Sol Stern, März 2023, commentary.org
aus dem Englischen von Daniel Heiniger
Israel wird bald den 75. Jahrestag seiner Unabhängigkeit feiern. Etwa zur gleichen Zeit werden die Palästinenser ihren jährlichen Nakba-Tag begehen, den offiziellen Gedenktag, der jedes Jahr am 15. Mai stattfindet, um gegen die Gründung Israels zu protestieren. Das Gedenken an diese vermeintliche „Katastrophe“ (Nakba) wird sicherlich ein zentrales Thema in der medialen Elitediskussion über den Jahrestag Israels sein. Als solche wird sie einen anhaltenden Triumph der Palästinenser in der Öffentlichkeitsarbeit darstellen – und einen Sieg der Täuschung und Desinformation.
Seit einem Vierteljahrhundert beharren die Führer der Palästinensischen Autonomiebehörde darauf, dass ihr Volk unschuldiges Opfer eines historisch beispiellosen Verbrechens im Jahr 1948 war, eines Verbrechens, das häufig in einem Atemzug mit dem Holocaust genannt wird. Ihre Darstellung ist ein Beispiel für das Phänomen, das man die „große Lüge“ nennt. In der Tat ist sie vielleicht die hartnäckigste große Lüge der letzten 75 Jahre. Doch Vorsicht ist geboten, denn dieser vermeintlich feierliche Akt des nationalen Gedenkens wird wahrscheinlich genutzt, um gewalttätige Demonstrationen gegen den jüdischen Staat zu starten.
Das Nakba-Narrativ stellt die Gründung Israels als eine Katastrophe dar, die zur Enteignung der Ureinwohner des Landes führte. Jassir Arafat, der damalige Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), erfand den Nakba-Tag am 15. Mai 1998, als Israel gerade sein 50-jähriges Bestehen feierte. Von seinem Hauptquartier im Westjordanland aus verkündete Arafat über die Radiosender der Palästinensischen Autonomiebehörde und öffentliche Lautsprecher den Marschbefehl für diesen Tag:
Die Nakba hat uns aus unseren Häusern vertrieben und uns über den ganzen Globus verstreut. Historiker mögen suchen, aber sie werden kein Volk finden, das so viel Folter erduldet hat wie das unsere. Wir bitten nicht um viel. Wir wollen nicht den Mond. Wir wollen, dass das Kapitel Nakba ein für alle Mal abgeschlossen wird, dass die Flüchtlinge zurückkehren und ein unabhängiger palästinensischer Staat auf unserem Land, unserem Land, unserem Land errichtet wird, genau wie bei anderen Völkern.
Neun Palästinenser wurden an diesem Tag getötet. Hunderte weitere (darunter auch einige Israelis) starben während der Unruhen am Nakba-Tag im Laufe des folgenden Vierteljahrhunderts.
Doch es war nicht die tödliche Gewalt, die den ersten Nakba-Tag historisch bedeutsam machte. Vielmehr beschloss Arafat zu einem Zeitpunkt, als das Friedensabkommen von Oslo aus dem Jahr 1993 noch in Kraft war und die Möglichkeit bestand, eine „Zweistaatenlösung“ für den Konflikt zu erreichen, die palästinensische Geschichte als Waffe einzusetzen, um Israel einen permanenten Krieg zu erklären. Das Schlüsselelement seiner Rede zum Nakba-Tag war die Behauptung, dass es fünf Millionen palästinensische Flüchtlinge gebe, die ein heiliges „Recht auf Rückkehr“ in ihre Häuser in Jaffa, Haifa und Dutzenden ehemals arabischen Städten und Dörfern in Israel hätten.
In seinen mehr als drei Jahrzehnten als Palästinenserführer ist es Arafat nicht gelungen, etwas Konstruktives für sein Volk zu erreichen. Doch der Nakba-Tag hat sein Ziel, den glorreichen Kampf gegen den Zionismus zu verlängern, vorangebracht. Die Palästinensische Autonomiebehörde behauptet nun, dass es 7 Millionen Flüchtlinge gebe. Arafats Nachfolger, Mahmoud Abbas, ist der festen Überzeugung, dass der Konflikt so lange andauern muss, bis alle Flüchtlinge das Recht auf Rückkehr in ihre früheren Häuser in Israel erhalten. Abbas bot letzten Sommer sogar eine aktualisierte Version der Nakba an, als er in Deutschland öffentlich erklärte, die Palästinenser hätten durch die Juden das Äquivalent von „50 Holocausts“ erlitten.
Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Palästinensern werden ihre Wut über Israels Existenz zum Ausdruck bringen, indem sie sich im Mai an den Aufständen zum Nakba-Tag beteiligen. Auch von der internationalen Linkskoalition, die die Palästinenser als einzigartige Opfer des westlichen Rassismus, des Kolonialismus und der zionistischen Perfidie feiert, ist ein Anstieg der Unterstützung für das 25. jährliche Nakba-Gedenken zu erwarten. Bei Straßendemonstrationen und auf Universitätsgeländen werden Aktivisten den Slogan skandieren, der das Endziel des Nakba-Narrativs zusammenfasst: „Vom Fluss bis zum Meer wird Palästina frei sein“.
Die Nakba hat sogar Einzug in die Hallen des US-Repräsentantenhauses gehalten, und zwar durch eine Resolution, die von der Kongressabgeordneten Rashida Tlaib verfasst und von sechs ihrer demokratischen Parteikollegen befürwortet wurde. In der Resolution wird die US-Regierung aufgefordert, „die Nakba durch offizielle Anerkennung und Gedenken zu begehen“ und „Bemühungen abzulehnen, die Regierung der Vereinigten Staaten für die Leugnung der Nakba zu gewinnen, zu engagieren oder anderweitig damit in Verbindung zu bringen.“
Ihre Kongresskollegen müssen sich nicht um die Gefahr der Nakba-Leugnung sorgen. Das Problem ist eher das Gegenteil. Allzu viele absolut vernünftige Menschen, darunter auch etliche linke Israelis, scheinen bereit zu sein, die tödlichen Auswirkungen des Nakba-Narrativs zu ignorieren, aus Angst, der Gefühllosigkeit gegenüber dem Leiden eines anderen Volkes bezichtigt zu werden.
