Website-Icon Politisches & Wissenswertes

Regierung sucht Volk

Man sollte es nicht beschreien, denn in Berlin bleibt manches unvollendet, aber: Nur sechs Monate nach der Wahl könnte es — falls nicht wieder irgendwas dazwischen kommt — tatsächlich bald eine gewählte (und nicht nur im Amt verbliebene) Regierung geben. Ich schreibe bewusst nicht „neue“, denn das ist sie bis auf personelle Nuancen natürlich nicht. Problem dabei: Inzwischen haben viele Bürger gemerkt, dass sie sich verwählt haben. Das letzte Kabinett Merkel vertritt schon nicht mehr die Mehrheit der Wähler, bevor es überhaupt vollzählig angetreten ist.

Es war eine Katastrophe mit Ansage und wird niemanden (außerhalb der SPD-Führung) überraschen. Nach der aktuellen INSA-Umfrage vom Montag (5. März 2018) ist die SPD nach ihrem unheiligen „Ja, ich will“ zur GroKo auf 15 % abgerutscht. [1] Das ist ein sportlicher Abgang um 5,5 % verglichen mit dem Wahlergebnis vom September 2017. Ein knappes Jahr zuvor kam die SPD am 3. April 2017, der Konsistenz halber ebenfalls bei INSA geschaut, auf passable 32,5 %. Seit diesem Höchststand hat sich ihr Zuspruch in der Wählergunst mehr als halbiert. Wenn das kein guter Grund ist, das Blaulicht und Martinshorn anzuwerfen, was ist dann überhaupt einer?

Natürlich kommt es noch schlimmer (oder, je nach Blickwinkel, besser). Die Union hat sich seit der Wahl um 0,1 % auf 33 % verbessert. Schöne runde Zahlen. Jetzt rechnen wir die mal zusammen: 15 % + 33 % = 48 %. Hm. Das sieht nicht nach einer Mehrheit aus. Wenn ich mich recht erinnere, hatten 52 % der Briten beim „BreXit“-Referendum für den EU-Austritt Großbritanniens gestimmt — vorauf hin die unterlegenen 48 % seither nicht mehr aufhören zu quengeln, dass man doch noch mal abstimmen sollte, weil es ja „eh so knapp“ war und nur knapp die Hälfte der Bürger dafür war. Eifrig beklatscht wurde und wird dieses unwürdige Schauspiel von unseren politischen Eliten.

Nach dieser Logik müsste man also auch in Deutschland neu wählen, weil es nicht nur bei der Wahl mit Hängen und Würgen gerade so gereicht hat (53,4 % für Union + SPD), sondern de facto inzwischen 52 % die kommende Regierung gar nicht mehr unterstützen. Übrig bleiben, wenn man solchen Humor mag, zufällig auch wieder 48 % im „Weiter so!“-Lager. Ob das eine Art bisher unbekannte Naturkonstante für Blindflieger ist oder nur ein seltsamer Zufall, kann ich nicht beurteilen. Aus naheliegenden Gründen verzichten diese 48 % allerdings darauf, lautstark eine Neuwahl zu fordern. Das muss jetzt freilich die 52 % nicht davon abhalten, es zu tun. Nur mal so als Idee.

Sollten sie es tun? Schwer zu sagen. Vielleicht sollte man dazu erst mal schauen, was dabei alles (nicht) passieren kann: Beispielsweise Rot-Rot-Grün. Ausgehend von den INSA-Werten käme diese Koalition dank der sterbenden SPD gerade mal auf 39 %. Weit entfernt von einer Mehrheit. Schwarz-Gelb (43 %) und Schwarz-Grün (45 %) würden dieses Ziel ebenfalls verfehlen. Einzig Jamaika, also Union + Grüne + FPD könnte mit 55 % eine knappe Mehrheit erreichen. Allerdings auch nur, wenn diese Parteien nicht für diese Konstellation antreten. Fällt also auch aus. Der Fairness halbe sollte man erwählen… pardon, erwähnen, dass es für Schwarz-Blau derzeit ebenfalls nicht reicht, ABER, und das ist jetzt lustig: Diese Koalition käme aktuell mit 48 % auf den selben Wert wie die GroKo.

Gemeinsam mit der FPD ließe sich sogar eine schon komfortablere Mehrheit von 58 % generieren. Von dort ist es nicht mehr weit bis zu zwei Dritteln. Will das jemand? Himmel, nein! Selbst wenn die Ausgrenzungsreflexe gegenüber der AfD schwächer werden (und das werden sie irgendwann, wie man am Beispiel der Grünen oder der SED-Nachfolgepartei studieren kann), könnte sie dabei momentan nur verlieren. Sollten sich CDU und CSU von ihren Altlasten befreien und wieder von links kommend der Mitte annähern, könnte man darüber nachdenken. Wo genau in diesem Bild noch Platz für eine FDP ist, weiß vermutlich nur sie selbst. Mit zunehmender Etablierung der AfD gehen ihr genau die sechs oder sieben Prozent liberal-konservativen Wähler verloren, mit deren Hilfe sie sich in den Bundestag gemogelt hat.

Bleibt als Fazit: Die kommende „Große Koalition“ ist bereits jetzt eine Minderheitsregierung, auch wenn sich das im Parlament noch nicht abbildet. Die SPD schmiert weiter ab, und da ist noch eine Menge Luft nach unten. „Rot-Rot-Grün“ wird man voraussichtlich außerhalb von Extremisten-Hochburgen wie Berlin nicht mehr als drohende Regierungsoption sehen, sondern bestenfalls als gemeinsame Liste, um noch mal in volksparteiähnliche Größenordnungen in der Nähe von 30 % vorzustoßen. Zukunft hat dieses Modell keine. Spätestens nach den Wahlen in Österreich und Italien sollte klar sein, unter welchen Vorzeichen Deutschland in Europa zukünftig nicht komplett isoliert wird.

[1] http://www.wahlrecht.de/umfragen/insa.htm

Die mobile Version verlassen