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Asia Bibi: Pakistans gerichtlicher Verrat

Giulio Meotti, 5.11.2018, Gatestone Institute
aus dem Englischen von Daniel Heiniger

Abgebildet: Ashiq Masih, der Ehemann von Asia Bibi, setzt sich zusammen mit ihrer Tochter Eisham Ashiq im Jahr 2015 für die Freilassung Asias ein. (Bildquelle: HazteOir/Flickr)

Die Freude über den Freispruch von Asia Bibi dauerte knapp 24 Stunden. Die christliche Mutter-von-Fünf aus Pakistan wurde gezwungen, acht Jahre wegen angeblicher „Blasphemie“ im Gefängnis zu verbringen, einen Großteil der Zeit in der Todeszelle, bevor der Oberste Gerichtshof sie von jeglicher Schuld freisprach.

„Ich kann gar nicht glauben, was ich höre, werde ich jetzt rausgehen? Werden sie mich wirklich rauslassen?“, sagte Asia Bibi nach dem historischen Urteilsspruch am Telefon, so die Nachrichtenagentur AFP.

Leider brachen sofort massive Straßenproteste extremistischer Muslime aus, um die Regierung dazu zu zwingen, ihre Freilassung zu verzögern. Das Telefonnetz wurde in einigen Regionen aus „Sicherheitsgründen“ unterbrochen. Die Unruhen führten zur Schließung von Schulen in Islamabad, im Punjab und in Kaschmir. Straßen wurden blockiert, was Teile von Islamabad, Lahore und anderen Städten lähmte. Christliche Schulen warnten Eltern aus Angst vor Gewalt, zu kommen und ihre Kinder abzuholen. Kirchen wurden in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Demonstranten hielten Plakate, auf denen zu lesen war: „Hängt Asia Bibi„.

„Es wird einen Krieg geben, wenn sie Asia aus dem Land schicken“, warnte Khadim Hussain Rizvi, Führer von Tehreek-e-Labbaik Pakistan (TLP), einer islamistischen Partei, die Blasphemiegesetze unterstützt.

Drohungen von wütenden Mobs, die ihren Tod forderten und vor nationalen Unruhen warnten, funktionierten offensichtlich. Pakistans Regierung, nachdem sie gesagt hatte, sie würde einen Prozess einleiten, um zu verhindern, dass Asia Bibi das Land verlässt, wurde nun beschuldigt, ihr „Todesurteil“ unterzeichnet zu haben.

Die Regierung erlag offenbar dem Druck und unterzeichnete eine Vereinbarung, die viele der Forderungen von Tehreek-e-Labbaik erfüllt. Die pakistanische Regierung versprach auch, sich einer rechtlichen Petition zur Aufhebung der Freilassung von Asia Bibi nicht zu widersetzen und ihren Namen auf die „Exit Control List“ (ECL), eine No-Fly-Liste, zu setzen, um zu verhindern, dass sie das Land verlässt.

„Asia Bibi auf die ECL zu setzen, ist wie ihr Todesurteil zu unterschreiben“, sagte Wilson Chowdhry vom Britisch-Pakistanischen Christlichen Verband.

„Die Vereinbarung“, tweetete der Politologe Mosharraf Zaidi, „war eine ‚historische Kapitulation‚“.

„Es ist fast sicher, dass Bibi nach ihrem Freispruch nicht mehr im Land leben kann“, schrieb der berühmte pakistanische Schriftsteller Mohammed Hanif in der New York Times.

„Ihr zu verbieten, das Land zu verlassen, gewährt Tehreek-i-Labaik stillschweigend die Erlaubnis, sie zu jagen und zu ermorden“, schrieb Robert Spencer, ein Menschenrechtsaktivist und Autor von 18 Büchern, darunter Bestseller der New York Times.

Asia Bibis Ehemann, Ashiq Masih, hat sofort in den Vereinigten Staaten, Kanada und England Asyl beantragt. „Ich bitte den Premierminister des Vereinigten Königreichs, uns zu helfen und uns so weit wie möglich Freiheit zu gewähren“, sagte er. „Ich bitte den Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump, uns zu helfen, aus Pakistan auszureisen“, fügte er hinzu. Deshalb wird der Pakt zwischen den Islamisten und der Regierung als Verrat angesehen. „Die Vereinbarung hat mir einen Schauer über den Rücken gejagt“, sagte Masih. „Die aktuelle Situation ist sehr gefährlich für uns. Wir haben keine Sicherheit und verstecken uns hier und dort und wechseln häufig unseren Standort“.