Wenn „nakba“ lediglich „Katastrophe“ bedeutet, dann ist das Wort sehr passend. Zweifellos haben die Palästinenser 1948 eine schreckliche menschliche Tragödie erlebt. Rund 700 000 Männer, Frauen und Kinder verloren ihre angestammte Heimat, und die palästinensische Zivilgesellschaft löste sich auf. Die Flüchtlinge zerstreuten sich in das von Jordanien besetzte Westjordanland, den von Ägypten besetzten Gazastreifen und die benachbarten arabischen Länder. Neunzig Prozent von ihnen sind inzwischen verstorben, aber rund 2 Millionen ihrer Nachkommen vegetieren in trostlosen Flüchtlingslagern dahin. Nach 75 Jahren sollte dieser riesige Rest in neue Wohnungen umgesiedelt und für seine Verluste entschädigt werden. Die Umsiedlung ist genau die Art und Weise, wie jede andere Flüchtlingskatastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg (mit insgesamt 13 Millionen Flüchtlingen allein in Europa) gelöst wurde.
Doch die Nakba hat mehr als eine Bedeutung. Die Version, die jetzt von den palästinensischen Führern und ihren Anhängern propagiert wird, weist den Juden die alleinige Schuld an der Katastrophe von 1948 zu und schlägt gleichzeitig eine absurde Lösung vor, die den Selbstmord des jüdischen Staates bedeuten würde. Und das ist es auch, was das palästinensische Narrativ heute bedeutet.
Die Befürworter Israels werden oft aufgefordert, ihren Anstand zu beweisen, indem sie die Realität der Nakba anerkennen. Es gibt keinen Grund, vor dieser Herausforderung zurückzuschrecken. Was wir brauchen, ist eine ernsthafte forensische Untersuchung der verschiedenen palästinensischen Narrative, ihrer Wahrheiten, Unwahrheiten und ihres Hasses. Der Ort, an dem diese Untersuchung beginnen sollte, ist der allererste Nakba-Text, der vor 75 Jahren in Beirut veröffentlicht wurde.
II.
Am 5. AUGUST 1948, nicht ganz drei Monate nach der Invasion des neuen Staates Israel durch fünf arabische Armeen, erschien in Beirut ein kurzes Buch mit dem Titel Maana al-Nakba (später übersetzt mit Die Bedeutung der Katastrophe), das großen Anklang fand. Der Autor war Konstantin K. Zurayk, ein angesehener Professor für orientalische Geschichte und Vizepräsident der Amerikanischen Universität von Beirut.
Zurayk war das Wunderkind der arabischen akademischen Welt. Er wurde 1909 in Damaskus als Sohn einer wohlhabenden griechisch-orthodoxen Familie geboren und mit 20 Jahren in die Vereinigten Staaten geschickt, um dort sein Studium zu absolvieren. Innerhalb eines Jahres erwarb er einen Master-Abschluss an der Universität von Chicago. Ein Jahr später erwarb er zusätzlich einen Doktortitel in orientalischen Sprachen von Princeton. Danach kehrte er nach Beirut und an die Amerikanische Universität zurück.
Zurayk wurde bald zu einem der führenden Verfechter der linken, säkularen Variante des arabischen Nationalismus. Nachdem Syrien 1945 seine Unabhängigkeit erlangt hatte, wurde er in die erste diplomatische Vertretung der neuen Nation in Washington, D.C., berufen und gehörte auch der syrischen Delegation in der Generalversammlung der Vereinten Nationen an.
Zurayks Buch widerspiegelte die Empörung der arabischen Bildungsschicht über die UNO-Teilungsresolution von 1947 und die Gründung des jüdischen Staates. Zurayks Wut war sogar noch persönlicher, da er an den UNO-Beratungen über die Palästina-Frage teilgenommen hatte. Sein 70-seitiges Buch wurde zu einem Bezugspunkt für zukünftige pro-palästinensische Historiker und Schriftsteller. Yoav Gelber, ein prominenter israelischer Historiker des Krieges von 1948, zitierte Zurayks Arbeit, als er mir sagte, er glaube nicht, dass Arafats Erklärung zum Nakba-Tag 1998 viel Neues enthalte. „Die Nakba war von Anfang an die Grundlage des palästinensischen Narrativs“, sagte Gelber. „Konstantin Zurayk prägte den Begriff 1948.“
In früheren Beiträgen zum israelisch-palästinensischen Konflikt konnte ich mich nicht zu Zurayks Buch äußern. Eine englische Übersetzung von Maana al-Nakba erschien 1956 in Beirut in begrenzter Auflage, wurde aber nie in den Vereinigten Staaten veröffentlicht. Erst vor kurzem fand ich ein seltenes Exemplar in einer Universitätsbibliothek und konnte es endlich in der Originalfassung lesen.
Es war nicht das, was ich erwartet hatte. Die Bedeutung der Katastrophe handelt eigentlich nicht von der Tragödie des palästinensischen Volkes. Zurayk zufolge wurde das Verbrechen der Nakba an der gesamten arabischen Nation begangen – eine romantische Vorstellung von einer politischen Einheit, an die er und seine arabischen Nationalistenbrüder fest glaubten. Und es stellte sich heraus, dass Zurayk kein Verfechter eines unabhängigen palästinensischen Staates war.
