Ayaan Hirsi Ali, 24.8.2017, New York Times
Seit der Gewalt in Charlottesville vor 10 Tagen, als weiße Supremazisten eine junge Frau tot und 19 andere verletzt zurückliessen, hat das Rechtszentrum für Armut des Südens (Southern Poverty Law Center, S.P.L.C.) den Jackpot getroffen. Die in Alabama domizilierte Nonprofitorganisation soll Millionen von Dollars in Spenden empfangen haaben von einigen der tiefsten Taschen der Nation. Apple versprach 1 Million Dollar. JP Morgan Chase & Co eine halbe Million. Sogar George und Amal Clooney gingen darauf ein und versprachen, eine weitere Million Dollar zu spenden.
Wie jeder andere anständige Amerikaner war ich empört, dass der Präsident der Vereinigten Staaten die Neo-Nazi-Aktivitäten in diesem Land gleichermaßen verurteilte. Der Nationalsozialismus – ganz zu schweigen von der weißen Vormachtstellung und der Rassen-Bigotterie – hat keinen Platz in einer zivilisierten Gesellschaft.
Doch ist das Spenden von Geld an S.P.L.C. der beste Weg, um dieses Gift zu bekämpfen? Ich denke nicht. Wenn Tim Cook und Jamie Dimon ihre Due Diligence getan hätten, würden sie wissen, dass die S.P.L.C. eine Organisation ist, die sich auf einem Irrweg befindet, die Menschen verleumdet, die für die Freiheit kämpfen, und die blind ist für eine Ideologie und eine politische Bewegung, die mit dem Nationalsozialismus viel gemein hat.
Ich bin eine Schwarze, Feministin und ehemalige Muslima, die sich konsequent gegen politische Gewalt ausgesprochen hat. Der Preis für den Ausdruck meiner Überzeugungen war hoch: Ich muss jederzeit mit bewaffnetem Sicherheitspersonal reisen. Mein Freund und Mitarbeiter Theo van Gogh wurde am helllichten Tag ermordet.
Und doch hat die S.P.L.C. die Kühnheit, mich als „Extremistin“ zu bezeichnen, indem sie meinen Namen in einem „Field Guide to Anti-Muslim Extremists“ auflistet, den sie auf ihrer Website im vergangenen Oktober veröffentlicht hat.
In diesem Führer behauptet die S.P.L.C., dass ich eine „Propagandistin weit außerhalb des politischen Mainstreams“ sei und warnt Journalisten, meine „schädlichen Fehlinformationen“ zu vermeiden. Diese haltlosen Verleumdungen sind zutiefst beleidigend, da ich den grossen Teil meines Erwachsenenlebens der Tätigkeit gewidmet habe, die wahren Extremisten beim Namen zu nennen: Organisationen wie Al Qaida und ISIS. Dennoch wird man bei der S.P.L.C. vergeblich nach dem „Field Guide to Muslim Extremists“ suchen. Eine solche Liste existiert nicht.
Das ist eine Schande, denn der islamische Extremismus – eine Bewegung, die auf die Errichtung eines Kalifats und die Verhängung der Scharia abzielt – ist so giftig wie die weiße Vorherrschaft. In den vergangenen zwei Jahrzehnten war er sicherlich für viel mehr Tote verantwortlich.
Wie die Neonazis verachten die islamischen Extremisten den Liberalismus. Sie leugnen die Gleichheit der Geschlechter, rechtfertigen das Schlagen der Ehefrau und in einigen Fällen sogar die Versklavung weiblicher Ungläubiger. Der islamische Staat und ähnliche Gruppen ermorden regelmäßig homosexuelle Menschen auf abscheulichste Weise. Islamische Extremisten sind auch virulent antisemitisch, wie die Nazis vor ihnen. Und wie die heutigen amerikanischen Nazis schwingen sie Hakenkreuze, singen Beleidigungen und pflegen Verschwörungstheorien.
Die schrecklichen Konsequenzen des islamischen Extremismus sind jede Woche auf der ganzen Welt sichtbar. In den Tagen nach Charlottesville benutzten fünf Männer in Barcelona einen Van und Messer, um 14 Menschen zu töten und haufenweise unschuldige Menschen zu verletzen. Ein weiterer islamischer Extremist ging in Finnland auf einen messerstechenden Amoklauf. In reichen Gesellschaften wie den Vereinigten Staaten sind die meisten Pläne, um im Namen der islamistischen Vorherrschaft zu töten, vereitelt worden. Doch den ärmeren Gesellschaften in den Entwicklungsländern fehlen die Mittel, das zu tun, weshalb die Mehrheit der Opfer der Extremisten in Ländern wie Afghanistan, Irak, Nigeria, Pakistan und Syrien sind.
