Giulio Meotti, 20.11.2016, Gatestone Institute
- „Die Zeitschrift ist nicht mehr dieselbe, Charlie ist jetzt künstlerisch und redaktionell erstickt.“ – Zineb el Rhazoui, französisch-tunesischer Intellektueller und Journalist, Autor von Détruire le Fascisme Islamique.
- „Wir müssen weiterhin Mohammed in Charlie darstellen, es nicht zu tun bedeutet, dass es keinen Charlie mehr gibt.“ – Patrick Pelloux, ein weiterer Karikaturist, der die Zeitschrift verließ.
- „Wenn unsere Kollegen in der öffentlichen Debatte keinen Teil des Risikos mehr auf sich nehmen, dann haben die Barbaren gewonnen.“ – Elisabeth Badinter, Philosophin, die vor Gericht für die Karikaturisten im Dokumentarfilms „Je suis Charlie“ aussagte.
- Nachdem die Kouachi-Brüder die Journalisten von Charlie Hebdo gemetzelt hatten, liefen sie auf die Straße und riefen: „Wir haben Mohammed gerächt, wir haben Charlie Hebdo getötet.“ Zwei Jahre später scheint es, dass sie gewonnen haben. Es gelang ihnen, das letzte europäische Magazin zum Schweigen zu bringen, das noch bereit war, die Meinungsfreiheit vor dem Islamismus zu verteidigen.
Über zwanzig Jahre lang hat die Angst bereits wichtige Teile der westlichen Kultur und des Journalismus verschlungen. Sie verschwanden alle in einem grässlichen Akt der Selbstzensur: die Karikaturen einer dänischen Zeitung, eine „South Park“ -Episode, Gemälde in der Londoner Tate Gallery, ein Buch der Yale University Press; Mozarts Idomeneo, der holländische Film „Submission“, der Name und das Gesicht der US-Zeichnerin Molly Norris, ein Buchcover von Art Spiegelman und Sherry Jones‘ Roman „Jewel of Medina“, um nur einige zu nennen. Die meisten von ihnen sind Geister, die im Versteckten leben, versteckt in irgendeinem Landhaus oder ins Privatleben zurückgezogen, Opfer einer verständlichen, aber tragischen Selbstzensur.
Nur die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo fehlte auf dieser traurigen, langen Liste. Bis jetzt.
Die Enttäuschung über das, was aus Charlie Hebdo geworden ist, spiegelt sich in den Worten der französischen Journalistin Marika Bret: „Wir bekommen viele Drohungen aus Italien“. Das ist kein Hinweis auf ein italienische jihadistische Zelle, sondern auf ein September-Titelblatt von Charlie Hebdo, das Opfer des Erdbebens in Italien verspottet. Es scheint, dass die satirische Wochenzeitschrift, die vor zwei Jahren von französischen Islamisten fast zerstört wurde, „normalisiert“ worden ist.
Nehmen Sie die neuen Cover von Charlie. Gegen Terroristen? Nein. Gegen diejenigen, die sie „Rassisten“ nannten? Nein. Es war gegen Éric Zemmour, den tapferen französischen Le Figaro-Journalisten, der eine öffentliche Debatte über die französische Identität geführt hat. „Der Islam ist unvereinbar mit dem Säkularismus, unvereinbar mit der Demokratie und unvereinbar mit der republikanischen Regierung“, schrieb Zemmour.
Laurent Sourisseau, alias „Riss“, jetzt der Verlagsdirektor und Mehrheitseigner von Charlie, wurde während des Angriffs 2015 auf die Zeitschrift angeschossen und lebt unter Polizeischutz. Er präsentierte Zemmour auf dem Cover mit einer Sprengstoffweste und verglich ihn somit effektiv mit einem Terroristen.
Charlie Hebdo hat kürzlich auch Nadine Morano, eine Islamkritikerin, satirisch ausgeschlachtet und sie als Baby mit Down-Syndrom dargestellt.
Riss veröffentlichte vor kurzem auch ein Comic-Buch, das ein weiteres leichtes Ziel von willfährigen Konformisten mit dem Titel „La face crashée de Marine Le Pen“ („Das abgestürzte Gesicht der Marine Le Pen„) angreift. Le Pen führt die französische Partei Front National mit einer Plattform, die für die nationale Souveränität und die jüdisch-christliche Identität Europas kämpft. In Charlie ist die politische Führerin der französischen „Rechten“ als Marilyn Monroe gekleidet.
