Der islamische Handel mit europäischen Sklaven
Emmet Scott, Dezember 2016, New English Review
Es gehört zum Allgemeinwissen, dass arabische und muslimische Sklavenhändler über tausend Jahre lang eine enorme Zahl von Männern, Frauen und Kindern aus Afrika südlich der Sahara gefangen nahmen. Weniger bekannt ist, dass sie ebenso viele Menschen aus Europa genommen haben. Wie in Afrika begann auch in Europa der arabische Sklavenhandel im siebten Jahrhundert – kurz nach dem Aufstieg des Islams – und ging praktisch ohne Unterbrechung bis in die moderne Zeit weiter.
Die moderne westliche Kultur mit ihrem anglozentrischen Weltbild beschäftigt sich fast zwanghaft mit dem europäischen Handel mit afrikanischen Sklaven, einem Handel, der Ende des 15. Jahrhunderts begann und Mitte des 19. Jahrhunderts endete, weiss aber anscheinend wenig über den ebenso intensiven muslimischen Handel mit europäischen Sklaven in derselben Epoche. Das ist etwas seltsam, wenn man bedenkt, dass die Europäer, die von den Muslimen zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert versklavt wurden, im Allgemeinen entsetzlich behandelt wurden, und der Handel langfristige und verheerende Auswirkungen auf weite Teile des Kontinents hatte.
Wie bereits erwähnt, begann die muslimische Verklavung von Europäern fast unmittelbar nach der Ankunft des Islams auf der Weltbühne. Diese frühen Sklavenangriffe hatten eine immense Auswirkung auf die europäische Zivilisation und, wie ich in Mohammed and Charlemagne Revisited ziemlich detailliert argumentiere, verwandelten sie das gesamte Mittelmeer in eine Kriegszone, brachen die Einheit der östlichen und westlichen Zweige der römischen Zivilisation und des Christentums im Allgemeinen auf und formierten im Wesentlichen die mittelalterliche Welt. Mit dem christlichen Gegenangriff, der im elften Jahrhundert mit der Reconquista in Spanien und den Kreuzzügen begann, ließ der moslemische Sklavenhandel etwas nach, obwohl er nie wirklich endete. Doch in der Folge des Aufstiegs des Osmanischen Türkischen Reiches im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert war der Islam wieder in der Offensive, und mit dieser erneuten Aggression einher kam eine gewaltige Ausweitung des Sklavenhandels.
Es ist unmöglich, präzise oder irgendwie zu sein, wenn man sich der Sache annähert und von der Zahl der Sklaven spricht, die in den fünf Jahrhunderten nach dem Aufstieg der osmanischen Macht aus Europa geholt wurden. Klar ist jedoch, dass drei Hauptbühnen des Sklavenhandels entstanden. Die erste und mit Abstand wichtigste davon befand sich in Südost- und Mitteleuropa, wo die osmanischen Armeen alljährlich Angriffe auf christliche Territorien verübten. Als sich die türkischen Armeen immer weiter nach Norden und Westen bewegten, eroberten und versklavten sie eine große Anzahl Europäer, von denen die überwiegende Mehrheit in Konstantinopel und Anatolien verkauft wurde. Die Überfälle auf christliche Territorien waren unaufhörlich, und wir hören, dass das Hauptziel der [osmanischen] Räuber die Gewinnung von Beute war. Die wichtigste Beute waren Menschen, die auf den Sklavenmärkten für einen hohen Preis verkauft werden konnten. Nach einem erfolgreichen Angriff wurden Tausende von Kriegsgefangenen auf die osmanischen Märkte getrieben. Ob Adel oder Fussvolk, alle wurden gleichermassen versklavt. (Eniko Csukovits, „Wunderbare Flucht aus der osmanischen Gefangenschaft“ in Geza David und Pal Foder (Hg.) Ransom Slavery along the Ottoman Borders (Early Fifteenth – Early Eighteenth Centuries) (Leiden u. a. Brill Academ), S. 5). Wie in anderen Teilen der Welt zogen die muslimischen Sklavenhändler junge Frauen und Jungen vor und boten diese zu den höchsten Preisen im türkischen Kernland an. Die meisten Jungen wurden kastriert und dienten als Eunuchen, während die Mädchen und Frauen für die Harems des osmanischen Adels bestimmt waren.