In einem einleitenden Absatz schreibt Zurayk über „die Niederlage der Araber in Palästina“, die er dann als „eine der härtesten Prüfungen und Drangsale, mit denen die Araber im Laufe ihrer langen Geschichte konfrontiert wurden“ bezeichnet. Zurayks einziger Kommentar zu den palästinensischen Flüchtlingen ist, dass während der Kämpfe „vierhunderttausend oder mehr Araber gezwungen waren, aus ihren Häusern zu fliehen.“ (Hervorhebungen hinzugefügt)
Zurayk prophezeite, dass alle Araber weiterhin vom internationalen Zionismus bedroht sein würden: „Die arabische Nation war in ihrer langen Geschichte noch nie mit einer ernsteren Gefahr konfrontiert als der, der sie heute ausgesetzt ist. Die Kräfte, die die Zionisten in allen Teilen der Welt kontrollieren, können, wenn man ihnen erlaubt, in Palästina Fuß zu fassen, die Unabhängigkeit aller arabischen Länder bedrohen und eine ständige und beängstigende Gefahr für ihr Leben darstellen.“
Die Araber stünden auch der immensen Macht des westlichen Imperialismus gegenüber, so Zurayk, aber dies würde sich nur als ein „vorübergehendes Übel“ erweisen. Das Ziel des zionistischen Imperialismus hingegen ist es, ein Land gegen ein anderes auszutauschen und ein Volk zu vernichten, damit ein anderes an seine Stelle treten kann. Das ist Imperialismus, nackt und furchterregend in seiner wahrsten Farbe und schlimmsten Form.“
Zurayk besteht nicht nur darauf, dass Juden keine nationalen Rechte in Palästina haben, sondern er leugnet auch die historische Verbindung zwischen dem jüdischen Volk und dem Land Israel des Altertums. „Die zionistischen Juden, die jetzt nach Palästina einwandern“, schreibt er, „haben absolut nichts mit den semitischen Juden zu tun.“ Um diese Geschichtsfälschung zu untermauern, greift Zurayk auf die diskreditierte Theorie zurück, dass die osteuropäischen Juden von chasarischen Stämmen abstammen, die im achten Jahrhundert zum Judentum übertraten.
Dennoch bleibt Zurayk die Frage, wie die vereinten arabischen Armeen, die den Juden zahlenmäßig weit überlegen waren, es den Zionisten ermöglichen konnten, ihre militärischen Ziele in Palästina zu erreichen. Seine Antwort, die von antisemitischen Vorwürfen und Verschwörungstheorien nur so strotzt, ist es wert, ausführlich zitiert zu werden:
Die Ursachen für dieses Unglück sind nicht nur bei den Arabern selbst zu suchen. Der Feind, der ihnen gegenübersteht, ist entschlossen, verfügt über reichlich Ressourcen und hat großen Einfluss. Es vergingen Jahre, ja Generationen, in denen er sich auf diesen Kampf vorbereitete. Er dehnte seinen Einfluss und seine Macht bis an die Enden der Erde aus. Er erlangte die Kontrolle über viele der Machtquellen innerhalb der großen Nationen, so dass sie entweder zur Parteilichkeit ihm gegenüber gezwungen wurden oder sich ihm unterwarfen.
Der Zionismus besteht nicht nur aus den in Palästina verstreuten Gruppen und Kolonien; er ist ein weltweites, wissenschaftlich und finanziell gut vorbereitetes Netzwerk, das die einflussreichen Länder der Welt beherrscht und das seine ganze Kraft der Verwirklichung seines Ziels gewidmet hat, nämlich dem Aufbau einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina.
Zurayks linke, säkulare Version des Nationalismus entstand zum Teil in den Vereinigten Staaten, wo er mehrere Jahre lang lebte. Doch Zurayks Verständnis von Juden und Zionismus hat nichts liberales an sich. Seine Beobachtungen über die amerikanischen Juden könnten in den 1930er Jahren von Henry Ford oder Pater Charles Coughlin geschrieben worden sein:
Niemand, der sich nicht in diesem Land [den USA] aufgehalten und seine Verhältnisse studiert hat, kann das Ausmaß dieser Macht wirklich abschätzen oder sich die furchtbare Gefahr [des Zionismus] vorstellen. Viele amerikanische Industrien und Finanzinstitutionen sind in den Händen der Juden, ganz zu schweigen von der Presse, dem Radio, dem Kino und anderen Propagandamedien oder den jüdischen Wählern in den Bundesstaaten New York, Illinois, Ohio und anderen, die bei den Präsidentschaftswahlen wichtig sind, besonders in diesen Tagen, wo der Konflikt zwischen Demokraten und Republikanern auf dem Höhepunkt ist.
Der Säkularist Zurayk begnügt sich nicht damit, die Juden als hinterhältige Manipulatoren von Macht und Reichtum darzustellen, sondern wagt sich auch in den Bereich der Theologie vor, um seinen Lesern eine groteske Verleumdung des Judentums zu bieten. „Die Idee eines ‚auserwählten Volkes'“, schreibt er, „ist der des Nationalsozialismus näher als jeder anderen Idee, und [am Ende] wird sie genauso fallen und zusammenbrechen wie der Nationalsozialismus.“
Zurayk wurde von seinen akademischen Kollegen als großer Gelehrter gefeiert, der die Araber prophetisch dazu aufforderte, sich zu modernisieren und sich die Wissenschaft zu eigen zu machen. Diese Werte unterschieden seine Ansichten angeblich vom rückschrittlichen Islamismus. Aber es ist schwer zu erkennen, wie ein Islamist bei der Verteufelung der Juden und des Zionismus noch weiter hätte gehen können.
Nach seinem Nakba-Buch blühte Zurayks akademische Karriere auf. Er wurde schließlich Rektor der syrischen Universität in Damaskus und hatte Gastprofessuren an der Columbia University, der Georgetown University und der University of Utah inne. Zurayk war außerdem fünf Jahre lang Präsident der internationalen Universitätenvereinigung. Im Jahr 1988 veröffentlichte die State University of New York Press eine Festschrift zu Zurayks Ehren mit Aufsätzen von 18 führenden arabischen Wissenschaftlern. Der Band enthielt kaum ein Wort über sein skandalös antisemitisches Buch Maana al-Nakba – ein Buch, das überhaupt nicht von den Palästinensern handelt.
III.
KONSTANTIN ZURAYKs Fiktion, dass die „arabische Nation“ unter der Nakba gelitten habe, hielt sich nicht lange. Im arabisch-israelischen Krieg vom Juni 1967 versuchten drei arabische Staaten erneut, den Zionismus zu vernichten. Als sie scheiterten und noch mehr Gebiete an Israel verloren, brach die arabische Koalition zur Zerstörung Israels auseinander. Zwei dieser Länder schlossen schließlich einen separaten Frieden mit dem jüdischen Staat. Der panarabische Nationalismus war tot.
