinweise darauf, dass die Opfer, von denen die Rede ist, mit diesem Angriff in Verbindung stehen. Es wird von Kindern gesprochen, aber in Wirklichkeit ist nichts zu sehen. Das kann wahr sein, aber es kann auch falsch sein… Was die EU-Führer nicht daran hindert, darin ein Kriegsverbrechen zu sehen… Was Zelensky kurz danach erlaubt, eine Flugverbotszone über der Ukraine zu fordern…

In Wirklichkeit ist nicht klar, was genau passiert ist. Die Abfolge der Ereignisse deutet jedoch darauf hin, dass die russischen Streitkräfte eine Stellung des Asow-Regiments getroffen haben und dass die Entbindungsstation zu diesem Zeitpunkt frei von Zivilisten war.

Das Problem ist, dass die paramilitärischen Milizen, die die Städte verteidigen, von der internationalen Gemeinschaft dazu ermutigt werden, sich nicht an die Gepflogenheiten des Krieges zu halten. Es scheint, als hätten die Ukrainer das Szenario der Entbindungsstation in Kuwait City im Jahr 1990 nachgespielt, die von der Firma Hill & Knowlton für 10,7 Millionen Dollar komplett inszeniert worden war, um den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen davon zu überzeugen, im Irak für die Operation Desert Shield/Storm einzugreifen.

Westliche Politiker haben übrigens acht Jahre lang Schläge gegen Zivilisten im Donbass hingenommen, ohne irgendwelche Sanktionen gegen die ukrainische Regierung zu beschließen. Wir sind längst in eine Dynamik eingetreten, in der die westlichen Politiker bereit sind, das Völkerrecht ihrem Ziel zu opfern, Russland zu schwächen.

 

Teil drei: Schlussfolgerungen

Als ehemaligem Geheimdienstprofi fällt mir als Erstes auf, dass die westlichen Geheimdienste bei der Darstellung der Lage seit einem Jahr völlig abwesend sind. In der Schweiz wurde den Diensten vorgeworfen, kein korrektes Bild der Lage geliefert zu haben. In der Tat scheint es, dass in der gesamten westlichen Welt die Dienste von der Politik überfordert waren. Das Problem ist, dass die Politiker die Entscheidungen treffen: Der beste Geheimdienst der Welt ist nutzlos, wenn der Entscheidungsträger nicht auf ihn hört. Genau das ist in dieser Krise passiert.

Abgesehen davon hatten einige Geheimdienste ein sehr genaues und rationales Bild der Situation, während andere offensichtlich das gleiche Bild hatten, wie es von unseren Medien propagiert wurde. In dieser Krise spielten die Dienste der Länder des „neuen Europa“ eine wichtige Rolle. Das Problem ist, dass sie meiner Erfahrung nach analytisch extrem schlecht sind: doktrinär, haben sie nicht die intellektuelle und politische Unabhängigkeit, die notwendig ist, um eine Situation mit militärischer „Qualität“ zu beurteilen. Es ist besser, sie als Feinde zu haben als als Freunde.

Zweitens scheint es, dass in einigen europäischen Ländern die Politiker ihre Dienste absichtlich ignoriert haben, um ideologisch auf die Situation zu reagieren. Aus diesem Grund war diese Krise von Anfang an irrational. Es ist zu beachten, dass alle Dokumente, die der Öffentlichkeit im Zuge dieser Krise vorgelegt wurden, von Politikern auf der Grundlage von Quellen mit kommerziellen Interessen erstellt wurden…

Einige westliche Politiker wollten offensichtlich, dass es zu einem Konflikt kommt. In den USA waren die Angriffsszenarien, die Anthony Blinken dem Sicherheitsrat vorstellte, lediglich das Produkt der Fantasie eines für ihn arbeitenden Tiger-Teams: Er tat genau das, was Donald Rumsfeld 2002 tat, der auf diese Weise die CIA und andere Geheimdienste „umging“, die in Bezug auf die irakischen Chemiewaffen weit weniger affirmativ waren.

Die dramatischen Entwicklungen, deren Zeugen wir heute sind, haben Ursachen, die wir zwar kannten, aber nicht wahrhaben wollten:

Mit anderen Worten: Wir können den russischen Angriff natürlich bedauern und verurteilen. Aber WIR (d.h.: allen voran die USA, Frankreich und die Europäische Union) haben die Bedingungen für den Ausbruch eines Konflikts geschaffen. WIR zeigen Mitgefühl mit dem ukrainischen Volk und den zwei Millionen Flüchtlingen. Das ist gut und schön. Aber wenn wir auch nur ein Minimum an Mitgefühl für die gleiche Anzahl an Flüchtlingen der ukrainischen Bevölkerung im Donbass gehabt hätten, die von ihrer eigenen Regierung massakriert wurden und sich in Russland über acht Jahre hinweg angesammelt haben, wäre wahrscheinlich nichts davon passiert.