Man darf sich nicht vorstellen, wie es manche vielleicht tun, dass einmal erobertes christliches Territorium, das Tribut an die Osmanen zahlte, dann gegen die Aufmerksamkeit der Sklavenhändler immun war. Leider war dies nicht der Fall. Unter dem Scharia-Gesetz war die Stellung der Christen nie sicher, und christliche Mädchen wurden regelmäßig von muslimischen Räubern entführt und in die Harems von Konstantinopel und Anatolien verkauft. Die osmanische Politik war es, christliche Jungen in die Armee zu rekrutieren, und diese Jugendlichen bildeten den elitären Kern der Janitscharen. Aber sie wurden gewaltsam „rekrutiert“, im Wesentlichen aus ihren Familien entführt, die sie nie wiedersahen. Obwohl die Janitscharen eigentlich nicht als Sklaven bezeichnet werden können, waren sie doch Opfer von Entführung und gewaltsamer Bekehrung zu einem fremden Glauben. Wir sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass Rebellionen gegen die osmanische Herrschaft, in Europa oft vorkommend, immer wieder brutale Repressalien mit Massakern, Folter und Versklavung nach sich zogen, so dass die Gesamtzahl der von den Osmanen versklavten Europäer im Laufe der Jahrhunderte gewaltige Ausmaße annahm. Wie viele, das kann man nicht sagen, vor allem, weil es keine verlässlichen Aufzeichnungen gibt. Es steht jedoch außer Frage, dass die Zahl in die vielen Millionen gegangen ist, mit Schätzungen zwischen zehn und vierzig Millionen Menschen.
Die nächste wichtige Bühne des osmanischen Sklavenhandels war ein riesiger Teil Osteuropas, der die ganze moderne Ukraine einbezog und sich bis nach Moskau in Russland und zur litauisch-polnischen Grenze erstreckte. Ab Mitte des 14. Jahrhunderts wurden diese Territorien unaufhörlich von islamisierten Tataren der Krim (dem Krim-Khanat) und aus dem heutigen Kasachstan und Ostrussland (der Nogai-Horde) überfallen. Der schlimmste Überfall in Russland ereignete sich ab 1441, als die Krim, oder das Krim-Khanat (ein Königreich viel größer als die Krim-Halbinsel), unabhängig wurde. Laut dem Historiker Alan Fisher wurden bis zu drei Millionen slawische Bauern zwischen 1441 und 1774 von Tataren-Räubern versklavt, die auf der Krim operierten, als die Russen das Gebiet eroberten. (Alan Fisher, „Moskowy and the Black Sea Slave Trade“, Canadian American Slavic Studies, Band 6 (1972), S. 575-94) Fast alle wurden als Eunuchen, Haremsfrauen und Galeerensklaven ins Osmanische Reich verkauft. Diese Raubzüge, die unter den westlichen Völkern so gut wie unbekannt sind, werden von den Historikern als enorm wichtig für die Verzögerung der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung Russlands angesehen. Sie verhinderten die Ansiedlung und Besiedlung der ukrainischen Steppenländer, ein weitläufiges Gebiet, das schließlich zum Brotkorb Russlands werden sollte.
Die Sklavenüberfälle ereigneten sich auf jährlicher Basis, und das Lesen von zeitgenössischen Berichten über sie ist erschütternd. Betrachten wir zum Beispiel die Worte von S. Herberstein, Botschafter von Kaiser Karl V. in den 1520er Jahren, als er Mehmet Ghireys Sklavenjagd-Expedition von 1521 beschreibt:
Er nahm mit aus Moskau eine so große Menge von Gefangenen mit, die kaum als glaubhaft betrachtet werden konnte; sie sagen, dass die Zahl 800.000 überschritten habe, von denen er Kaffa zum Teil an die Türken verkaufte und zum Teil tötete. Die alten und bedürftigen Männer, die beim Verkauf nicht viel erzielen, werden den Tatarenjugendlichen übergeben, um entweder gesteinigt oder ins Meer geworfen zu werden, oder um durch irgendeine Art von Tod getötet zu werden, der ihnen gefällt.“
Mikhalon der Litauer schrieb um 1550 in seinem Buch :
Die Krimtataren haben viel mehr Sklaven als Vieh. Deshalb liefern sie sie auch in andere Länder. Von jenseits des Pontus und aus Asien kamen nacheinander viele Schiffe mit Waffen, Kleidung und Pferden zu ihnen und fuhren immer wieder mit Sklaven weg. … So sind diese Plünderer immer im Besitz nicht nur von Sklaven für den Handel mit anderen Menschen, sondern haben auch Sklaven für ihre eigenen Ländereien und zu Hause, um ihre Grausamkeit und Eigensinnigkeit zu befriedigen. Tatsächlich finden wir unter diesen Unglücklichen oft sehr starke Männer, die, wenn sie nicht kastriert sind, auf der Stirn oder auf der Wange gebrandmarkt werden und bei der Arbeit und nachts im Kerker gequält werden.