Es ist nicht verwunderlich, dass, wenn ich auf solche Tatsachen hinweise, ich von denjenigen, die sich dem islamischen Extremismus hingeben, bösartig angegriffen und bedroht werde. Aber es hat mich immer sehr merkwürdig berührt, dass so viele vermeintlich Linke im Westen ihre Seite einnehmen statt meine, wie es vor drei Jahren geschah, als die Brandeis-Universität ihr Angebot einer Ehrenauszeichnung zurückzog. Ich hätte erwartet, dass eine Menschenrechtsorganisation, die angeblich der Gerechtigkeit verpflichtet ist, sich gegen diejenigen äußert, die Frauen, Schwule und Mitglieder anderer Glaubensrichtungen unterdrückt. Aber die S.P.L.C. hat nichts zu sagen über islamische Extremisten; nur über ihre Gegner.
Eine weitere Stimme, die die S.P.L.C. zum Schweigen zu bringen versucht hat, ist die von Maajid Nawaz, der in denselben Feldführer wie ich aufgenommen worden ist (er verklagt die Organisation wegen Verleumdung). Herr Nawaz hat ausführlich über seine Vergangenheit als islamischer Extremist in England und Ägypten geschrieben, so wie ich über meine Zeit in der Muslimbruderschaft als Teenager geschrieben habe. Die letzten zehn Jahre hat er Quilliam geleitet, eine Organisation, die dem islamischen Extremismus in Großbritannien und anderswo, vor allem in Pakistan, entgegenwirken will.
Ich traf Herrn Nawaz im Jahr 2010 bei einer Debatte in New York City, wo das Thema die Natur des Islam war. Unsere leidenschaftliche Meinungsverschiedenheit war öffentlich zur Schau gestellt: Herr Nawaz ist ein säkularer Moslem, während ich nicht länger gläubig bin. Dennoch waren wir uns beide einig, dass der Weg zu einer erfolgreichen Reformation des Islam in mehr Diskussion, mehr Kontrolle und kritischerem Denken liegt. Es sind genau diese Aktivitäten, die unsere Gegner, jetzt auch die S.P.L.C., als Extremismus beschreiben.
Cui bono? Diese Frage ist fast immer die richtige, die Organisationen wie der S.P.L.C. gestellt werden sollten. Wer profitiert wirklich von ihren Aktivitäten? Wiederholt und seit mehr als zehn Jahren haben Journalisten von Publikationen von Harper’s über Politico und The Nation bis zum Weekly Standard darauf hingewiesen, dass die Gründer des Zentrums mehr daran interessiert sind, von den Ängsten und der weißen Schuld der nördlichen Linken zu profitieren als die Menschenrechte der armen Südländer oder von sonst jemandem hochzuhalten. Es gibt jedoch auch eine weniger zynische Erklärung, nämlich dass die Linken sich zutiefst und zunehmend unwohl fühlen damit, den islamischen Extremismus zu benennen, aus Angst, als „islamophob“ verleumdet zu werden, oder noch schlimmeres.
In jedem Fall aber ist die Entscheidung der S.P.L.C., auf diejenigen zu zielen, die sich für die Menschenrechte der Muslime aussprechen, eine Travestie.
Muslime können heute die Rolle ihrer Religion in den meisten Ländern mit muslimischer Mehrheit nicht frei diskutieren, wo die Anklagen der Ketzerei oder des Abfalls vom Glauben ein Todesurteil oder einen Lynch-Mob bedeuten können. Auch hier im Westen wird die freie Diskussion über den Islam nicht zuletzt schwieriger, weil islamische Organisationen wie der Rat der amerikanisch-islamischen Beziehungen CAIR jegliche Kritik am Islam kritisieren und als „Hate Speech“ brandmarken, das moderne Wort für Ketzerei. Bewusst oder unbewusst leistet die S.P.L.C. islamischen Extremisten Beihilfe, indem sie kritische Denker wie Mr. Nawaz und mich als „Extremisten“ brandmarkt.
Einen Standpunkt gegen die Neonazi-Show, die wir in Charlottesville gesehen haben, zu setzen, ist ein Impuls, der bejubelt werden sollte – und Apple, JP Morgan und die Hollywood-A-Liste kann und sollte mehr tun, um der politischen Gewalt und Intoleranz in all ihren Formen entgegenzuwirken. Doch sie müssen vertrauenswürdigere und verdientere Partner zur Zusammenarbeit finden, als die S.P.L.C.
Ayaan Hirsi Ali (@ayaan) ist ein Research Fellow an der Hoover Institution und Gründerin der AHA Foundation.