Einer der Gründe, warum sich der Konflikt mit den palästinensischen Arabern in die Länge gezogen hat, ist, dass Israel es versäumt hat, den Konflikt richtig zu konzeptualisieren.
Martin Sherman, 29. Mai 2022, JNS.org
aus dem Englischen von Daniel Heiniger
„Umfrage: 23 % der arabischen Israelis würden eine arabische Invasion in Israel unterstützen“ — Schlagzeile von i24 News, 15. Mai 2022
Paradoxerweise ist ein Vorfall, der die unauslöschliche arabische Feindschaft gegenüber den Juden anschaulich illustriert, ein Ereignis, das mit einer Demonstration arabischen Wohlwollens – ja, sogar Galanterie – gegenüber einem Juden begann.
Mitte Juni 2020 hörte ein arabischer Bauarbeiter, Mahmoud Abu Arabian, die Hilferufe einer Frau. Er eilte ihr zu Hilfe und musste feststellen, dass sie von ihrem Freund brutal attackiert wurde, der mehrfach auf sie eingestochen hatte. Unter erheblicher Gefahr für sich selbst gelang es ihm, den (jüdischen) Angreifer zu überwältigen und die verletzte (jüdische) Frau zu befreien, die in ein Krankenhaus gebracht wurde, wo die Ärzte ihr Leben retten konnten.
Nach der Genesung des Opfers erklärte Abu Arabian, dass er sie sehr gerne besucht hätte, dies aber wegen der Missbilligung in seinen sozialen Kreisen nicht tat, die seine Entscheidung, eine jüdische Frau und somit und ein jüdisches Leben zu retten, missbilligten.
Diese Episode bestätigt in hohem Maße die düsteren Ergebnisse einer kürzlich durchgeführten Meinungsumfrage, wonach eine große Mehrheit (75 %) der israelischen Araber das Recht des jüdischen Volkes auf Souveränität und den Status Israels als Nationalstaat der Juden ablehnt. Noch bedrohlicher: Auf die Frage, wie sie im Falle eines arabischen Angriffs auf Israel reagieren würden, antwortete fast ein Viertel, dass sie die arabischen Angreifer unterstützen würden, während über die Hälfte neutral bleiben würde. Nur etwas mehr als ein Viertel (26 %) würde Israel unterstützen.
Träge Loyalität oder latente Illoyalität?
Diese Zahlen, so gravierend sie auch sind, sind nicht unerwartet und sollten es auch nicht sein. Schließlich haben die israelischen Araber bei der letzten Wahl fast ausnahmslos für Parteien gestimmt, die eine antizionistische Agenda vertreten – über 80 % für die Vereinigte Liste oder die islamistische Vereinigte Arabische Liste (Ra’am). Selbst ein flüchtiger Blick auf die offiziellen Programme dieser mehrheitlich arabischen Parteien offenbart eine unverhohlene und unverschleierte Ablehnung Israels als Nationalstaat des jüdischen Volkes.
Und das, obwohl die arabischen Bürger Israels seit mehr als einem halben Jahrhundert volle Bürgerrechte genießen, einen höheren Lebensstandard als in den arabischen Ländern haben – vielleicht mit Ausnahme derer, die mit Ölreichtum gesegnet sind – und mehr persönliche Freiheiten haben als irgendwo sonst in der arabischen Welt. Dies macht die arabische Zurückhaltung bei der Unterstützung Israels gegen eine mögliche arabische Aggression zu einem perversen Rätsel.
Es macht keinen grossen Unterschied, wenn die oben zitierte Umfrage nicht ganz präzise ist. Selbst wenn wir erhebliche Ungenauigkeiten in Kauf nehmen, ist eine Sache offensichtlich: Ein beträchtlicher Teil der israelisch-arabischen Bevölkerung ist nicht nur ihrem Heimatland nicht loyal, sondern würde sich bei einem feindlichen Angriff auf das Land zum Komplizen machen.
Es bleibt also wenig anderes übrig, als sich mit der Tatsache abzufinden, dass die Haltung der unbestreitbaren Mehrheit der israelischen Araber gegenüber Israel von einem trägen Mangel an Loyalität bis hin zu einer latenten Illoyalität reicht, die nur auf einen günstigen Moment wartet, um sich zu manifestieren.
Ein archetypisches Nullsummenspiel.
Das Unvermögen des israelischen Establishments, das Ausmaß und die Tragweite der Ablehnung der jüdischen souveränen Staatlichkeit unter den israelischen Arabern zu begreifen, spiegelt sich nicht nur in der israelischen Innenpolitik wider, sondern auch in der Außenpolitik gegenüber den externen arabischen Gegnern – insbesondere den palästinensischen Arabern, der vermeintlichen Wurzel des arabisch-israelischen Konflikts.
In diesem Zusammenhang lohnt es sich vielleicht, an das weise Diktum des bedeutenden Sozialpsychologen Kurt Leven zu erinnern, der feststellte: „Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie“. Schließlich ist Handeln ohne Verstehen ein wenig so, als würde man einen Hammer schwingen, ohne zu wissen, wo die Nägel sind – und das ist genauso gefährlich. In dieser Hinsicht hilft uns eine gute Theorie, Ursache und Wirkung zu verstehen, und erleichtert so eine wirksame Politik.
