Website-Icon Politisches & Wissenswertes

Jagd auf die Geisterflotte

Im ersten Halbjahr 2017 wuchs die „Rettungs“-Armada der NGOs im Mittelmeer auf 23 Schiffe an (Kleinstboote, Flugzeuge und Drohnen nicht mitgerechnet), von denen sich zeitweilig fast alle im Dauereinsatz befanden. Das Geschäft brummte und war auf stetige Expansion ausgelegt; der Erwerb zusätzlicher Schiffe durch „die üblichen Verdächtigen“ und auch neue Akteure (z.B. „Mission Lifeline“ aus Dresden) wurde eifrig vorangetrieben. Bis die Mission „Defend Europe“ dazwischengefunkt hat. Was hat sich seither getan?

Wollte man bis in den Hochsommer hinein wissen, wo sich ein NGO-Schiff befand, musste man nicht lange suchen. Man hätte mit einiger Sicherheit blind mit dem Finger auf die Seekarte tippen und irgendeins davon treffen können. Entweder lagen sie in einem europäischen Hafen (hauptsächlich Malta und Italien), kreuzten vor den libyschen Todesstränden (z.B. Zuwarah und Tripolis) oder fuhren so emsig zwischen diesen Örtlichkeiten hin und her, dass wohl immer noch Abdrücke davon im Wasser zu finden sind.

Dieses Bild hat sich mittlerweile grundlegend geändert. Die Ankunftszahlen sind ebenso drastisch gesunken wie die (geschätzten) Todes- und Vermisstenfälle. Nicht alles ist eitel Sonnenschein, denn andere Migrationsrouten, neue Zielländer und skurrile Reisemöglichkeiten haben sich etabliert. Das allein wäre einen eigenen Artikel wert und ich habe das ungute Gefühl, dass ich den auch noch schreiben werde. Aber die spannende Frage an dieser Stelle ist: Was ist eigentlich mit all diesen Schiffen geschehen?

Bevor sich jemand wundert: Zwei Fahrzeuge haben ihren Besitzer und Namen gewechselt. Die „Sea-Watch 2“ fährt seit September unter dem originellen Namen „Lifeline“ für die NGO „Mission Lifeline“. Die „Dignity I“ hat offenbar auch einen neuen Halter gefunden und macht unter dem Namen „Sea Watch 3“ für die gleichnamige Organisation das Mittelmeer unsicher. Kreative Namensgebung gehört offenbar nicht zu den Kernkompetenzen dieser Organisationen. Schauen wir doch mal, was die Pötte grad so treiben.

Aktiv:

  1. Aquarius (Ärzte ohne Grenzen): Catania (Sizilien), Kurs auf Libyen
  2. Astral (Proactiva Open Arms): Barcelona (Spanien)
  3. Bourbon Argos (Ärzte ohne Grenzen): zuletzt vor Port Said (Ägypten)
  4. Lifeline (Mission Lifeline): letzte Position 20. Oktober vor Tripolis (Libyen)
  5. Sea-Eye (Sea Eye): letzter Kurs am 19. Oktober auf Tunesien
  6. Seefuchs (Sea Eye): letzter Kurs am 26. Oktober auf Tunesien oder Libyen
  7. Sea Watch 3 (Sea Watch): Valletta (Malta)
  8. Sea-Watch Delta (Sea-Watch): 25. Oktober, Valletta (Malta)
  9. Sea-Watch Tango (Sea-Watch): Valletta (Malta)
  10. VOS Hestia (Save the Children): Catania (Sizilien)
  11. VOS Prudence (Ärzte ohne Grenzen): Augusta (Sizilien)
  12. VOS Thalassa (Save the Children?): kreuzt vor Tunesien / Libyen

 

Unklar:

  1. Audur (Sea Eye?): völlig unklar, möglicherweise identisch mit „Sea-Eye“
  2. Open Arms (Proactiva Open Arms): unklar, letzte Position 22. Oktober, Valletta (Malta)

 

Inaktiv:

  1. Golfo Azzurro (u.a. Proactiva): seit Oktober, Hafen von Barcelona (Spanien)
  2. Iuventa (Jugend Rettet): beschlagnahmt, Hafen von Trapani (Sizilien)
  3. Iunventa Rescue (Jugend Rettet): seit August, letzter Kurs auf Tunesien
  4. Minden (LifeBoat): seit September, Wilhelmshafen (Deutschland)
  5. Mo Chara (Refugee Rescue): seit August, Hafen von Stenungsund (Schweden)
  6. Phoenix (MOAS): seit September, im Suez-Kanal (Ägypten)
  7. Sea-Watch 1 (Sea-Watch): seit September, vor Karlovasi (Griechenland)
  8. Sea-Watch 2 Tender (Sea-Watch): seit September, Hafen von Valletta (Malta)
  9. Topaz Responder (u.a. MOAS): seit 12/2016, Hafen von Tuzla (Türkei)

 

Mit Sicherheit sagen lässt sich nur, dass mindestens die Hälfte der Flotte noch mehr oder weniger aktiv ist, teilweise aber in den Häfen verweilt. Generell scheint sich das Geschäft Richtung Tunesien zu verlagern (das korrespondiert auch mit den aktuellen Migrationsrouten). Letzte Gewissheit könnten hier nur Nachforschungen vor Ort oder tagesaktuelle Satellitenbilder schaffen, was meine verfügbaren Ressourcen momentan übersteigt.

Festzuhalten bleibt ferner, dass sich das Schlepper-Problem nur teilweise „unterwegs“ abstellen lässt. Da ist es eigentlich schon zu spät. Und so lukrativ, wie diese Machenschaften sind, werden sich dafür immer neue Wege finden. Solange Malta ein NGO-Eldorado bleibt, nutzen die besten italienischen Kodizes nichts. Solange Luxus-Flüchtlinge mittlerweile bis nach Deutschland angeliefert werden und damit rechnen können, nie wieder abgeschoben zu werden, solange kommen sie auch weiterhin.

Es braucht hier eine gesamteuropäische Lösung nach dem Vorbild Roms, strengste Auflagen für private Akteure, intensive Kontrollen, die konsequente Strafverfolgung von Schlepperei (viele dieser Organisationen operieren geschäftlich von Deutschland aus), eine massive „Aufrüstung“ der Grenzsicherung im Mittelmeer (das gilt auch für den Ausbau der nordafrikanischen Küstenwachen, etc.), ein drastisches Zurückfahren von Migrations-Anreizen in Europa sowie — der Klassiker — die Bekämpfung von (echten) Fluchtursachen, sofern vorhanden, und nachhaltige Hilfe vor Ort.

Ohne die letzten zwei Punkte wird es ein ewiges Katz und Maus-Spiel bleiben. „Defend Europe“ hat gezeigt, mit welch geringem Aufwand (verglichen mit den NGO-Millionen) man eine deutlich messbare Veränderung herbeiführen kann. Legal durchsetzen können diese nur staatliche Akteure, aber offensichtlich kann man jene mit dem nötigen öffentlichen Druck dort hintragen, wo sie ihre Arbeit zu erledigen haben. Es wird, da bin ich mir sicher, eine Mission „Defend Europe“ 2.0, 3.0 usw. geben (wie auch immer die aussehen mögen), solange, bis die Verantwortlichen es gelernt haben oder andere Leute verantwortlich sind.

Die Jagd hat gerade erst begonnen.

Die mobile Version verlassen