Befremdlich: Die „Erklärung 2018“ unter Eigenbeschuss
Dass ein politisch nicht korrektes Aufbegehren Intellektueller die üblichen Verdächtigen schwer triggern würde, hat sicher niemanden überrascht. Und so setzt der erwartungsmäße Beißreflex nicht nur in der Stromlinienpresse ein, mal mit schauriger Musik unterlegt, mal nur neutrales Unverständnis heuchelnd (da muss dann natürlich „illegale Masseneinwanderung“ von Gänsefüßchen eingerahmt werden, ganz so, als ginge es hier um den „Klimawandel“ oder den „Osterhasen“). So weit, so wenig spannend. Aber warum heult nun ausgerechnet der Cicero mit den Wölfen?
„Die ‚Gemeinsame Erklärung 2018‘ hätte ein vielsprechendes Aufbegehren konservativer Intellektueller wie Uwe Tellkamp sein können. Doch die Chance auf eine überfällige Debatte wurde vertan“, schreibt Ernst Elitz. Warum das seiner Meinung nach so ist, dazu kommen wir noch. Zunächst holt er in völliger Verkennung von Ursache und Wirkung zum ersten Tiefschlag aus: „Das wäre glimpflich ausgegangen, hätte nicht Mitunterzeichnerin Vera Lengsfeld im Netz zur Massenunterzeichnung der Petition aufgerufen und würde sie seitdem nicht jeweils das nächste Tausend von Unterzeichnern mit öffentlichen Trompetenstößen begleiten.“ [1]
Nun, das ist schlicht falsch. Ich hatte das große Glück (und Privileg), noch mit namentlicher Nennung auf der Liste der „Zweitunterzeichner“ verewigt zu werden. Das hat nicht nur bei mir immense Freude ausgelöst, sondern auch in meinem näheren und weiteren Umfeld. Wer fände sich nicht gern in Gesellschaft illustrer Zeitgenossen auf einem zeithistorischen Dokument wieder, das einer künftigen Generation ein triumphierendes „Ich war aber im Widerstand!“ (ich übertreibe) unter die Nase reibt, wenn sie denn einst über uns richtet. Das hat genau genommen sogar Neid ausgelöst. Plötzlich wollte jeder unterzeichnen. Durfte aber nicht.
Den Initiatoren daraus einen Strick drehen zu wollen, dass sie dem folgenden Ansturm nachgegeben und die Liste letztlich „für alle“ geöffnet haben, finde ich sehr seltsam und kontraproduktiv. Weder ändert das etwas am Anliegen selbst, noch wird dadurch der „intellektuelle Anspruch“ geschmälert, wenn jetzt auch „einfache Menschen“ (wie ich das hasse!) ihre Unterstützung bekunden. Wir sind nun mal nicht nur ein Volk von Raketenwissenschaftlern, Ärzten und Ingenieuren (auch wenn sehr viele neue Bürger dazu berufen sind). Ich hatte als Außenstehende jedenfalls nicht den Eindruck, dass man hier auf Teufel komm raus möglichst viele Unterschriften zusammenkratzen will; eher im Gegenteil: Es ist einfach passiert.
Das gesagt und die schnoddrige Herablassung vom Elfenbeinturm ignorierend, kommen wir mal zu den gefühlten Bauchschmerzen des Herrn Elitz:
„Die ‚Gemeinsame Erklärung 2018‘ an sich ist fair, wenn auch nicht in jedem Falle korrekt. Die Erstunterzeichner sehen ‚mit wachsendem Befremden‘ wie Deutschland durch ‚illegale Masseneinwanderung beschädigt‘ wird und solidarisieren sich ‚mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird‘. Das hört sich erstens so an, als wäre es eine Rechtfertigungsschrift für die Etablierung von Seehofers Heimat-Ministerium samt bayerischer Grenzpolizei.“
Okay. Es war zwar nie die Absicht, fair zu sein, sonst wäre es die „Faire Erklärung 2018“, aber gut. Welcher Teil davon ist nicht korrekt? Und wenn Horst Seehofer nun versehentlich die verdammte Grenze dicht macht, dann kann ich damit auch leben. Die Chancen auf einen Lottogewinn sind definitiv höher.
„Das lässt zweitens die Frage offen: Wo sind eigentlich die friedlichen Demonstranten, denen die Unterzeichner ihre Solidarität aussprechen?“
In Cottbus. In Kandel. In Berlin. In Dresden, Hamburg, Erfurt, Mainz, Halle, Rostock, München, Greiz, Bottrop, Eisenach, Fürth, Rathenow, Hannover, Köln, Wien… Wem erzähle ich das eigentlich? Steht ja alles auf der Terminliste! [2] Da sind die. Auch existieren ausreichend Presseberichte und Videomaterial der Demonstrationen — es gibt sie wirklich.