Die Bedeutung der Nakba hatte sich bereits verändert, als palästinensische Aktivisten und Historiker begannen, die Ereignisse von 1948 ausschließlich als eine Tragödie für ihr eigenes Volk darzustellen. Mitte der 1950er Jahre veröffentlichte Aref el-Aref, ein bekannter palästinensischer Journalist, Historiker und Bürgermeister von Ostjerusalem während der jordanischen Besatzung, eine sechsbändige Geschichte des palästinensischen Kampfes mit dem Titel Die Nakba von Jerusalem und das verlorene Paradies. In den folgenden vier Jahrzehnten wurden viele weitere Bücher über die Nakba mit ausschließlich palästinensischem Schwerpunkt veröffentlicht, darunter auch mehrere hochgelobte Romane.
Das einflussreichste dieser Bücher, insbesondere für das westliche Publikum, war Edward W. Saids The Question of Palestine, das 1979 veröffentlicht wurde. Said, ein beliebter Englischprofessor an der Columbia University und Mitglied des Palästinensischen Nationalen Rates, war in linken Intellektuellenkreisen aufgrund seines früheren Buches Orientalism eine Art Ikone. In diesem Werk ordnete Said die Geschichte des Kolonialismus in der arabischen und islamischen Welt in das System des westlichen rassistischen Denkens ein.
In The Question of Palestine („Die Palästina-Frage“) vertrat der Autor die Ansicht, dass das Spiel gegen die einheimischen Palästinenser und für die weißen Zionisten aufgrund der gleichen vorherrschenden rassistischen Ideologien gestrickt sei. Said prangerte „die tief verwurzelte kulturelle Haltung gegenüber den Palästinensern“ an, „die aus uralten westlichen Vorurteilen über den Islam, die Araber und den Orient herrührt. Diese Haltung, aus der der Zionismus seinerseits seine Sicht auf die Palästinenser bezog, entmenschlichte uns und reduzierte uns auf den knapp tolerierten Status eines Ärgernisses“.
„Sicherlich, was den Westen betrifft“, fährt Said fort, „ist Palästina ein Ort gewesen, an dem eine relativ fortschrittliche (weil europäische) einwandernde jüdische Bevölkerung Wunder des Aufbaus und der Zivilisation vollbracht und brillant erfolgreiche technische Kriege gegen das geführt hat, was immer als eine dumme, im Wesentlichen abstoßende Bevölkerung von unzivilisierten arabischen Eingeborenen dargestellt wurde.“
Dies war eine harte und verzerrte Sicht auf die zionistische Bewegung. Dennoch war Said im Vergleich zu späteren Erklärungen palästinensischer Führer, die die Nakba mit dem Holocaust verglichen, zurückhaltend. Was die frühen Nakba-Studien gemeinsam hatten, war die Anklage gegen die Juden wegen der Enteignung der Palästinenser, während auf palästinensischer Seite keinerlei Schuld festgestellt wurde. Mehrere israelische revisionistische Historiker und „postzionistische“ Experten unterstützten ebenfalls Aspekte des Nakba-Narrativs.
Diese Darstellung wurde jedoch von anderen Historikern des israelisch-palästinensischen Konflikts widerlegt. So laufen wissenschaftliche Kontroversen in offenen Gesellschaften normalerweise ab. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel sind regelmäßig heftige Debatten über verschiedene revisionistische Interpretationen der amerikanischen Geschichte ausgebrochen, darunter die Arbeiten von Charles Beard in den 1930er Jahren und des radikalen Historikers Howard Zinn in den 1980er Jahren. In jüngster Zeit hat das Projekt 1619 der New York Times, ein neues Gegen-Narrativ der Gründung der USA, einen heftigen wissenschaftlichen Disput ausgelöst.
Gerade in totalitären Gesellschaften werden nationale Narrative von der herrschenden Regierung durchgesetzt. Bis Mitte der 1990er Jahre konnte es kein offiziell anerkanntes palästinensisches Narrativ geben, weil die Palästinenser keine staatlichen Institutionen hatten. Ironischerweise war es eine kühne diplomatische Initiative, die die israelische Regierung in ihrem Streben nach Frieden mit den Palästinensern ergriff, die den unbeabsichtigten Effekt hatte, ein offiziell anerkanntes Nakba-Narrativ zu schaffen.
Im Januar 1993 nahmen israelische Vertreter in Oslo, Norwegen, geheime Kontakte mit hochrangigen Vertretern der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) auf. Aus den Gesprächen entwickelte sich der so genannte Oslo-Prozess, der im September desselben Jahres mit dem berühmten Händedruck zwischen Jassir Arafat und dem israelischen Premierminister Yitzhak Rabin auf dem Rasen des Weißen Hauses seinen Höhepunkt fand.
Zu jener Zeit war Arafat in Tunis gestrandet, weit weg von Palästina und in einer sehr prekären Lage. Zusammen mit seinen PLO-Kadern war er 1970 aus Jordanien ausgewiesen, 1982 von der israelischen Armee aus Beirut vertrieben und dann von den Syrern erneut aus Tripoli im Libanon vertrieben worden. Arafats Ruf war bei vielen arabischen Regierungen wegen seiner Entscheidung, Sadam Husseins Invasion in Kuwait zu unterstützen, in Mitleidenschaft gezogen. Dies führte zu einer massiven Kürzung der finanziellen Unterstützung, die die PLO von den Golfstaaten erhielt.
Mit der Unterzeichnung der Osloer Abkommen warf die Regierung Rabin Arafat einen Rettungsanker zu. Später brach in Israel und anderswo eine politische Kontroverse über die Weisheit und Zweckmäßigkeit der Friedensabkommen aus. Für unsere Argumentation hier genügt es jedoch, festzustellen, dass es sich bei dem von Rabin und Arafat unterzeichneten Dokument um eine recht einfache, auf Gegenleistungen basierende politische Übereinkunft, eine Art quid pro quo, handelte.
Im ersten Teil wurde Arafat aus seinem tunesischen Exil gerettet und im Westjordanland eingesetzt, um zum ersten Mal eine palästinensische Regierung zu führen. Das war das Quid. Nach einer Übergangszeit von fünf Jahren sollten die Verhandlungen über den endgültigen Status den Palästinensern einen unabhängigen Staat bringen, der seinerseits Israel anerkennen würde. Das hätte das Quo sein sollen.
