Experten sind skeptisch
Es herrscht eine geradezu beklemmende Stille in der ehemaligen 11-Seelen-Gemeinde Wiedenborstel (Schleswig-Holstein). Während sich die gut zwei Dutzend geladenen Reporter gedämpft unterhalten, pirscht sich die vom Verteidigungsministerium nur vage angekündigte „Sensation, die den Russen mindestens zehn Jahre voraus“ sein soll, unbemerkt an die Pressevertreter heran. Wie aus dem Nichts taucht plötzlich dieses beeindruckende Fahrzeug auf! Es ist eine gelungene Machtdemonstration, die allen zeigt: Deutschland hat seine Hausaufgaben sehr wohl gemacht. Hier steht ein Stück Zukunft!
Äußerlich, vom zeitgemäßen Tarn-Anstrich einmal abgesehen, unterscheidet sich der flüsterleise Prototyp mit dem unauffälligen Namen „Luise“ kaum vom seit 1979 in Serie gefertigten Vorgänger Leopard 2. Doch der erste Eindruck täuscht: „Wir geben hier die militärischen Trends der nächsten zehn, vielleicht zwanzig Jahre vor“, erzählt von der Leyen selbstbewusst. So seien nicht nur modernste Materialien verbaut, sondern auch die „speziellen Anforderungen des 21. Jahrhunderts“ berücksichtigt worden.
„Emissionsfreiheit, beispielsweise, hatte eine hohe Priorität“, erläutert die Ministerin knapp. Sowohl bei den Schadstoffen, als auch im Hinblick auf eine mögliche Lärmbelästigung. „Sie riechen ihn nicht, keine Stickoxide, kein Feinstaub, gar nichts. Angenehmer Nebeneffekt: Sie hören ihn auch nicht kommen!“ Bisher galt unter führenden Rüstungsexperten als äußerst umstritten, ob es möglich sei, ein über 60 Tonnen schweres Kettenfahrzeug nahezu geräuschlos zu konstruieren.
Der Panzer von übermorgen
Man habe sich auch ganz bewusst für den „Versionssprung“ entschieden, um so die technologische Führungsrolle zu unterstreichen. Die aktuell modernsten, teilweise noch in der Entwicklung befindlichen Panzer werden zur vierten Generation gerechnet. Sie sehen angesichts der neue Konkurrenz bereits jetzt alt aus. „Unser Anliegen war, das Konzept Panzer von Grund auf neu zu denken, alte Pfade zu verlassen, also Kettenspuren, ha ha, Sie verstehen schon. Ketten! Panzer. Egal.“ Zunehmend nervös drückt die Ministerin auf einer Fernbedienung herum und schaut sich hilfesuchend um. „Kann mal jemand, bitte…?“
Zu oft stünde die Technik im Mittelpunkt, wo es doch eigentlich um den Menschen gehen sollte, dem sie dient, erläutert von der Leyen, während mehrere Soldaten hektisch versuchen, die Kommandantenluke zu öffnen. „Also mal angenommen, Sie sind weit weg von zu Hause, wildfremde Menschen schießen auf Sie, da stellt sich doch vor allem eine Frage: Wie fühlen Sie sich dabei?“ — „Scheiße!“, brüllt einer der Soldaten vom Panzer, verstummt aber sofort beim strengen Blick seiner „Chefin“.
„Wir haben folglich sehr viel Wert auf die Innenausstattung gelegt. Dafür mussten einige alte Zöpfe abgeschnitten werden. Aber es hat sich gelohnt. Kann ich…?“ Fragt die Ministerin, an ihre Untergebenen gewandt. „Klemmt!“, kommt eine gereizte Antwort vom Panzer. „Gut gut, das macht überhaupt nichts. Da wir den Einstieg schwangerentauglich neu entworfen haben, gibt es da noch ein, zwei kleinere Problemchen. Wir nehmen einfach die Rollstuhlrampe.“
Deeskalation statt Konfrontation
Schnell wird klar, dass die deutschen Ingenieure hier wirklich Neuland betreten haben. Leise surrend senkt sich die vollständig recyclebare Frontpartie aus Komposit-Inklusions-Kunststoff herab, dort, wo bisherige Panzer normalerweise am stärksten… was auch immer, und gibt den Blick auf seine Eingeweide preis. Das Fahrzeug wirkt auf den ersten Blick von innen deutlich geräumiger, als man vermuten würde. „Mikrowelle, Wickeltisch, ein Wellness-Bereich, Großbild-TV mit Playstation, Jogamatte, zwei Telefone, begehbarer Kleiderschrank, W-LAN, jeder Panzer hat seinen eigenen Twitter-Account und–“
Sichtlich erschrocken wird die Ministerin unterbrochen und sofort von den Journalisten mit Fragen bestürmt. Ja, vom Konzept des Richt- und Ladeschützen habe man sich schweren Herzens verabschiedet, um Platz zu schaffen, aber nicht nur: „Es geht hier ja schließlich nicht darum, patriarchalische Konfliktstrukturen zu festigen.“ Man habe daher die Prioritäten anders setzen wollen. „Auf Gewalt mit Gegengewalt zu antworten, das kann doch unmöglich die Lösung sein!“
Stattdessen sei jeder Panzer mit einem einmalig verwendbaren 120-mm-Glattrohr-Pfefferspraywerfer ausgestattet, der allerdings nur im äußersten Notfall gegen Menschen eingesetzt werfen dürfe. „Technisch und rechtlich gesehen handelt es sich genau genommen um ein recht großes Tierabwehrgerät“, erläutert von der Leyen lächelnd. „Wir könnten damit also auch den zivilen Markt bedienen.“ Die Nachfrage dafür sei aus unerfindlichen Gründen sehr hoch, ergänzt die Ministerin, ohne auf nähere Details einzugehen.
