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Ich zeige auf die Verrückten, die Israel-Bashing zur Mutter aller Tugenden machen

Bald nach Abschluss der Londoner Modewoche begann die Israelische Apartheidwoche. Eine weitere Woche, ein weiterer besessener Fokus auf Israel.

Die Boykottbewegung (BDS) wird im Westen vor allem von Menschen angeführt, die wenig bis gar nichts haben, was sie mit dem Nahostkonflikt verbindet.

Maajid Nawaz, 8.3.2017, Times of Israel Blogs
aus dem Englischen von Daniel Heiniger

Nichts, das heißt, abgesehen von der Tatsache, dass die Zugehörigkeit zur Links-Außen und die Nicht-Unterstützung von BDS zum Äquivalent geworden ist, Liebe zur Mode zu behaupten und gleichzeitig die Haute Couture zu hassen. Obwohl, im Gegensatz zur Haute Couture ist BDS eine unelegante und simplizistische Lösung für ein langwieriges und unglaublich kompliziertes Problem. Aber wer kümmert sich um Details, wenn man ein fabelhaftes Plakat zum schwenken hat?

Die bequeme Analogie, auf der BDS beruht, ist die südafrikanische Apartheid. Doch im Gegensatz zu Südafrika aus der Apartheid-Ära machen die Araber 20 Prozent der gesamten Staatsbürger Israels aus. Die meisten dieser arabisch-israelischen Bürger sind Muslime. An israelischen Stränden gibt es Moscheen. Neben dem Hebräischen ist Arabisch eine der offiziellen Sprachen Israels. Ein arabisch-israelischer Richter hat sogar den ehemaligen israelischen Premierminister Ehud Olmert angeklagt und verurteilt.

Und obwohl viele Integrationsprobleme fortbestehen – wie bei Minderheitengemeinschaften im gesamten Westen – äußerten 77 Prozent dieser Araber bei der Befragung eine überwältigende Präferenz, israelisch zu bleiben und nicht Bürger eines zukünftigen palästinensischen Staates werden zu wollen.

Der Grund dafür liegt auf der Hand, nämlich dass israelisch-muslimische Menschen mehr Religionsfreiheit haben als andere Minderheiten – und sogar andere Muslime in allen anderen Ländern des Nahen Ostens.

Das Problem liegt im Status des Westjordanlandes und des Gazastreifens, nicht in einem imaginären Apartheid-System innerhalb Israels selbst. So faul ist die Apartheid-Analogie, dass ich meinen Artikel an dieser Stelle effektiv beenden könnte. Aber unsere politische Faulheit ist so fest verwurzelt geworden, dass ich mich gezwungen fühle, weiterzumachen.

Weit davon entfernt, Apartheid zu sein, haben wir es mit einem etwas unspektakulären, wenn auch ziemlich tragischen Landstreit zu tun. Ein außergewöhnlicher Landstreit: Das ist alles, was er war.

Bis er fetischisiert wurde.

Pro-palästinensische Anhänger, die eine Al-Quds-Tag-Demonstration in Zentral-London begleiten, schwenken Hisbollah-Flaggen. (Bildnachweis: Rick Findler/PA Wire)

Die Wahrheit ist, dass es nichts einzigartiges, besonderes am Israel-Konflikt gibt, das eine solche unverhältnismäßige Aufmerksamkeit von Menschen verdient, die wenig Verbindung zu diesem Land haben. Belutschistan, Kurdistan, Zypern, Kaschmir und Taiwan sind nur einige andere umstrittene Gebiete, die nicht so fetischisiert wurden wie Palästina von unserer Linken, von Muslimen, von den Vereinten Nationen und in unseren Medien.

Alle diese Streitigkeiten haben eine tiefe religiöse, historische und politische Bedeutung für ihre jeweiligen Parteien.

Und nur der überwältigende Narzissmus unserer abrahamitischen Glaubensrichtungen – auch derjenigen unter uns, die sich dagegen definieren – würde die religiöse und historische Bedeutung dieser „Heiligen Länder“ so weit würdigen, dass sie mehr zu bedeuten hat als andere verlorene heilige Länder, etwa für Buddhisten in Tibet oder Sikhs in Khalistan, welches ein Jahr vor der Gründung Israels an Pakistans Punjab verloren ging.