„Und lässt drittens außer Acht, dass es inzwischen nun wirklich keine Massen mehr sind, die über die deutsche Grenze tröpfeln.“
Mal überlegen. Doch, sind es. Allein im Januar und Februar wurden knapp 9.000 illegale Grenzübertritte registriert. Aufs Jahr gerechnet sind das über 50.000 Fälle. Und das sind natürlich nur jene, die dabei erwischt wurden. [3] Die Dunkelziffer liegt bekanntlich höher. Es wäre fahrlässig, hier eine präzise Zahl anzugeben (sonst wäre es ja eine Hellziffer), aber „das Dreifache“ kann man getrost als sehr optimistische Untertreibung gelten lassen. Da wandert mindestens eine Großstadt pro Jahr illegal und ungehindert ein. Selbst wenn man dieser Schätzung nicht folgen wollte:
Insgesamt wurden im vergangenen Jahr über 180.000 Asylanträge neu gestellt. Da Deutschland an kein unsicheres Herkunftsland grenzt (Afghanistan mal außen vor), sind diese Menschen allesamt illegal „über die Grenze gekommen“. Nicht zwangsläufig bei Nacht und Nebel zu Fuß, aber dennoch. Dazu kommt offiziell noch der Familiennachzug, der gar nicht in diese Statistik eingeht, und dazu kommen weiterhin jede Menge „Neubürger“, die sich aus gutem Grund gar nicht erst um Asyl bemüht haben und „einfach so“ hier leben. Der größere Teil davon, muss man zugeben, stammt noch aus dem unbewältigten Ansturm 2015/2016, ist jetzt aber „halt auch da“. Immer noch.
Wer es einmal nach Deutschland geschafft hat, egal ob als „anerkannter“ Asylbewerber (wie das technisch gehen soll, ist mir bis auf wenige Einzelfälle bis heute ein Rätsel), als subsidiär Schutzbedürftiger, als sonst irgendwie Geduldeter oder eben „einfach nur so“, der bleibt in der Regel. „Freiwillige“ Ausreisen (mit Bestechungsgeld erkauft) gibt es wenige und die tatsächlich vollzogene Zahl der Abschiebungen ist derart gering, dass ich die paar Leute auch persönlich mit dem Auto nach Hause bringen könnte. Wenn sie nicht so… nun, emotional veranlagt wären. Das Problem „offene Grenze“ an einem nicht vorhandenen Zaun festzumachen, greift jedenfalls definitiv zu kurz.
„Die ‚Gemeinsame Erklärung‘ wäre irgendwo zwischen Feuilleton und Politikressort versandet, hätte nicht Vera Lengsfeld mit ihrer Aktion sie ins Reich der Like-Buttons und des allgemeinen Unterschriftenwesens befördert, wo nun wie bei der Mitglieder-Werbeaktion der SPD gegen die Große Koalition ein jeder voraussetzungslos mitmachen kann. Wurde bei der SPD sogar der Hund Lima ‚aufgenommen‘, so bittet Lengsfeld die neuen Unterzeichner immerhin um Angaben zu Beruf und akademischen Titeln.“
Was genau ist der Vorwurf? Dass die Erklärung nicht pflichtgemäß unter „Ferner liefen“ versandet ist? Dass Vera Lengsfeld keine Ausweis- und Gesinnungskontrollen durchführt (das macht der Bundestag bei seinen Petitionen übrigens auch nicht). Dass sie vermeintlich um die Stimmen von Hinz und Kunz bettelt? Letzteres traue ich mir zu, ausschließen zu können. Das dürfte sich nach meiner Beobachtung eher anders herum abgespielt haben. Die langen Gesichter, die anfangs nicht „mitmachen durften“, sehe ich noch bildlich vor mir.
„Damit erscheint das Ganze auf den ersten Blick wie ein großes Abiturtreffen, denn es wimmelt nur so von Doktores, Erfindern, Schriftstellern und Ganz- oder Halbakademikern, von kleinen und großen Gaulands etc. In die Unterzeichnerliste können Pegida, AfD und jede andere Sekte ihren Mitgliederstamm umstandslos hineinkopieren. Die Erklärung soll nun zu einer Petition für den Deutschen Bundestag werden. Bis in die Tagesthemen hat es Vera Lengsfeld mit der Erklärung 2018 nun gebracht.“
Ich versteh’s nicht. Worum geht es hier eigentlich? Vera Lengsfeld war in der Tagesschau (wusste ich nicht mal) und Ernst Elitz nicht? Ist es das? Oder doch nur der akademische Ekel vor dem gemeinen Pöbel, den Titellosen und Unstudierten? Und, oh Graus, am Ende könnten sogar AfD-Mitglieder, Pegida-Sympathisanten oder „andere Sekten“ Zustimmung signalisieren. Ernsthaft jetzt? Was soll der Quatsch? Von mir aus können da auch die gesamte Scientology-Kirche und der Zentralrat der Muslime unterschreiben!