Um eine wirksame Politik gegen die anhaltende arabische Feindschaft zu entwickeln, muss Israel den Konflikt um die Frage der jüdischen Souveränität im Heiligen Land genau konzeptualisieren. Die ungeschminkte Wahrheit ist, dass der Konflikt zwischen den Juden und den palästinensischen Arabern um die Kontrolle über das Heilige Land bei einer korrekten Betrachtung als ein Zusammenstoß zwischen zwei rivalisierenden Kollektiven mit unversöhnlichen Grundnarrativen erscheint.
Sie sind unversöhnlich, weil die raison d’être des einen die Erhaltung der jüdischen politischen Souveränität im Heiligen Land ist, während die raison d’être des anderen die Aufhebung der jüdischen politischen Souveränität im Heiligen Land ist. Dies führt zu unvereinbaren Konzepten von „Heimat“.
Der Konflikt zwischen den Juden und den palästinensischen Arabern ist somit ein archetypisches Nullsummenspiel, bei dem die Gewinne der einen Seite unweigerlich Verluste für die andere bedeuten. Es ist ein Aufeinandertreffen von Protagonisten mit gegensätzlichen und exklusiven Kernzielen. Nur einer kann als Sieger hervorgehen, der andere als Besiegter. Es gibt keine Trostpreise.
Nur widerwillig akzeptiert oder sehr gefürchtet?
Der israelisch-arabische Konflikt ist ein Zusammenstoß von Kollektiven, dessen Ausgang durch einen kollektiven Sieg oder eine kollektive Niederlage bestimmt wird. Das Schicksal einzelner Mitglieder eines Kollektivs kann nicht die Politik des rivalisierenden Kollektivs bestimmen, und es kann keine Überlegung sein, die die Wahrscheinlichkeit eines kollektiven Sieges oder einer Niederlage beeinflusst.
Der Imperativ des Überlebens Israels diktiert also, dass es auf das Streben nach warmer und willkommener Zustimmung seitens der Araber verzichten muss. Für die absehbare Zukunft wird diese verführerische Illusion ein unerreichbarer Wunschtraum bleiben. Vielmehr muss sich Israel mit einer ernsten, aber nüchternen Feststellung abfinden: Das Höchste, worauf es hoffen kann, ist, widerwillig akzeptiert zu werden, und das Mindeste, was es erreichen muss, ist, sehr gefürchtet zu werden. Wohlwollendere politische Ziele sind ein Rezept für eine Katastrophe.
Um die entscheidende Bedeutung dieser harschen Einschätzung zu unterstreichen, möchte ich jeden potenziellen Abweichler auffordern, die Folgen einer jüdischen Niederlage und eines arabischen Sieges zu bedenken. Ein flüchtiger Überblick über die blutigen regionalen Realitäten im Nahen Osten sollte genügen, um zu verdeutlichen, was mit einem solchen Ergebnis einhergehen würde.
Erst wenn ein entscheidender jüdischer Kollektivsieg errungen ist, kann die Frage der individuellen Ungerechtigkeit und des Leids im arabischen Kollektiv als politische Überlegung angesprochen werden. Bis dahin kann weder das individuelle Wohlergehen noch das gesellschaftliche Wohlergehen des gegenüberliegenden Kollektivs als vorrangige politische Vorgabe gelten.
Wäre der Imperativ des kollektiven Sieges nicht der entscheidende Faktor in der Strategie der Alliierten im Zweiten Weltkrieg gewesen, trotz der schrecklichen zivilen Verluste, die er dem anderen Kollektiv zufügte, würde die Welt heute vielleicht in Sklaverei leben.
Wenn wir das Schicksal einzelner Mitglieder des gegnerischen Kollektivs betrachten, müssen wir unbedingt bedenken, dass es zwar zweifellos viele palästinensische Araber mit guten persönlichen Eigenschaften gibt, die niemandem etwas Böses wollen, dass aber das palästinensisch-arabische Kollektiv nicht das unglückliche Opfer radikaler, mit dem Terror verbundener Führer ist. Ganz im Gegenteil. Es ist in der Tat der gesellschaftliche Schmelztiegel, in dem diese Führer geschmiedet wurden und aus dem sie hervorgegangen sind. Ihre Führung ist ein Spiegelbild der palästinensisch-arabischen Gesellschaft und nicht eine Zumutung für sie.
Die Schlussfolgerung ist daher unausweichlich: Das palästinensisch-arabische Kollektiv muss als unerbittlicher Feind und nicht als potenzieller Friedenspartner betrachtet werden – und als solcher sollte es auch behandelt werden.
Martin Sherman (www.martinsherman.org) ist Gründer und geschäftsführender Direktor des Israel Institute for Strategic Studies (www.strategic-israel.org) und Mitglied der Forschungsabteilung von Habithonistim: Israels Verteidigungs- und Sicherheitsforum.