Am ersten Jahrestag des Massakers im Büro von Charlie Hebdo veröffentlichte Riss ein Cover nicht mit Mohammed, sondern das einen mörderischen jüdisch-christlichen Gott darstellte, als seien die Kollegen von Riss nicht von Islamisten, sondern von Katholiken gemetzelt worden. Riss hatte in der Tat angekündigt, dass die Zeitschrift „nicht mehr Mohammed zeichne„.
Die erste Person, die bei Charlie kapitulierte, war „Luz“, ein bekannter Karikaturist. Er ergab sich und sagte: „Ich werde Mohammed nicht mehr zeichnen„.
„Die Transplantation, die am schlechtesten funktioniert“, sagte Jeannette Bougrab, die Gefährtin von Charlies verstorbenem Herausgeber Stéphane Charbonnier, „ist die Transplantation von Eiern.“ Bougrab beschuldigte die Überlebenden des Angriffs der Verbeugung vor Terrorismus und Drohungen, indem sie das Vermächtnis der freien Rede verrieten, für das diese wahren Männer ermordet worden waren.
Nach dem Massaker vom 7. Januar 2015 weinte der Cartoonist „Luz“ vor den Kameras, nachdem er mit den Überlebenden zusammen ein Cover vorgestellt hatte, auf dem Muhammad mit den Worten „Alles ist vergeben“ dargestellt wurde. Luz erschien dann in Le Grand Journal zusammen mit Madonna, und in einer Geste des traurigem Voyeurismus zeigte er seine Genitalien, abgedeckt durch das Logo „Je suis Charlie“.
Charlies „Normalisierung“ spiegelte sich auch in der jüngsten dramatischen Entscheidung wider, die Beziehung der Zeitschrift mit einer anderen Überlebenden, der französisch-tunesischen Intellektuellen und Journalistin Zineb el Rhazoui, zu beenden, die nun auch unter Polizeischutz leben muss für ihre Kritik an islamischen Extremisten.
„Die Zeitschrift ist nicht mehr dieselbe, Charlie ist jetzt daran, künstlerisch und redaktionell zu ersticken“, erzählte sie Le Monde. Rhazoui ist Autorin eines neuen Buches „Détruire le Fascisme Islamique“ ( „Den islamischen Faschismus zerstören„).
„Wir müssen weiterhin Mohammed in Charlie darstellen. Es nicht zu tun würde bedeuten, dass es kein Charlie mehr gibt“, sagte Patrick Pelloux, ein weiterer Karikaturist, der die Zeitschrift verließ.
Es gab sieben Karikaturisten bei Charlie Hebdo. Fünf wurden am 7. Januar 2015 getötet: Charb, Cabu, Honoré, Tignous und Wolinski. Die beiden anderen, Luz und Pelloux, traten nach dem Massaker zurück. Die Schlagzeile der Monatszeitschrift Causeur fing die Atmosphäre ein: „Charlie Hebdo begeht Hara-Kiri,“ mit der japanischen Form von Selbstmord spielend und dem früheren Namen von Charlie (der „Hara-Kiri“ lautete). Zwischen Morden, Desertionen und Selbstzensur ist Charlies Geschichte fast vorbei.
Was geschieht da? Leider funktionieren die Bedrohungen und Angriffe der Islamisten. Eine ähnliche Krise betraf Jyllands-Posten, die dänische Zeitung, die zuerst die 12 Karikaturen von Mohammed veröffentlichte, die Charlie Hebdo sofort, um Solidarität zu zeigen, reproduzierte. „Die Ehre Frankreichs ist von Charlie Hebdo gerettet worden“, schrieb Bernard-Henri Lévy, als das Magazin die dänischen Karikaturen wiederveröffentlichte, während viele „recht-denkende“ Medien die „Islamophobie“ dieser Karikaturen anprangerten.
„Die Wahrheit ist, dass es für uns völlig unverantwortlich wäre, die Cartoons heute zu veröffentlichen“, sagt Jorn Mikkelsen, Direktor von Jyllands-Posten, um seine Selbstzensur zu rechtfertigen. „Jyllands-Posten hat eine Verantwortung für sich und seine Mitarbeiter.“ Wie Kurt Westergaard, Autor der Karikatur von Mohammed mit einer Bombe in seinem Turban, die jetzt in einer Haus-Festung lebt, mit Kameras und Sicherheitsfenstern und Maschinenpistolen tragenden Wachen draußen.