Unterdessen bleibt das Schicksal von Asia Bibi „ungewiss„.

Pakistan, ein Land mit 197 Millionen Einwohnern, bewaffnet mit nuklearen Sprengköpfen, und ein Verbündeter des Westens, mit 97% Muslimen in seiner Bevölkerung, ist durchgedreht wegen des gerechten Freispruchs dieser christlichen Frau. Nicht nur, dass das pakistanische Justizsystem sie acht Jahre lang gefoltert hat, indem es sie allein in einer fensterlosen Zelle getrennt gehalten hat. Jetzt, da Asia Bibi freigesprochen ist, gibt es unzählige Tausende, die bereit sind, sie zu ermorden.

Die Islamisten scheinen zu glauben, dass es beim Freispruch von Asia Bibi um ein offeneres Pakistan, eine Niederlage für die Scharia und eine gewisse Hoffnung für die wenigen verfolgten Christen dort geht. Ihre Tortur zeigt deutlich, wie die Rechtsstaatlichkeit in Pakistan zusammengebrochen ist. Laut Amnesty International:

„Pakistans Blasphemiegesetze sind allzu breit gefasst, vage und Zwangsmittel. Sie wurden benutzt, um religiöse Minderheiten ins Visier zu nehmen, persönliche Rachefeldzüge zu verfolgen und Selbstjustiz zu üben. Auf der Grundlage von wenigen oder gar keinen Beweisen werden die Angeklagten darum kämpfen, ihre Unschuld zu beweisen, während wütende und gewalttätige Mobs versuchen, Polizei, Zeugen, Staatsanwälte, Anwälte und Richter einzuschüchtern.“

Zu den jüngsten Angriffen auf pakistanische Christen gehören ein Angriff auf eine Kirche in Quetta im Dezember 2017, bei dem 9 Menschen starben; ein Selbstmordanschlag auf Christen, die im März 2016 auf einem Spielplatz in Lahore Ostern feierten und bei dem 70 Menschen starben; zwei Bombenanschläge auf Kirchen in Lahore im März 2015, bei denen 14 Menschen starben; ein doppelter Selbstmordanschlag auf eine Kirche in Peshawar im Jahr 2013, bei dem rund 80 Menschen starben, und fast 40 Häuser und eine Kirche, die 2009 in der Stadt Gojra im Punjab von einem Mob verbrannt wurden, mit acht lebendig verbrannten Menschen. Im vergangenen März sprach ein pakistanisches Gericht 20 Personen frei, Teil eines Mobs zu sein, der ein christliches Paar, das fälschlicherweise der „Blasphemie“ beschuldigt worden war, lebendig verbrannt hatte. Das christliche Paar wurde gefoltert und ihre Körper in einem Ziegelofen zu Asche verbrannt.

„Die einzige Strafe für einen Gotteslästerer ist die Enthauptung“, brüllten extremistische muslimische Sprechchöre auf den Straßen Pakistans nach dem Freispruch von Asia Bibi. Ihr Anwalt, Saif Mulook, ist bereits aus Angst um sein Leben geflohen, erklärte aber, dass die Risiken die Belohnung wert seien. „Ich denke, es ist besser, als ein tapferer und starker Mann zu sterben, als als Maus und ängstlicher Mensch“, sagte er.

Die muslimischen Richter, die Asia Bibi freigesprochen haben, der Präsident des Obersten Gerichtshofs Mian Saqib Nasir und der Richter Asif Khosa, haben ebenfalls Morddrohungen erhalten. Sie waren sich zweifellos der potenziellen Gefahr für ihr Leben bewusst, gingen aber mutig vor und gingen das Risiko ein, Ziel von gewalttätigen-Gruppen zu werden.

„Sie alle drei verdienen es, getötet zu werden“, sagte ein islamistischer Führer, Mohammed Afzal Qadri, zu einer Kundgebung in Lahore. „Entweder sollte ihre Security sie töten, ihr Fahrer soll sie töten, oder ihr Koch soll sie töten… Wer auch immer, wer Zugang zu ihnen hat, soll sie noch vor dem Abend töten“.