Doch Aktivisten mit wenig angestammter Verbindung zu Palästina sind davon besessen, diesen speziellen Konflikt zu instrumentalisieren, um ihre eigenen ideologischen Äxte zu wetzen.

So wie ich für Palästinenser während der vergangenen Krisen in Gaza plädieren würde, sind Israelis nicht kollektiv für die Fehler ihrer Regierung verantwortlich, wenn es darum geht, Frieden zu erreichen.

BDS versucht, die Israelis kollektiv verantwortlich zu machen. BDS bestraft ein ganzes Volk für das Handeln einer Regierung, die nur aufgrund der Eigenheiten eines proportional repräsentativen (PR-) Systems an die Macht kam, das es Minderheitsparteien ermöglicht, übermäßigen Einfluss auf die Politik auszuüben.

Im Ergebnis des israelischen PR-Systems kann Netanyahu den Sieg nur durch die Bildung einer Koalition mit Naftali Bennetts rechtsextremer, siedlungsfreundlicher Jewish Home sichern.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass auf westlichen Universitätsgeländen Absurditäten wie Studentengruppen zu beobachten sind, die sich weigern, ISIS aus Angst, antimuslimischen Fanatismus zu verursachen, zu verurteilen, oder stolz mit prodschihadistischen Gruppen wie CAGE UK kooperieren und gleichzeitig fordern, dass das gesamte Volk Israels boykottiert wird.

Zweifellos würden viele dieser Studentengruppen Obamas Deal zur Lockerung der Sanktionen gegen den Hisbollah-Terroristen-unterstützenden, hinter-Assad-stehenden, theokratischen Iran unterstützen und gleichzeitig fordern, dass Sanktionen gegen ein demokratisches Israel verhängt werden.

In diesem letztgenannten Fall sollte man sich daran erinnern, dass der iranische Film Wunder vollbracht hat, Barrieren abzubauen und die innere Unterdrückung zu kritisieren, weil der iranische Kulturaustausch von den von den USA verhängten Sanktionen ausgenommen war.

Konsequenz wäre, weiterhin mehr solche Offenheit zu fördern, doch der unglaublich regressive Schritt, der versucht, israelische Kultur zu verbieten, erreicht genau das Gegenteil.

Demonstranten schwenken während einer Demonstration in Paris palästinensische Fahnen und nennen den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu einen Nazi (Foto: Alain Apaydin/ABACAPRESS.COM).

Als britischer Schriftsteller wäre ich gekränkt, wenn mein Werk aufgrund der Handlungen meiner Regierung – wie der Invasion im Irak, gegen die ich mich immer gewehrt habe – auf der ganzen Welt zensiert würde.

Wie würden sich türkische Autoren fühlen, wenn sie für die zunehmend aus dem Gleichgewicht geratene, autokratische Islamisierung der Türkei durch Erdogan oder seine Annäherung an die Kurden verantwortlich gemacht würden?

Und doch, inmitten der chinesischen Gewalt in Tibet und Xinjiang, der burmesischen Unterdrückung der Rohingya, der Kämpfe des kurdischen Volkes, der Not der Frauen und fast jedes Freidenkers in Saudi-Arabien und im Iran, der Rechte praktisch aller in Nordkorea und des ukrainischen Kampfes um die Befreiung der Krim, ist die einzige ausländische Regierung, die den ständigen Zorn unserer Nationalen Union der Studenten auf sich zu ziehen scheint, diejenige, die – mit all ihren Unvollkommenheiten – demokratischer und transparenter ist als die meisten anderen: Israel.

Selbst der scheidende UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon stimmte zu, dass „jahrzehntelange politische Manöver eine unverhältnismäßige Anzahl von Resolutionen, Berichten und Ausschüssen gegen Israel kreiert haben… In vielen Fällen hat diese Realität, anstatt der Palästina-Frage zu helfen, die Fähigkeit der UNO vereitelt, ihre Rolle effektiv zu erfüllen“.