Um dieser unaufhörlichen Raubkatastrophe entgegenzuwirken wurden die Kosaken, berittene Bauernkrieger, ursprünglich gebildet; und tatsächlich bildeten die Kosaken über drei Jahrhunderte hinweg die Vorhut des Widerstandes gegen die Räuber.
Wie wir gesehen haben, schätzen Alan Fisher und andere Historiker, dass während der drei Jahrhunderte von Tatarenangriffen etwa drei Millionen slawische Bauern aus Russland, Polen und der Ukraine gefangen genommen und an die Osmanen verkauft wurden. Aber auch nach der russischen Eroberung der Krim durch Russland hörte der Handel mit den europäischen Christen aus dem Osten nicht auf; die osmanischen Sklavenhändler richteten ihre Aufmerksamkeit einfach weiter nach Süden, wo die alten christlichen Völker des Kaukasus, Georgier, Osseten, Tscherkessen und Armenier nun zu den Hauptobjekten ihrer räuberischen Aufmerksamkeit wurden. Aus dieser Region wurden zwischen dem siebzehnten und späten 19. Jahrhundert mindestens eine weitere Million Sklaven in die türkischen Kerngebiete transportiert.
Die dritte Bühne des osmanischen Sklavenhandels gegen Europa war die Mittelmeer- und Atlantikküste des Kontinents. Natürlich hatten muslimische Piraten Südeuropa seit dem siebten Jahrhundert kontinuierlich von Stützpunkten in Nordafrika aus überfallen, aber im sechzehnten Jahrhundert, als ganz Nordafrika unter die Oberhoheit des Osmanischen Reiches kam, entweder als direkt verwaltete Provinzen oder als autonome Abhängigkeitsgebiete, kam es zu einer Verschlechterung der Lage. Angeregt durch die Nachfrage nach weißhäutigen Sklaven im Osten intensivierten nordafrikanische Piraten ihre Aktivitäten, eroberten Tausende von Schiffen und machten innerhalb weniger Jahrzehnte lange Küstenabschnitte in Spanien und Italien nahezu unbewohnt. Es wird geschätzt, dass die Barbaresken-Piraten vom 16. bis zum 19. Jahrhundert irgendwo zwischen 800.000 und 1,25 Millionen Europäer gefangengenommen und versklavt haben. Ihre Raubzüge erstreckten sich über den gesamten Mittelmeerraum und manchmal sogar bis nach Südamerika. Gelegentlich stiessen sie auch bis weit in den Nordatlantik vor und nahmen Sklaven an den Küsten Frankreichs, der Niederlande, Großbritanniens, Irlands und sogar Islands. Aber ihre wichtigste Operationsbühne war das westliche Mittelmeer, wo Inseln wie Sizilien, Sardinien, Korsika und die Balearen schwer gelitten haben. Und ihre Überfälle richteten schwere Schäden an den Küstenstädten und -dörfern in Italien, Frankreich, Spanien und Portugal an.
Während diese Plünderungen bis ins frühe 19. Jahrhundert andauerten, gab es gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts eine kleine Besserung, als die europäischen Marinen regelmäßige Patrouillen des westlichen Mittelmeers begannen und Vergeltungsangriffe gegen die Hochburgen der Piraten in Nordafrika starteten. Jedoch litten Schiffe und Küsten christlicher Staaten ohne solch wirksamen Schutz weiterhin bis in die frühen Jahre des 19. Jahrhunderts, und erst nach den Napoleonischen Kriegen und dem Wiener Kongress 1814/15 einigten sich die europäischen Mächte auf Maßnahmen zur vollständigen Niederschlagung der Korsaren. Danach wurden von der britischen Marine mehrere Strafexpeditionen gegen Algier und Sale in Marokko verübt, die die Überfallfähigkeit der Sklavenhändler fast, aber nicht vollständig zerstörten. Dennoch war die Freibeuter-Tradition unter den Bewohnern der Region so tief verwurzelt, dass es schon damals bis zur französischen Eroberung von Algier 1830 gelegentlich zu weiteren Zwischenfällen kam.