Leider hat Arafat alle seine Vorteile (d.h. seine triumphale Rückkehr nach Palästina und seine Ernennung zum Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde) im Voraus kassiert. Als er dann seinen Verpflichtungen gegenüber Israel nicht nachkam, gab es keinen ausfallsicheren Mechanismus, um zum früheren Status quo zurückzukehren. Arafats bewaffnetes Nakba-Narrativ wurde zu einer selbst erfundenen Ausrede, um die Osloer Verträge zu brechen, ohne dafür bestraft zu werden.
IV.
IM FRÜHJAHR 1998, als Israel sich auf die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag seiner Gründung vorbereitete, führten Arafat und seine Leutnants Gespräche über dieses bevorstehende Ereignis sowie über ein anderes dringendes Problem für die Palästinenser. Das Ende des fünfjährigen Interimsabkommens rückte näher, was bedeutete, dass die Verhandlungen über den endgültigen Status beginnen sollten.
Arafat stand in der Flüchtlingsfrage unter dem Druck zweier interner Fraktionen. Die dominierende Gruppe wurde manchmal als die „Außenseiter“ bezeichnet, weil sie die Jahre seit 1948 im Exil verbracht hatte. Salman Abu Sitta, Mitglied des Palästinensischen Nationalen Rates, ein ehemaliger Flüchtling und eines der aktivsten Mitglieder der Außenseiterfraktion, hatte Arafat gedrängt, das Recht auf Rückkehr niemals aufzugeben. Anfang 1998 verfasste Abu Sitta einen öffentlichen Brief an Arafat zur Flüchtlingsfrage, der von Dutzenden prominenter Palästinenser mit unterzeichnet wurde. Darin heißt es unter anderem:
Wir akzeptieren oder anerkennen auf keinen Fall ein Verhandlungsergebnis, das zu einem Abkommen führt, das das Recht der Flüchtlinge und Entwurzelten auf Rückkehr in ihre frühere Heimat, aus der sie 1948 vertrieben wurden, oder die ihnen zustehende Entschädigung, verwirkt, und wir akzeptieren keine Entschädigung als Ersatz für die Rückkehr.
Einer der Unterzeichner war Edward Said, inzwischen ein überzeugter Anhänger der extremsten Version des Nakba-Narrativs und des Rechts auf Rückkehr. In einem Interview mit dem israelischen Journalisten Ari Shavit beschimpfte Said Arafat dafür, dass er überhaupt denke, er könne „die Beendigung des Konflikts unterschreiben“. Er fuhr fort: „Er hat auch nicht das Recht, dies bei einer von Bill Clinton in Camp David gebotenen Gelegenheit zu tun“. Der angesehene Universitätsprofessor, der bequem in Morningside Heights lebte, forderte nun seine palästinensischen Mitbürger, die seit einem halben Jahrhundert in elenden Flüchtlingslagern gefangen sind, dazu auf, in der Verzweiflung bis zum Sieg weiterzukämpfen.
Doch es gab auch eine gemäßigtere Fraktion innerhalb der Palästinensischen Autonomiebehörde, darunter solche, die Palästina nie als Flüchtlinge verlassen hatten. Einige von ihnen hatten während der jordanischen Besetzung des Westjordanlandes als lokale Beamte gedient. Einer ihrer Anführer war Sari Nusseibeh, Präsident der Al-Quds-Universität und Arafats wichtigster Vertreter in Jerusalem. In seinen Memoiren Once Upon a Country (Es war einmal ein Land) beschreibt Nusseibeh ein Treffen mit Arafat und Mahmoud Abbas, bei dem es um das Recht der Flüchtlinge auf Rückkehr ging. Nusseibeh berichtet über den folgenden Austausch mit Abbas:
Nusseibeh: Sie müssen ehrlich zu uns sein. Was wollen Sie, einen Staat oder das Recht auf Rückkehr?
Abbas: Warum sagen Sie das? Was meinen Sie mit entweder/oder?
Nusseibeh: Weil es genau darauf hinausläuft. Entweder Sie wollen einen unabhängigen Staat oder eine Politik, die darauf abzielt, alle Flüchtlinge nach Israel zurückzubringen. Man kann nicht beides haben.
Kein anderer palästinensischer Führer hat so deutlich zugegeben, dass das Nakba-Narrativ, wenn es das Recht auf Rückkehr beinhaltet, jede Chance auf Frieden und einen unabhängigen palästinensischen Staat zunichte macht. Die Rückkehr der Flüchtlinge war nicht nur für Israel, sondern auch für die Clinton-Regierung, die bei der Aushandlung der Osloer Abkommen geholfen hatte, ein Knackpunkt.
Ein widerwilliger Arafat ließ sich schließlich von Präsident Clinton dazu bewegen, im Jahr 2000 zu den Verhandlungen über den endgültigen Status nach Camp David zu fahren, aber das Ergebnis war von vornherein klar. Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde stürmte aus dem Treffen, nachdem er ein großzügiges Angebot für einen unabhängigen Staat abgelehnt hatte. Dem Clinton-Berater Dennis Ross zufolge hätten die Palästinenser ihr Rückkehrrecht nach Israel aufgeben müssen, damit der Gipfel von Camp David ein Erfolg werden konnte.
Nach Camp David drängten die Clinton- und die Bush-Administration Arafat weiterhin, seine Position zu überdenken. Stattdessen gab der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde nicht nach. In seiner Rede zum Nakba-Tag 2004 bekräftigte er sein Bekenntnis zum Recht der Flüchtlinge auf Rückkehr noch deutlicher: „Die Frage der Flüchtlinge ist die Frage des Volkes und des Landes, die Sache des Heimatlandes und die Sache des gesamten nationalen Schicksals, kein Kompromiss, kein Kompromiss, keine Einigung, sondern das heilige Recht jedes palästinensischen Flüchtlings, in seine Heimat Palästina zurückzukehren.“
Vier Jahre später fand eine weitere Runde von Friedensverhandlungen statt, diesmal direkt zwischen dem israelischen Premierminister Ehud Olmert und dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmoud Abbas. Innerhalb von sieben Monaten hielten sie 35 persönliche Treffen in Jerusalem ab. Bei der letzten Sitzung am 16. September 2008 bot Olmert Abbas einen unabhängigen palästinensischen Staat mit der Hauptstadt Ostjerusalem an. Er zeigte Abbas eine vorgeschlagene Karte mit den Grenzen der beiden Staaten, die den Palästinensern durch Gebietsabtausch fast 100 Prozent des Gebiets im Westjordanland und im Gazastreifen geben würde, das vor dem Krieg von 1967 von den Arabern gehalten wurde. Olmert erklärte sich bereit, einer symbolischen Anzahl von Flüchtlingen die Einreise nach Israel aus humanitären Gründen zu gestatten, sagte jedoch, dass das Abkommen alle palästinensischen Ansprüche auf das Recht auf Rückkehr beenden müsse.