Ob der Begriff „Völkermord“ auf die Übergriffe gegen die Menschen im Donbass zutrifft, ist eine offene Frage. Normalerweise wird dieser Begriff für Fälle größeren Ausmaßes (Holocaust usw.) verwendet, doch die Definition des Begriffs in der Völkermordkonvention ist wahrscheinlich weit genug gefasst, um auch hier Anwendung zu finden. Juristen werden dies zu schätzen wissen.

Offensichtlich hat uns dieser Konflikt in die Hysterie getrieben. Sanktionen scheinen zum bevorzugten Instrument unserer Außenpolitik geworden zu sein. Hätten wir darauf bestanden, dass die Ukraine das Minsker Abkommen einhält, das wir ausgehandelt und unterstützt haben, wäre all dies nicht passiert. Die Verurteilung von Wladimir Putin ist auch unsere Verurteilung. Es nützt nichts, im Nachhinein zu jammern, man hätte vorher handeln müssen. Doch weder Emmanuel Macron (als Bürge und als Mitglied des UNO-Sicherheitsrats) noch Olaf Scholz oder Volodymyr Zelensky haben ihre Verpflichtungen eingehalten. Letztendlich ist die wahre Niederlage die Niederlage derer, die nicht zu ihrem Wort stehen.

Die Europäische Union war nicht in der Lage, die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zu fördern, im Gegenteil, sie reagierte nicht, als die Ukraine ihre eigene Bevölkerung im Donbass bombardierte. Hätte sie es getan, hätte Wladimir Putin nicht reagieren müssen. Da die EU in der diplomatischen Phase nicht anwesend war, zeichnete sie sich dadurch aus, dass sie den Konflikt anheizte. Am 27. Februar stimmte die ukrainische Regierung der Aufnahme von Verhandlungen mit Russland zu. Doch nur wenige Stunden später stimmte die EU für ein Budget von 450 Millionen Euro für Waffenlieferungen an die Ukraine und goss damit erneut Öl ins Feuer. Von da an spüren die Ukrainer, dass sie keine Einigung mehr erzielen müssen. Der Widerstand der Asow-Milizen in Mariupol wird sogar eine Erhöhung des 500-Millionen-Euro-Waffengeschäfts auslösen.

In der Ukraine werden mit dem Segen der westlichen Länder diejenigen, die sich für Verhandlungen aussprechen, eliminiert. Dies gilt für Denis Kirejew, einen der ukrainischen Verhandlungsführer, der am 5. März vom ukrainischen Geheimdienst (SBU) ermordet wurde, weil er zu sehr für Russland war und als Verräter galt. Dasselbe Schicksal ereilte Dmitry Demyanenko, den ehemaligen stellvertretenden Leiter der SBU-Hauptverwaltung für Kiew und Umgebung, der am 10. März ermordet wurde, weil er zu sehr für ein Abkommen mit Russland war: Er wurde von der Miliz Mirotvorets („Friedensstifter“) erschossen. Diese Miliz ist mit der Mirotvorets-Website verbunden, die „Feinde der Ukraine“ mit persönlichen Daten, Adressen und Telefonnummern auflistet, damit sie belästigt oder sogar eliminiert werden können; eine Praxis, die in vielen Ländern strafbar ist, nicht aber in der Ukraine. Die UNO und einige europäische Länder forderten die Schließung… die von der Rada abgelehnt wurde.

Letztendlich wird der Preis hoch sein, aber Wladimir Putin wird wahrscheinlich die Ziele erreichen, die er sich gesetzt hat. Seine Beziehungen zu Peking haben sich gefestigt. China tritt als Vermittler in dem Konflikt auf, während die Schweiz in die Liste der Feinde Russlands aufgenommen wurde. Die Amerikaner müssen Venezuela und den Iran um Öl bitten, um sich aus der energiepolitischen Sackgasse zu befreien, in die sie sich selbst gebracht haben: Juan Guaido verlässt endgültig die Bühne und die USA müssen die Sanktionen, die sie gegen ihre Feinde verhängt haben, kläglich zurücknehmen.