Auf dem Höhepunkt ihrer Aktivitäten waren die Barbaresken-Staaten so mächtig, dass Nationen wie die Vereinigten Staaten von Amerika Tribut zollten, um ihre Angriffe abzuwehren.
Es ist wichtig, die Auswirkungen dieser Aktivitäten auf die Mittelmeeranrainer Europas zu berücksichtigen. Vor allem die Christen der Inseln – Sizilien, Sardinien, Korsika und die Balearen – mussten mit der immerwährenden Gefahr eines Überraschungsangriffs leben, und es besteht kein Zweifel daran, dass solche Umstände einen unauslöschlichen Eindruck hinterließen. Die paranoide Kultur der Fehden, Attentate und Vendettas, für die Sizilien und vor allem Korsika berühmt werden sollten, muss im Angesicht der andauernden Gewalttätigkeiten muslimischer Korsaren in diesen Ländern gesehen werden. Zum Vergleich: Man muss sich vorstellen, welche Auswirkungen die Wikingerangriffe auf die Völker der Britischen Inseln und Nordeuropas wahrscheinlich gehabt hätten, wenn sie tausend Jahre lang angehalten hätten. Und in diesem Zusammenhang ist es vielleicht erwähnenswert, dass das Wort „Mafia“ arabischen Ursprungs zu sein scheint.
Wie steht es also mit der Gesamtzahl an Europäern, die von den osmanischen Türken und ihren Verbündeten zwischen dem fünfzehnten und neunzehnten Jahrhundert versklavt wurden? Nach groben Schätzungen wurden von den Barbaresken-Piraten etwa 1 Million, von den Krimtataren aus Russland/Ukraine etwa 3 Millionen, von den Tataren und Türken aus dem Kaukasus etwa 1 Million und von den Osmanen selbst aus Mitteleuropa und dem Balkan etwa 10 Millionen (nach konservativsten Schätzungen) versklavt. Das sind insgesamt 15 Millionen Menschen – weit mehr als europäische Sklavenhändler in Afrika im selben Zeitraum. Doch das ist eine Tatsache, die in Westeuropa und Nordamerika kaum bekannt ist. Und die Bedingungen, unter denen europäische Gefangene im Osmanischen Reich zu leiden hatten, waren unendlich schlimmer als die der Afrikaner in Amerika. Letztere arbeiteten in der Regel auf Plantagen und hatten die Erlaubnis, ja wurden sogar ermutigt, zu heiraten und Familien zu gründen. Demgegenüber erlitten die Europäer im Dar al-Islam ein schreckliches Schicksal. Die körperlich gesunden Männer wurden in der Regel mit Brandzeichen versehen und zu endlosen, unermüdlichen Arbeitseinsätzen gezwungen, entweder als Galeerensklaven oder als Bergleute. Sie durften nicht heiraten und ihnen wurde jeder Anschein eines Familienlebens oder einer weiblichen Begleitung verwehrt. Junge Knaben wurden ausnahmslos kastriert – und vergewaltigt -, während Frauen in die Sexsklaverei des Harems überführt wurden.
Der große humanitäre Impuls zur Beendigung der Sklaverei vom späten achtzehnten Jahrhundert an, kam gänzlich aus dem christlichen Westen und sie wurde Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in den meisten christlichen Ländern vollständig ausgemerzt. Dass Sklaverei in den meisten muslimischen Territorien nicht mehr existiert (zumindest offiziell), ist ganz und gar den Bemühungen der westlichen Länder zu verdanken, und in der Tat widersetzten sich muslimische Gesellschaften im 19. und frühen 20. Jahrhundert energisch allen Versuchen der Europäer, den Sklavenhandel in Afrika zu beenden. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Sklaverei in den Golfstaaten und auf der arabischen Halbinsel endgültig abgeschafft – auf intensiven westlichen Druck. Ist es nicht an der Zeit, dass einige dieser Informationen an die Schüler und Studenten in unseren Schulen und Colleges weitergeleitet werden?
Emmet Scott ist Autor von Mohammed and Charlemagne Revisited: The History of a Controversy sowie von The Impact of Islam, beide publiziert bei der New English Review Press.
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