Abbas sagte, er werde das Angebot prüfen und in ein paar Tagen mit seiner Antwort zurückkehren. Doch er kam nicht zurück, und die Verhandlungen wurden abrupt beendet. In einem Interview, das ich einige Jahre später mit Olmert führte, machte der ehemalige Premierminister deutlich, dass der Knackpunkt für Abbas das Recht auf Rückkehr war.
Abbas weigerte sich, irgendeine Verantwortung für das Scheitern der Friedensgespräche zu übernehmen. Nachdem der von Olmert vorgeschlagene Plan bekannt wurde, behauptete Abbas, ihm seien die Hände gebunden, weil die Flüchtlinge sich mit nichts weniger als dem Recht auf Rückkehr zufrieden geben würden. Wie, so fragte er klagend, könne er sich gegen sein eigenes Volk wenden? Unausgesprochen blieb die Tatsache, dass Abbas (wie schon Arafat vor ihm) für die Verbreitung der Nakba-Lügen und des Hasses in den Flüchtlingslagern verantwortlich war, was dann die Militanz unter den palästinensischen Massen entfachte, die, wie er behauptete, eine Einigung mit Olmert verhinderte.
Die Flüchtlingslager im Westjordanland und im Gazastreifen sind für mehr als 2 Millionen Palästinenser zu ständigen Wohnorten geworden. Sie werden vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) verwaltet, das 1949 von der UNO gegründet wurde, um eine vorübergehende humanitäre Krise zu bewältigen. Stattdessen wurde das ausgedehnte Netz von UNRWA-Lagern zu einem dauerhaften Ort, zu einem Staat im Staat. Nach den Osloer Abkommen konnte Arafats PLO die Lager übernehmen, wenn auch unter dem rechtlichen Dach des UNRWA.
In einem vom Center for Middle East Research produzierten Video sind Kinder in einem UNRWA-Sommerlager zu sehen, die Märtyrerlieder singen und Selbstmordattentäter preisen. Ein UNRWA-Lehrer verspricht einer Klasse von Kindern im Alter von 10 Jahren: „Wir werden mit Kraft und Ehre in unsere Dörfer zurückkehren. Mit Gottes Hilfe und unserer eigenen Kraft werden wir den Krieg führen. Und mit Bildung und Dschihad werden wir zurückkehren.“ Vor der Kamera verkündet ein Mädchen im Teenageralter: „Ich träume davon, dass wir in unser Land zurückkehren werden, und mit Gottes Hilfe wird [Abbas] dieses Ziel erreichen, und wir werden nicht enttäuscht sein.“
Abbas weiß, dass dieser Tag nie kommen wird. Stattdessen garantiert das Nakba-Narrativ seiner Regierung, dass die palästinensischen Teenager noch jahrzehntelang in ihrem Flüchtlingsghetto gefangen bleiben werden. Für den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde hat die Aufrechterhaltung dieses unmöglichen Traums jedoch viele Vorteile. Es verschafft ihm eine noch nie dagewesene Opfergeschichte und eine scheinbar gerechte Sache, für die er auf der internationalen Bühne eintreten kann. Es bestätigt auch seine Militanz innerhalb der palästinensischen Politik, wo Militanz die Münze des Reiches ist.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Jassir Arafat und Mahmoud Abbas die ursprüngliche Behauptung von Konstantin Zurayk, der Zionismus habe seine Verbrechen gegen die gesamte „arabische Nation“ begangen, revidiert haben. Aber sie haben auch Zurayks große Nakba-Lüge wiederbelebt, dass „das Ziel des zionistischen Imperialismus darin besteht, ein Volk zu vernichten, damit ein anderes an seine Stelle treten kann“. Indem sie dieses hasserfüllte Narrativ weiter verbreiteten, signalisierten und signalisieren die palästinensischen Führer, dass es im Kampf nicht nur um die Folgen des Krieges vom Juni 1967 geht. Es bedeutet auch, dass Israels Kampf um Unabhängigkeit und Legitimität noch nicht zu Ende ist.
V.
ISRAEL UND SEINE UNTERSTÜTZER haben dem palästinensischen Krieg der Narrative nicht viel entgegenzusetzen. Bis zu einem gewissen Grad ist dies verständlich. Der jüdische Staat ist an seinen Grenzen immer noch mit existenziellen Bedrohungen konfrontiert – Raketen aus dem Gazastreifen, Langstreckenraketen und unterirdische Angriffstunnel der Hisbollah im Norden, iranische Drohnen von den Golanhöhen aus und natürlich ein potenzieller Atomstaat Iran. Im Vergleich zu diesen drohenden physischen Gefahren wird die Nakba von vielen wohlmeinenden und patriotischen Israelis als bloße Worte und Narrativ abgetan. Doch unter allen Nationen der Welt ist es das jüdische Volk, das die Macht von Worten, Geschichten und, ja, nationalen Narrativen am besten verstehen sollte – im Guten wie im Bösen.
Andererseits nimmt eine beträchtliche Anzahl von Israelis auf der Linken die Nakba ernst und wörtlich und geht sogar so weit, ihre Regierung aufzufordern, die Verantwortung für das große Unrecht zu übernehmen, das dem palästinensischen Volk im Krieg von 1948 angetan wurde. Angeblich soll ein solches Schuldbekenntnis zur Versöhnung und zum Frieden mit den Palästinensern beitragen. Der einflussreichste Verfechter dieses Entschuldigungsansatzes im Konflikt mit den Palästinensern ist Haaretz, Israels linke Zeitung, die einen internationalen Ruf genießt, der ihre winzige Leserschaft in Israel ignoriert.