Modernste Defensivtechnik
„Das ist, wie gesagt, nur für den Notfall. Wir setzen vor allem auf Abschreckung und Deeskalation!“ So wurde beispielsweise die übliche Panzerung durch großflächige LED-Displays ersetzt, die anderen Gefechtsteilnehmern in über 6.500 Sprachen nützliche Hinweise wie „Eine Rohrlänge Abstand, bitte!“ anzeigen sollen. Dieser Aspekt habe über die Hälfte der auf 479 Milliarden Euro geschätzten Entwicklungskosten verschlungen. „Versuchen Sie mal, sowas in Altaramäisch oder mit Hieroglyphen genderneutral zu formulieren!“, lächelt von der Leyen.
Die Ministerin ist sichtlich zufrieden mit ihrem neusten „Baby“. Sollten unvernünftige Kombattanten die freundlichen Hinweise ignorieren, könne man aber auch anders. So habe beispielsweise jeder Panzer eine hydraulische Vorrichtung am Unterboden, die ihn bei Beschuss automatisch auf die Seite kippen und somit „Unentschieden?“ signalisieren könne. Zudem werde das Fahrzeug sofort in eine Nebelwand aus zerstäubtem Einhornhodenkonzentrat gehüllt und ein 120 Dezibel lauter Warnton aktiviert. „Die Nummer der Polizei ist auch eingespeichert. Auf der Eins, oder so.“
Soweit solle es nach Möglichkeit aber gar nicht erst kommen. Vorrangig sei die Bewältigung des Konfliktes durch eine sachliche Debatte. Uneinsichtige Gegner könnten auch durch einen Anruf beim Arbeitgeber als Nazis denunziert werden. Daher müssten alle Panzerfahrer_innen einen dreijährigen Grundkurs in Achtsamkeitstraining, Cybermobbing und Feng Shui absolvieren, um sich für den Gefechtseinsatz zu qualifizieren. Für ehemalige Antifa-Mitglieder*innen, Menschen ohne Deutschkenntnisse oder sonstige Behinderte sei auch ein zweitägiges Wochenend-Seminar vorstellbar. „Hauptsache, alle fühlen sich wohl hier.“
Alles klar, Mädels?
„Huhu! Und, fühlt ihr euch wohl?“, strahlt die Ministerin in den Panzer. „Huhu“, winken zwei strahlenden Soldaten zurück. „Das sind Fatima und Ingo!“ — „Inge!“, brummt ein Bass aus dem Turm. „Inge, wie dem auch sei, die Besten des Jahrgangs. Sozusagen das Aushängeschild der neuen Wehr!“ — „Wer?“, fragen mehrere Medienvertreter gleichzeitig. „Die Wehr“, erläutert von der Leyen geduldig. Das „Bundes“ habe man in Abstimmung mit der Kanzlerin gestrichen, um sich von nationalistischen Tendenzen klar zu distanzieren. „Es könnte sonst der Eindruck entstehen, dass wir irgendein bestimmtes Land bevorzugen, und dann würden sich natürlich andere ausgegrenzt fühlen.“ So entstünden Konflikte.
Vor allem seien bei der Ausbildung auch die neuen Konzepte der Inneren Verführung erfolgreich angewandt worden. So gäbe es beispielsweise keine Dienstgrade mehr, durch die sich jemand benachteiligt fühlen könnte. Man müsse endlich einen Schlussstrich unter diesen „Wehrmachts-Ballast und so“ ziehen. Grundsätzlich würde jede Anregung, die irgendjemand irgendjemandem aus irgendeinem Grund irgendwo irgendwann unterbreitet, so lange ausdiskutiert, bis einer keine Lust mehr hat oder die neuste Folge der Lieblingsserie auf Netflix verfügbar ist…
Update 05:26 Uhr. Leider kam es während dieser beeindruckenden Präsentation zu einer Störaktion angeblich „besorgter Wiedenborsteler Bürger“, die Hassparolen rufend die Ministerin beschuldigten, einige ihrer Angehörigen mittels eines „geräuschlosen Fahrzeugs hinterrücks überfahren“ zu haben. Von der Leyen wies diese offensichtlich haltlosen Anschuldigungen aufs Schärfste zurück; hinter der Aktion stecke die AfD oder Putin. Sie werde sich aber dafür einsetzen, im nächsten Bundeshaushalt die Kosten für eine Kommission einplanen zu lassen, die dann in einem mehrjährigen Schnellverfahren die Möglichkeit der Nachrüstung von Brumm- und Rasselgeräuschen prüfen könne.
Update 05:44 Uhr. Offenbar ist die streng geheime neue Antriebstechnik des Prototypen noch nicht marktreif. Man vertraue darauf, dass bis zur Serienfertigung irgendjemand „ordentliche Akkus“ entwickeln werde, antwortete von der Leyen gereizt, um gleich darauf hysterisch „Kann mal jemand ADAC?!“ kreischend durch die Gegend zu rennen.
Update 05:45 Uhr. Aus bisher noch ungeklärter Ursache hat sich Luise auf die Seite gelegt. Eine technische Fehlfunktion könne nicht ausgeschlossen werden, eventuell habe auch nur jemand dagegen getr… *hust* was ist das für ein widerliches weißes *röchel* Gott, wer macht denn sowas! *hust* boooaah, das riecht streeeng…