Jeden Tag riskiert Asia Bibi, von diesen Extremisten ermordet zu werden. Gefängnisbeamte enthüllten, dass noch letzten Monat, vor ihrem Freispruch, zwei Häftlinge verhaftet wurden, weil sie geplant hatten, sie zu erwürgen. Seit 1990 wurden in Pakistan 62 Menschen getötet, nachdem sie der „Blasphemie“ beschuldigt worden waren.

Salman Taseer, ein tapferer Moslem, der Gouverneur der pakistanischen Provinz Punjab war, bezahlte mit dem Leben, nur weil er seine Unterstützung für Asia zum Ausdruck brachte; er wurde von seinem eigenen Leibwächter ermordet, der sagte: „Ich tat dies, weil Herr Taseer kürzlich die vorgeschlagenen Änderungen am Blasphemiegesetz verteidigt hat“. Malik Mumtaz Qadri, Taseers Mörder, der später für das Verbrechen hingerichtet wurde, wurde in Pakistan zu einem Helden, einem „Märtyrer“. Eine Moschee wurde nach ihm benannt, die Leute kamen mit ihren Kindern, um ihn im Gefängnis zu sehen, und er veröffentlichte CDs mit seinem Gesang.

Wenn Asia Bibi ermordet würde, wäre es eine gigantische Niederlage für jede Art von Gerichtsverfahren und ein gigantischer Sieg gegen Christen – vergleichbar mit der Vertreibung von Christen aus ihrem Kernland im Irak.

Zum jetzigen Zeitpunkt kann man nur um Asia Bibi und andere Christen in Südasien fürchten. Im Westen scheint man nur ein Gähnen dafür übrig zu haben, dass sie gejagt wird. Fast eine Woche lang haben gewalttätige Proteste und Drohungen gegen ihr Leben die europäische Öffentlichkeit nicht dazu bewegt, auf die Straße zu gehen, um auf ihrer Freiheit zu bestehen. Vom ansonsten lautstarken UNO-Menschenrechtsrat in Genf ist keine Resolution gekommen. Es wurde kein Druck auf Pakistan ausgeübt, um ihre sofortige und sichere Freilassung zu gewährleisten. Es wurden keine Konferenzen von EU-Beamten in Brüssel oder Straßburg einberufen.

Europäische und westliche Regierungen sollten alles in ihrer Macht Stehende tun, um sie zu retten. Bieten Sie ihr eine Ehrenbürgerschaft an, wie es die Stadt Paris im Jahr 2015 tat. Schirmen Sie sie in einer ausländischen Botschaft in Pakistan ab. Vor allem, gewähren Sie ihr Asyl in einer westlichen Demokratie.

In den letzten Jahren stand Pakistan im Mittelpunkt vieler islamistischer Versuche, die Meinungsfreiheit im Westen einzuschränken. Islamistische Hardliner randalierten, als die dänische Zeitung Jyllands Posten Cartoons von Mohammed veröffentlichte. Geert Wilders hat im August letzten Jahres nach großen Protesten in Pakistan einen Mohammed-Cartoon-Wettbewerb abgesagt. Nach dem Massaker in den Büros der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo kam es in Pakistan zu gewalttätigen Ausschreitungen. Ein pakistanischer Minister bot jedem, der den Mann, der den Film „Innocence of Muslims“ gedreht hatte, tötet, eine Prämie von 100.000 Dollar. Das Wort „Blasphemie“, das über dem Kopf von Asia Bibi hängt, ist das gleiche wie bei extremistischen Muslimen, die den Westen ins Visier nehmen.

Die Richter sagten in ihrem Freispruch für Asia Bibi: „Sie scheint ein Mensch zu sein, mit den Worten von Shakespeares König Lear, gegen die mehr gesündigt wurde, als dass sie gesündigt hat.“

Wird der Westen standfest bleiben und dieser verfolgten Christin helfen? Sie ist wir.

Giulio Meotti, Kulturredaktor für Il Foglio, ist ein italienischer Journalist und Autor.


Erstveröffentlichung hier. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des Gatestone Instituts.

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