Haaretz hat in regelmäßiger Folge eine Reihe von Artikeln veröffentlicht, die verschiedene Aspekte des Nakba-Narrativs unterstützen. Abonnenten der digitalen englischen Ausgabe erhalten sogar spezielle E-Mail-Benachrichtigungen, wenn eine weitere Geschichte über die Untaten der israelischen Armee im Jahr 1948 in der Zeitung erscheint. Parallel zum 1619-Projekt der New York Times schlägt Haaretz vor, die Nakba in den israelischen Schulen zu unterrichten, als Gegengewicht zur fehlerhaften „patriotischen Geschichte“ im aktuellen Lehrplan. Der Chefredakteur von Haaretz, Aluf Benn, führte dieses Argument in einem langen Artikel im Januar 2021 an.
Benn beginnt in einem schwermütigen Ton, als er die Symbole und Erinnerungen an die Nakba heraufbeschwört, die das Gebiet, in dem er jetzt arbeitet und lebt, heimsuchen. „Ich fahre durch das Land und sehe die Spuren, die Sabra-Hecken, die die Grundstücksgrenzen in den zerstörten Dörfern markierten“, schreibt Benn, „das einsame Haus, das auf dem Hügel in der Nähe der Route 4 geblieben ist, die Bögen, die die Fassaden in der Salameh-Straße in der Nähe des Haaretz-Gebäudes schmücken. Ich fahre und frage mich, wie lange die jüdische Gesellschaft in Israel diese Erinnerungen noch ignorieren wird.“
Dann kommt Benn zur Sache: „Es ist an der Zeit, keine Angst mehr zu haben und die Wahrheit zu sagen. Israel ist auf den Ruinen der palästinensischen Gemeinschaft entstanden, die vor 1948 hier lebte. Wir müssen über die Nakba sprechen, nicht nur in palästinensischen Gedenkzügen zu den Dörfern ihrer Väter und Mütter … sondern auch in Schulklassen und in den Hörsälen der Universitäten.“ Der Herausgeber von Haaretz rechtfertigt die Aufnahme der Nakba in den Lehrplan mit diesem hochtrabenden Prinzip: „Ein Land darf nicht vor seiner Vergangenheit davonlaufen, auch wenn sie nicht angenehm ist und schwierige moralische Fragen aufwirft.“
In dieser Grundsatzerklärung steckt eine gehörige Portion moralische Überheblichkeit. Hier wird davon ausgegangen, dass mutige israelische Journalisten wie Benn bereit sind, sich der Realität der Nakba zu stellen, während fast alle anderen Angst vor der Wahrheit haben. Tatsächlich ist das, was Haaretz in den Schulen gelehrt haben will, nicht die Wahrheit über den Krieg von 1948, sondern vielmehr Element des offiziellen palästinensischen Narrativs über dieses Ereignis.
Die von Haaretz vorgeschlagene Bildungsreform hätte in der Praxis eine demoralisierende Wirkung auf den jüdischen Staat, ohne dass sie einen der in der Zeitung versprochenen Vorteile brächte. Israelischen Teenagern würde beigebracht, sich wegen der angeblich brutalen Taten ihrer Großeltern und Urgroßeltern im Unabhängigkeitskrieg von 1948 schuldig zu fühlen. Gleichzeitig wird das Nakba-Narrativ, das den Jugendlichen in den palästinensischen Flüchtlingslagern aufgezwungen wird, weiterhin rachsüchtige Dschihadisten hervorbringen. Wenn das wie eine Übertreibung klingt, sollten Sie sich die Reaktion von Haaretz auf einen palästinensischen Terroranschlag im Zentrum von Tel Aviv vor Augen führen.
Am 7. April 2022 beschloss ein 27-jähriger Palästinenser namens Raad Hazem, der im Flüchtlingslager Dschenin geboren und aufgewachsen war, dass dies der Tag sein würde, an dem er seine Nakba-Erziehung in die Tat umsetzen würde. Er überquerte die Grenze nach Israel, besorgte sich unterwegs ein paar Waffen und schaffte es bis zum Abend in die Dizengoff-Straße in Tel Aviv. Er saß eine Weile auf einer Bank vor der Ilka-Bar, wo junge Israelis die Nacht genossen. Dann stand er auf, zog zwei Gewehre hervor und begann wahllos zu schießen. Drei israelische Juden, darunter zwei junge Männer fast genau in Hazems Alter, wurden getötet. Hazem konnte entkommen, wurde aber später von der Polizei im benachbarten Jaffa aufgespürt und getötet.
Die Redaktion von Haaretz sah in diesem Vorfall nichts, was sie dazu veranlasst hätte, ihr Nakba-Narrativ zu hinterfragen. Der führende Kolumnist der Zeitung, Gideon Levy, meldete sich jedoch drei Tage später zu Wort, um zu verkünden, dass Hazems Amoklauf aufgrund seines lebenslangen Leidens in einem Flüchtlingslager eigentlich verständlich sei.
„Hazem wollte das Leben seiner Opfer leben“, schrieb Levy. „Er hatte nicht die geringste Chance. Auch er hätte Neurowissenschaften oder Maschinenbau studieren oder Kajakfahren trainieren wollen. Auch er hätte sich eine glückliche Stunde gewünscht… Aber er wurde in eine Realität hineingeboren, aus der es unmöglich ist, in die Welten seiner Opfer auf Dizengoff zu entkommen. Er konnte nicht einmal auf direktem Weg nach Dizengoff gelangen, da er in seinem Flüchtlingslager eingesperrt war und Israel nicht betreten durfte. Wahrscheinlich hat er nie das Meer gesehen und schon gar nicht ein Kajak“.
Dies wurde geschrieben, während die Familien der drei Ermordeten noch Schiwa hielten, die traditionelle siebentägige Trauerzeit. Levy quälte die Familien noch mehr, indem er erklärte, dass „es keinen Ort gibt, der so militant, bewaffnet und mutig ist wie das Flüchtlingslager Dschenin“.
Haaretz kann sich für Levys Obszönität nicht mit der Standardbehauptung entschuldigen, er sei nur ein Autor unter vielen in einer Zeitung, die bekanntlich tolerant gegenüber allen Meinungen ist. In der Tat ist Levy der Star-Kolumnist der Zeitung. Zweimal pro Woche steht er an erster Stelle auf der redaktionellen Seite. Außerdem schreibt er jedes Wochenende einen langen Bericht über die jüngsten Ungerechtigkeiten, die von Israel in den besetzten palästinensischen Gebieten begangen werden.