Ein ideologischer Zusammenstoß innerhalb Charlie Hebdos hat sich eine gute Weile vor dem Terrorangriff entwickelt. Zineb el Rhazoui stiess zum Wochenmagazin durch den Redakteur Stéphane Charbonnier, „Charb“, dem tapferen Journalisten, der den Kampf gegen die islamistische Einschüchterung in Europa anführte. Selbst aus seinem Grab heraus schrieb er einen „Offenen Brief an die Betrüger der Islamophobie, die den Rasisten in die Hände spielen„. Aber, wie Libération schreibt: „Riss widersprach Charb, er ist weniger politisch, introvertierter als er.“
Charbonnier gehörte zur Generation von Philippe Val und Caroline Fourest, die libertären Journalisten, entschlossen, den Islam zu kritisieren, die von 1992 bis 2009 das Wochenmagazin prägten.
„Charb, wo ist Charb?„, schrien die Terroristen im Büro von Charlie Hebdo, um sicherzustellen, dass sie den Journalisten fanden, den sie für die Mohammed-Karikaturen-Kontroverse verantwortlich hielten.
Philippe Val, der als ehemaliger Charlie Hebdo-Redakteur in Paris für den Nachdruck dieser Karikaturen vor Gericht gestellt wurde, veröffentlichte ein Buch „Malaise dans l’inculture“ („Krankheit des Kulturmangels„), das die „ideologische Berliner Mauer“ angreift, die von der Linken errichtet wurde.
Im Jahr 2011 kündigte, nach einer Brandbombe, die die Büros von Charlie verwüstete, ein Appell von erschrockenen, eingeschüchterten Journalisten ihre Ablehnung an, die Haltung des Magazins zum Islam zu unterstützen. Zwei Jahre später beschuldigte einer der Unterzeichner, Olivier Cyran, ein ehemaliger Herausgeber von Charlie Hebdo, die Zeitschrift der „Besessenheit mit Muslimen„. Dasselbe tat ein ehemaliger Charlie-Journalist, Philippe Corcuff, der seine Kollegen der Zeitschrift beschuldigte, „einen Zusammenprall der Zivilisationen“ zu fördern.
Die Angriffe setzten sich mit einem anderen ehemaligen Karikaturisten Charlie Hebdos, Delfeil de Ton, fort, der in Le Nouvel Observateur nach dem Massaker von 2015 beschämt Charb beschuldigte, die Kollegen in das Gemetzel „hineinzuziehen„, indem er weiterhin Mohammed satirisiere.
Nachdem die Kouachi-Brüder Charlie Hebdos Mitarbeiter gemetzelt hatten, liefen sie auf die Straße hinaus und schrien: „Wir haben Mohammed gerächt, wir haben Charlie Hebdo getötet.“ Zwei Jahre später scheint es, dass sie gewonnen haben. Es gelang ihnen, das letzte europäische Magazin zum Schweigen zu bringen, das noch bereit gewesen war, die Meinungsfreiheit vor dem Islamismus zu verteidigen. Und sie schickten eine besondere Warnung an alle anderen. Weil nach Charlie Hebdo das Schreiben von Artikeln, die den Islam kritisieren, oder das Zeichnen einer Karikatur sie zum Ziel von Attentatsversuchen und Einschüchterungskampagnen machen.
Die Feministin und Philosophin Elisabeth Badinter, die vor Gericht für die französischen Karikaturisten im Dokumentarfilm „Je suis Charlie“ aussagte, sagte: „Wenn unsere Kollegen in der öffentlichen Debatte keinen Teil des Risikos teilen, dann haben die Barbaren gewonnen.“
Die Zeitschrift Paris Match fragte Philippe Val, ob er sich das Verschwinden von Charlie Hebdo vorstellen könne. Val antwortete: „Das wäre das Ende einer Welt und der Anfang von Michel Houellebecqs ‚Soumission'“. Nach Angriffen kommt Selbstzensur: Unterwerfung. Wenn Charlie Hebdo müde ist und vor Verpflichtungen flieht, wer mag ihm dafür die Schuld geben? Aber die anderen, der Rest?
Giulio Meotti, Kulturredaktor für Il Foglio, ist italienischer Journalist und Autor.
Erstveröffentlichung hier. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des Gatestone Instituts.