Bis heute wurden 47 Resolutionen zum israelisch-palästinensischen Konflikt vom UNO-Sicherheitsrat verabschiedet. Allein ab 2016 braucht man sich nur die 18 Resolutionen gegen Israel anzusehen, die während der UNO-Generalversammlung im September verabschiedet wurden, oder die 12 Resolutionen, die im Menschenrechtsrat verabschiedet wurden. Die tragische Realität ist, dass dies mehr waren als die, die sich auf Syrien, Nordkorea, Iran und Südsudan zusammen konzentrierten.

Ja, das haben Sie richtig gelesen.

Die Erwähnung der Unverhältnismäßigkeit gegenüber Israel führt unweigerlich zu Vorwürfen der Links-Außen, dass man der Täuschung des „Whataboutism“ verfallen ist. Das heißt, zu versuchen, von den eigenen Übertretungen abzulenken, indem man ruft: „aber was ist mit“ denjenigen eines anderen! In diesem Fall angeblich versuchend, Israels Missstände oder Versagen herunterzuspielen, indem auf andere Konflikte auf der ganzen Welt hingewiesen wird.

Aber ich verfalle nicht diesem Irrweg. Ich benenne das Problem.

Durch unseren abrahamitischen Narzissmus ist Israel zum ewigen „Whatabout“ geworden, das von fast jeder politischen Überzeugung benutzt wird, um ihre eigene – oft dunkle – Agenda zu verfolgen. Fanatische israelische Siedler, die normalerweise aus Amerika grüssen, versuchen, das al-Aqsa-Gelände zu sprengen, um den Tempel wieder auferstehen zu lassen.

Evangelische Christen unterstützen Israel, damit der Messias zurückkehren und das Armageddon initiieren kann, wonach Juden vermutlich in die Hölle gehen können.

Die Hamas hat seit ihrer Machtübernahme nie wieder Wahlen abgehalten und foltert und schleppt brutal „Kollaborateure“ hinter Motorrädern durch die Straßen von Gaza… aber Israel!

Islamisten in der ganzen Welt zitieren Israel als Beweis dafür, warum ihr theokratisches Kalifat zurückkehren muss.

Arabische Despoten verweisen auf Israel als Entschuldigung dafür, dass sie nie wieder freie und faire Wahlen abhalten.

Anstatt nach innen zu schauen, behaupten muslimische Verschwörer, dass Israel ISIS kreiert habe.

Die Links-Außen, wie die britischen Stop-the-War, benutzen Israel, um den „imperialistischen Westen“ zu kritisieren, während sie sich gleichzeitig der Annexion der Krim durch Russland fügen.

Die Rechts-Außen benutzen Israel für alles, von der Erhöhung der Verteidigungsausgaben über die Rechtfertigung ethnischer Profile bis hin zum Bau von Mauern gegen Immigranten.

Auf diese Weise ist die Besessenheit mit Israel zur Mutter aller Tugendsignale geworden.

Und während der Konflikt unheimlich ähnlich ist wie der Streit mit Indien über Kaschmir – Israel und Pakistan wurden im gleichen Zeitraum aus praktisch identischen Gründen gegründet – zieht Israel weit mehr Hysterie an.

Nur wenn wir den „besonderen Zustand“ von diesem Konflikt lösen, indem wir ihn seiner religiösen Übertreibung berauben, sie aus dem Blickfeld nehmen, ihn einfach mit jedem anderen Konflikt der Welt gleichsetzen – tragisch, aber nicht einzigartig – haben wir bessere Chancen, ihn zu lösen. Ich nenne das den „israelischen Unaußergewöhnlichkeitsgeist“.

Nur wenn man akzeptiert, dass dieser Konflikt nichts Besonderes ist, werden die Einsätze gesenkt, Emotionen abgebaut und die Vernunft zurückgegeben. Nur indem sie etwas leidenschaftsloser bleiben, werden die schäumenden Propheten des Verderbens mit ihrer Armageddon-Pathologie ihrer manipulativen Macht über uns beraubt.

Bis dahin bleibt, genau wie die London Fashion Week, die Israel Apartheid Week für mich das moralisch linke Äquivalent zu unseren narzisstischen Problemen der ersten Welt.

Der Kolumnist Maajid Nawaz ist Gründungsvorsitzender von Quilliam, einem Londoner Think Tank für islamischen Extremismus.

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