Das Achselzucken des Leitartikels von Haaretz über die Morde in der Dizengoff-Straße hat mir schließlich klar gemacht (ich wohnte damals nur ein paar Blocks vom Tatort entfernt), dass niemand irgendetwas, was die Zeitung über die Nakba-Erziehung sagt, ernst nehmen sollte. Das Gleiche gilt für die anderen Gruppen und Einzelpersonen, die sich über die moralische Notwendigkeit äußern, sich der Nakba zu stellen. Alle Nakba-Wahrheitssuchenden sollten ignoriert werden, bis sie die Wahrheiten über die Absichten und Handlungen der palästinensischen und arabischen Führer während des Krieges von 1948 anerkennen.
Ein Prozess der echten Wahrheitsfindung könnte damit beginnen, Konstantin Zurayks bahnbrechendes Buch von 1948, Die Bedeutung der Katastrophe, zur Kenntnis zu nehmen. Es ist der Stein des Anstoßes für die Ablehnung der Nakba und den Antisemitismus, doch fast niemand, der sich heute zur Nakba äußert, einschließlich der Journalisten von Haaretz, weiß, was in diesem Buch über die Juden steht. Wenn Haaretz also wirklich will, dass die Israelis die Realität der Nakba anerkennen, habe ich einen bescheidenen Vorschlag für die Redaktion: Veröffentlichen Sie eine hebräische Übersetzung von Maana al Nakba (vergessen Sie nicht, es sind nur 70 Seiten) und verteilen Sie sie in großem Umfang, auch an Lehrer, Bildungseinrichtungen und altersgemäße Schüler des Landes. Dann wollen wir mal sehen, wie sich das auf den nationalen Diskurs auswirkt, den Haaretz über die Geschichte des Konflikts mit den Palästinensern führen will.
In der Version der israelischen Linken über die Nakba geht es nur um eine Seite, die israelische Seite. Selten werden die Kriegstaten der beiden berüchtigtsten Palästinenserführer, Haj Amin al-Husseini und Fawzi al-Qawuqji, diskutiert. Beide waren Nazi-Kollaborateure, die den Zweiten Weltkrieg in Deutschland verbrachten und dem Hitler-Regime politische und militärische Dienste leisteten. In ihrem 2010 erschienenen Buch, Halbmond und Hakenkreuz: Das „Dritte Reich“, die Araber und Palästina haben die deutschen Historiker Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers dokumentiert, dass al-Husseini, wenn die Nazis in der Schlacht von El Alamein gesiegt und Palästina erobert hätten, nach Hause geflogen worden wäre, um die Endlösung für die Juden in Palästina zu leiten.
Al-Husseini wurde in Jugoslawien als Kriegsverbrecher gesucht, konnte aber 1946 nach Ägypten fliehen und wurde dann zum Vorsitzenden des Arabischen Oberkomitees gewählt, dem politischen Gremium, das die palästinensischen Araber in der Nachkriegszeit vertrat. Al-Qawuqji wurde von der Arabischen Liga zum Feldkommandeur der Arabischen Befreiungsarmee ernannt, der irregulären palästinensischen Streitmacht, die an der Seite der fünf arabischen Invasionsarmeen kämpfte. Für den Fall eines arabischen Sieges im Jahr 1948 planten die beiden Führer, eine echte Nakba für die Juden in Israel durchzuführen. Nicht nur eine Flüchtlingswelle, sondern einen Massenmord zu produzieren.
Anfang 1948 gab es einen Vorgeschmack auf die geplanten Massaker und Vertreibungen an den Juden. Sie wurden von der von den Briten beauftragten jordanischen arabischen Legion in der Gegend von Jerusalem verübt. Die eindringlichste Beschreibung dieser Kriegsepisode stammt vom verstorbenen israelischen Schriftsteller Amos Oz, einem Führer der Friedensbewegung. In seinen klassischen Memoiren A Tale of Love and Darkness reflektiert Oz über den Unabhängigkeitskrieg, wie er ihn in Jerusalem erlebte:
Alle jüdischen Siedlungen, die im Unabhängigkeitskrieg von den Arabern erobert wurden, wurden ausnahmslos dem Erdboden gleichgemacht, und ihre jüdischen Bewohner wurden ermordet oder gerieten in Gefangenschaft oder entkamen, aber die arabischen Armeen erlaubten keinem der Überlebenden, nach dem Krieg zurückzukehren. Die Araber führten in den von ihnen eroberten Gebieten eine umfassendere „ethnische Säuberung“ durch als die Juden… Die Siedlungen wurden ausgelöscht und die Synagogen und Friedhöfe dem Erdboden gleichgemacht.
Oz zitiert auch Äußerungen zweier arabischer Führer, die ein mörderisches Ende für den jüdischen Staat versprachen. Azzam Pascha, der Generalsekretär der Arabischen Liga, schwor Anfang 1948, dass „dieser Krieg ein Vernichtungskrieg und ein gewaltiges Massaker sein wird, von dem man wie von den Massakern der Mongolen und den Kreuzzügen sprechen wird“. Und, so Oz, „der irakische Premierminister Muzahim al-Bajaji rief die Juden auf, ‚ihre Koffer zu packen und zu gehen, solange noch Zeit ist‘, denn die Araber hätten geschworen, dass sie nach ihrem Sieg nur das Leben der wenigen Juden verschonen würden, die vor 1917 in Palästina gelebt hätten.“
Während der 75. Jahrestag Israels und der 25. Nakba-Tag nahen, sollten wir Amos Oz‘ Worte sowie alle dokumentarischen Beweise hervorheben, die die mörderischen Absichten der arabischen Invasoren und ihrer palästinensischen Verbündeten im Jahr 1948 offenbaren. Die Israelis sollten sich niemals dafür entschuldigen, dass sie den Unabhängigkeitskrieg gewonnen und einen weiteren Holocaust verhindert haben. Während wir den Palästinensern weiterhin die Hand zum Frieden reichen, müssen wir die jungen Männer und Frauen ehren, die in diesem unvermeidlichen Krieg gedient und das Wunder des modernen Israel möglich gemacht haben.
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