„Wer ist die Frau, die Tellkamp dermaßen ins Unglück reitet?“
Ich hätte jetzt spontan auf Angela Merkel getippt, aber schauen wir mal…
„Keiner möchte mit ihr teilen. Ein Leben im Horror: Der Vater Stasi-Mann, sie Friedensaktivistin in der DDR, vom eigenen Mann bespitzelt, Jobverlust, Knast, Ausweisung. Dann die Aufbauzeit: Sie sitzt in der Verfassungskommission des Runden Tisches, erst für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, dann ihr Wechsel zur CDU. Die schickt sie im roten Biotop Friedrichshain-Kreuzberg gegen den unschlagbaren Grünen Ströbele ins Wahlkampfgefecht. Fieser geht’s nicht. Kein Wunder, wem das widerfährt, der wird sich allseits bedroht und verlassen fühlen und Freunde suchen, wo sie erst recht nicht zu finden sind. Lengsfeld ist nur noch bitter“
Ah, darum geht es. Ist das so eine Art Privatfehde? Ich kenne Vera Lengsfeld nicht persönlich, hatte aber bisher nicht den Eindruck, dass sie auf der verzweifelten Suche nach Freunden ist. Ihre Artikel werden geschätzt, sie ist eine angesehene Persönlichkeit mit einem interessanten Lebenslauf und (Gott sei Dank!) am Ende doch auf der richtigen Seite der Geschichte gelandet. Ich habe da aber so einen Verdacht, wer stattdessen „bitter“ und auf der panischen Suche nach Aufmerksamkeit sein könnte. Vielleicht ein ehemaliger Deutschlandradio-Intendant und Spiegel-Redakteur? Man weiß es nicht.
„Jenseits des Digitaluniversums entlud sich der Geist der ‚Gemeinsamen Erklärung 2018‘ schon auf einer Demo in Hamburg, wo Erstunterzeichner Matussek ganz im Sinne von Lengsfeld einen Sprechchor intonierte: ‚Merkel muss weg!‘.“
Der Verdacht erhärtet sich. Was soll Matthias Matussek denn sonst fordern? Merkel muss halt weg. Um das zu erkennen, muss man nicht mal studieren. Das ist keine Erfindung von Vera Lengsfeld. Es würde sogar dann noch stimmen, wenn es Merkel selbst fordern würde.
„Sehr zum Vergnügen von Führern der sogenannten Identitären Bewegung, die sich am Rande im Fäustchen lachten über die nicht bestellte Reklame.“
Die Identitäre Bewegung hat keine „Führer“ (was für ein lustiges Wortspiel, selbst drauf gekommen?), heißt aber tatsächlich so. Es gehört schon einiges Ungeschick dazu, noch dümmer als ein Verfassungsschutzbericht zu klingen, aber Glückwunsch. Hat funktioniert. Der Slogan der Identitären Bewegung ist übrigens nicht „Merkel muss weg“, sondern „Heimat, Freiheit, Tradition“. Irgendwas in der Art. Kann man sich ja mal merken.
„Kurzum, Tellkamp, der als befremdeter Bürger zu Bett ging, wacht am nächsten Morgen zwar nicht als Käfer wie Gregor Samsa, aber dafür neben Lutz Bachmann auf.“
Na, da haben wir aber einen schönen homoerotischen Schlenker hingelegt. Was haben nun all diese Namen und Organisationen gemein? Uwe Tellkamp, Vera Lengsfeld, Matthias Matussek, Lutz Bachmann, Alexander Gauland, die AfD, Pegida, die Identitäre Bewegung, sogar Gregor Samsa. Wer weiß es, wer kommt darauf? Die kenne ich alle! Wen ich bisher nicht kannte, und vermutlich auch sonst kaum jemand, und wer mir aber negativ in Erinnerung bleiben wird, das ist Ernst Elitz. Wenn das der Zweck der Übung war, dann war sie erfolgreich.
Was danach folgt, ist nur noch abermals die unbewiesene These, dass die Erklärung „im Getümmel wutschnaubender Mitbürger“ gelandet und der Petition damit „jedes Gewicht genommen“ worden sei. Warum sollte das so sein? Und überhaupt, eine Petition bekommt nur durch möglichst viele Unterzeichner überhaupt Gewicht. Egal ob sie mit oder ohne Doktortitel schnauben. Also das ist ein bisschen arg dürftig für jemanden, der sich selbst für einen wichtigen Intellektuellen zu halten scheint. Außer persönlichen Animositäten, Ekel vor dem gemeinen Bürger, „alternativen Fakten“ und halbgarem Geschwurbel kommt da offenbar nichts. Bin ich gewohnt. Aber nicht im Cicero.
P.S. https://www.erklaerung2018.de/mitmachen.html
[1] https://www.cicero.de/erklaerung-2018-unterzeichner-unterschreiben-vera-lengsfeld-uwe-tellkamp-identitaere-bewegung
[2] https://dunkeldeutschland.blog-net.ch/2018/03/31/wer-ist-jetzt-das-volk-demotermine-fuer-anfang-april/
[3] https://www.focus.de/politik/videos/deutschland-9000-illegale-einwanderer-legen-zwei-besorgniserregende-trends-offen_id_6821767.html