Alan M. Dershowitz, 28.5.2019, Gatestone Institute
aus dem Englischen von Daniel Heiniger
- „Aber Israel tut den Palästinensern böse Dinge an“, betonen die europäischen Apologeten, „und wir sind sensibel gegenüber der Notlage des Schwächeren.“
- Nein, seid Ihr nicht! Wo sind Eure Demonstrationen im Namen der unterdrückten Tibeter, Georgier, Syrer, Armenier, Kurden oder sogar Ukrainer? Wo sind Eure BDS-Bewegungen gegen die Chinesen, Russen, Kubaner, Türken oder das Assad-Regime?
- Nichts davon soll dazu dienen, die Unvollkommenheiten Israels oder die Kritik, die es zu Recht für einige seiner politischen Vorgehensweisen verdient, zu leugnen. Doch diese Unvollkommenheiten und verdienten Kritiken können nicht einmal ansatzweise den unverhältnismäßigen Hass gegen den einzigen Nationalstaat des jüdischen Volkes und das unverhältnismäßige Schweigen über die weitaus größeren Unvollkommenheiten und die verdienten Kritiken an anderen Nationen und Gruppen einschließlich der Palästinenser erklären, geschweige denn rechtfertigen.
Warum erklären so viele der Enkelkinder von Nazis und Nazi-Kollaborateuren, die uns den Holocaust gebracht haben, den Juden erneut den Krieg? Warum haben wir in Westeuropa einen solchen Anstieg des Antisemitismus und des irrational virulenten Antizionismus erlebt?
Um diese Fragen zu beantworten, muss zunächst ein Mythos aufgedeckt werden. Dieser Mythos ist derjenige, der von den Franzosen, Niederländern, Norwegern, Schweizern, Belgiern, Österreichern und vielen anderen Westeuropäern propagiert wird: nämlich, dass der Holocaust ausschließlich das Werk deutscher Nazis war, vielleicht unterstützt von einigen polnischen, ukrainischen, lettischen, litauischen und estnischen Kollaborateuren.
Falsch.
Der Holocaust wurde von Europäern begangen: von Nazi-Sympathisanten und Kollaborateuren unter Franzosen, Niederländern, Norwegern, Schweizern, Belgiern, Österreichern und anderen Europäern aus West- und Osteuropa.
Wenn die französische Regierung nicht mehr Juden in die Vernichtungslager deportiert hätte, als ihre deutschen Besatzer verlangt haben; wenn so viele niederländische und belgische Bürger und Regierungsbeamte nicht an den Razzien gegen Juden mitgewirkt hätten; wenn so viele Norweger Quisling nicht unterstützt hätten; wenn Schweizer Regierungsbeamte und Bankiers die Juden nicht ausgebeutet hätten; wenn Österreich nicht mehr Nazi als die Nazis gewesen wäre, hätte der Holocaust nicht so viele jüdische Opfer gehabt.
Angesichts der weit verbreiteten europäischen Komplizenschaft bei der Zerstörung des europäischen Judentums sollten der allgegenwärtige Antisemitismus und der irrational hasserfüllte Antizionismus, der kürzlich in ganz Westeuropa gegenüber Israel hochgepoppt ist, niemanden überraschen.
„Oh nein“, hören wir von europäischen Apologeten. „Das ist etwas anderes. Wir hassen die Juden nicht. Wir hassen nur ihren Nationalstaat. Außerdem waren die Nazis rechts. Wir sind vom Linken Flügel, also können wir gar keine Antisemiten sein.“
Unsinn.
Die harte Linke hat eine Geschichte von Antisemitismus, die so tief und dauerhaft ist wie die harte Rechte. Die Linie von Voltaire zu Karl Marx, zu Lavrentiy Beria, zu Robert Faurisson, bis zu den heutigen linksgerichteten Israel-Verunglimpfern ist so gerade wie die Linie von Wilhelm Marr über die Strafverfolger von Alfred Dreyfus bis zu Hitler.
Die Juden Europas sind seit jeher zwischen Schwarz und Rot zerquetscht worden – Opfer des Extremismus, sei es der Ultranationalismus von Chmelnitsky oder der Ultra-Antisemitismus von Stalin.
„Aber einige der schärfsten Antizionisten sind Juden, wie Norman Finkelstein und sogar Israelis wie Gilad Atzmon. Sicherlich können sie keine Antisemiten sein?“
Warum nicht? Gertrude Stein und Alice Toklas haben mit der Gestapo kollaboriert. Atzmon, ein harter Linker, bezeichnet sich selbst als stolzen, selbsthassenden Juden und gibt zu, dass seine Ideen von einem notorischen Antisemiten stammen.
Er leugnet, dass der Holocaust historisch bewiesen ist, aber er glaubt, dass Juden durchaus christliche Kinder getötet haben könnten, um mit ihrem Blut Passah-Matzah zu backen. Und er hält es für „rational“, Synagogen niederzubrennen.
Finkelstein glaubt an eine internationale jüdische Verschwörung, zu der Steven Spielberg, Leon Uris, Eli Wiesel und Andrew Lloyd Webber gehören!
„Aber Israel tut den Palästinensern böse Dinge an“, betonen die europäischen Apologeten, „und wir sind sensibel gegenüber der Notlage des Schwächeren.“
Nein, seid Ihr nicht! Wo sind Eure Demonstrationen im Namen der unterdrückten Tibeter, Georgier, Syrer, Armenier, Kurden oder sogar Ukrainer? Wo sind Eure BDS-Bewegungen gegen die Chinesen, Russen, Kubaner, Türken oder das Assad-Regime?