Westliche Minister, die versuchen, die die russische Wirtschaft zum Einsturz zu bringen und das russische Volk darunter leiden zu lassen, oder sogar dazu aufrufen, Putin zu ermorden, zeigen (auch wenn sie teilweise die Form ihrer Äußerungen zurückgenommen haben, nicht aber den Inhalt!), dass unsere Führer nicht besser sind als diejenigen, die wir hassen. Denn russische Athleten der Paralympischen Spiele oder russische Künstler zu bestrafen, hat absolut nichts mit einem Kampf gegen Putin zu tun.

Wir erkennen also an, dass Russland eine Demokratie ist, da wir der Meinung sind, dass das russische Volk für den Krieg verantwortlich ist. Wenn dies nicht der Fall ist, warum versuchen wir dann, eine ganze Bevölkerung für die Schuld eines Einzelnen zu bestrafen? Erinnern wir uns daran, dass Kollektivstrafen durch die Genfer Konventionen verboten sind…

Die Lehre, die wir aus diesem Konflikt ziehen müssen, ist unser Sinn für Menschlichkeit mit variabler Geometrie. Wenn uns der Frieden und die Ukraine so sehr am Herzen lagen, warum haben wir sie dann nicht stärker dazu angehalten, die von ihr unterzeichneten und von den Mitgliedern des Sicherheitsrats gebilligten Abkommen einzuhalten?

Die Integrität von Medien wird daran gemessen, ob sie bereit sind, nach den Bedingungen der Münchner Charta zu arbeiten. Sie hatten es geschafft, während der Covid-Krise Hass auf die Chinesen zu schüren und ihre polarisierte Botschaft führt zum selben Effekten gegen die Russen. Der Journalismus entkleidet sich immer mehr der Professionalität, um militant zu werden.

Wie Goethe schon sagte: „Je größer das Licht, desto schwärzer der Schatten“. Je maßloser die Sanktionen gegen Russland ausfallen, desto mehr zeigen die Fälle, in denen wir nichts unternommen haben, unseren Rassismus und unsere Unterwürfigkeit. Warum hat acht Jahre lang kein westlicher Politiker auf die Angriffe gegen die Zivilbevölkerung im Donbass reagiert?

Denn was macht den Konflikt in der Ukraine letztlich tadelnswerter als den Krieg im Irak, in Afghanistan oder in Libyen? Welche Sanktionen haben wir gegen diejenigen verhängt, die vor der internationalen Gemeinschaft bewusst gelogen haben, um ungerechte, ungerechtfertigte, nicht zu rechtfertigende und mörderische Kriege zu führen? Haben wir versucht, das amerikanische Volk, das uns vor dem Irakkrieg belogen hatte (denn es ist eine Demokratie!), „leiden zu lassen“? Haben wir auch nur eine einzige Sanktion gegen die Länder, Unternehmen oder Politiker verhängt, die den Konflikt im Jemen, der als die „schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt“ gilt, mit Waffen anheizen? Haben wir Sanktionen gegen die Länder der Europäischen Union verhängt, die auf ihrem Territorium zum Nutzen der USA die abscheulichste Folter praktizieren?

Diese Frage zu stellen heißt, sie zu beantworten – und die Antwort ist nicht schön.

 

Jacques Baud ist ein ehemaliger Oberst des Generalstabs, ehemaliges Mitglied des schweizerischen strategischen Nachrichtendienstes und Spezialist für die osteuropäischen Länder. Er wurde in den Geheimdiensten der USA und Großbritanniens ausgebildet. Er war Leiter der Doktrin für Friedensoperationen der Vereinten Nationen. Als Experte der Vereinten Nationen für Rechtsstaatlichkeit und Sicherheitsinstitutionen konzipierte und leitete er den ersten multidimensionalen Nachrichtendienst der Vereinten Nationen im Sudan. Er arbeitete für die Afrikanische Union und war fünf Jahre lang bei der NATO für die Bekämpfung der Verbreitung von Kleinwaffen zuständig. Unmittelbar nach dem Zusammenbruch der UdSSR war er an Gesprächen mit den höchsten russischen Militär- und Geheimdienstvertretern beteiligt. Innerhalb der NATO verfolgte er die Ukraine-Krise von 2014 und war anschließend an Hilfsprogrammen für die Ukraine beteiligt. Er ist Autor mehrerer Bücher über Geheimdienste, Krieg und Terrorismus, insbesondere Le Détournement (Die Entführung) im Verlag SIGEST, Gouverner par les fake news (Regieren mit Fake News), L’affaire Navalny (Die Navalny-Affäre) und Putin, maître du jeu? (Putin, Meister des Spiels) im Verlag Max Milo.

Sein neuestes Werk „Poutine, maître du jeu?“ (Putin, Meister des Spiels?), Verlag Max Milo, erscheint am 16. März 2022.

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