Nur die Palästinenser, nur Israel? Warum? Nicht, weil die Palästinenser stärker unterdrückt würden als diese oder jene Gruppe.
Ausschliesslich weil ihre angeblichen Unterdrücker Juden und der Nationalstaat der Juden sind. Würde es Demonstrationen und BDS-Kampagnen im Namen der Palästinenser geben, wenn sie von Jordanien oder Ägypten unterdrückt würden?
Oh, Moment! Die Palästinenser wurden von Ägypten und Jordanien unterdrückt. Gaza war zwischen 1948 und 1967, als Ägypten die Besatzungsmacht war, ein Freiluftgefängnis. Und erinnern Sie sich an den Schwarzen September, als Jordanien mehr Palästinenser tötete als Israel in einem ganzen Jahrhundert? Ich erinnere mich an keine Demonstrations- oder BDS-Kampagnen – weil es keine gab.
Wenn Araber Araber besetzen oder Araber töten, hört man von den Europäern ein knappe Räuspern, mehr nicht. Aber als Israel in Maale Adumim eine Fabrik für Soda-Maschinen eröffnete, wovon selbst die palästinensische Führung anerkennt, dass es bei jedem Friedensabkommen Teil Israels bleiben wird, trennt sich Oxfam von Scarlett Johansson, weil sie für eine Sodamaschinenfirma wirbt, die Hunderte von Palästinensern beschäftigt.
Vergessen Sie nicht, dass Oxfam zwei antiisraelischen Terrorgruppen „Hilfe und materielle Unterstützung“ gewährt hat, laut dem israelischen Law Center mit Sitz in Tel Aviv.
Die Heuchelei so vieler hart-linker Westeuropäer wäre erschütternd, wenn sie nicht aufgrund der schmutzigen Geschichte der Behandlung der Juden in Westeuropa so vorhersehbar wäre.
Selbst England, das auf der richtigen Seite des Krieges gegen den Nationalsozialismus stand, hat eine lange Geschichte von Antisemitismus, beginnend mit der Vertreibung der Juden im Jahr 1290 bis hin zum notorischen Weißbuch von 1939, das die Juden Europas daran hinderte, im britisch-mandatierten Palästina Asyl von den Nazis zu suchen. Und Irland, das im Krieg gegen Hitler schwankte, verfügt über einige der virulentesten anti-israelischen Rhetoriken.
Die einfache Realität ist, dass man den gegenwärtigen westeuropäischen linken Krieg gegen den Nationalstaat des jüdischen Volkes nicht verstehen kann, ohne zuerst den langfristigen europäischen Krieg gegen das jüdische Volk an sich anzuerkennen.
Theodor Herzl verstand die Durchdringung und Irrationalität des europäischen Antisemitismus, was ihn zum Schluss führte, dass die einzige Lösung für das jüdische Problem Europas darin bestand, dass die europäischen Juden diese Bastion des Judenhasses verlassen und in ihre ursprüngliche Heimat, den heutigen Staat Israel, zurückkehren.
Nichts davon soll dazu dienen, die Unvollkommenheiten Israels oder die Kritik, die es zu Recht für einige seiner politischen Vorgehensweisen verdient, zu leugnen. Doch diese Unvollkommenheiten und verdienten Kritiken können nicht einmal ansatzweise den unverhältnismäßigen Hass gegen den einzigen Nationalstaat des jüdischen Volkes und das unverhältnismäßige Schweigen über die weitaus größeren Unvollkommenheiten und die verdienten Kritiken an anderen Nationen und Gruppen einschließlich der Palästinenser erklären, geschweige denn rechtfertigen.
Dies soll auch nicht dazu dienen, zu verneinen, dass sich viele westeuropäische Individuen und einige westeuropäische Länder geweigert haben, dem Hass gegen die Juden oder ihren Staat zu erliegen. Man denke nur an die Tschechische Republik. Aber viel zu viele Westeuropäer sind in ihrem Hass auf Israel genauso irrational wie ihre Vorfahren in ihrem Hass auf ihre jüdischen Nachbarn.
Wie der Autor Amos Oz einst treffend bemerkte: Die Mauern des Europas seiner Großeltern waren mit Graffiti bedeckt, die lautete: „Juden, geht nach Palästina“. Jetzt sagen sie: „Juden, verschwindet aus Palästina“ – womit Israel gemeint ist.
Wem wollen diese westeuropäischen Eiferer eigentlich etwas vormachen? Nur Narren, die sich täuschen lassen wollen, um zu leugnen, dass sie neue Variationen der alten Vorurteile ihrer Großeltern manifestieren.
Jeder objektive Mensch mit einem offenen Geist, offenen Augen und einem offenen Herzen wird erkennen, wie die Doppelmoral gegenüber dem Nationalstaat des jüdischen Volkes angewendet wird. Viele von ihnen sind die Enkelkinder derer, die in den 1930er und 1940er Jahren mit tödlichem zweierlei Maß an den Juden Europas gemessen haben. Sie sollten sich schämen, wenn sie sich selbst im Spiegel der Moral sehen und ihre eigene Bigotterie anerkennen.
Alan M. Dershowitz ist Felix Frankfurter Professor für Jurisprudenz Emeritus an der Harvard Law School und Autor von The Case Against the Democrats Impeaching Trump, Skyhorse Publishing, 2018. Er ist ein angesehener Senior Fellow am Gatestone Institute.
Dieser Artikel erschien ursprünglich am 21. Juli 2014 in der Jerusalem Post und wird hier mit freundlicher Genehmigung des Autors abgedruckt.
Erstveröffentlichung hier. Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des Gatestone Instituts.