Bernard-Henri Lévy: Dinge, die wir nicht mehr hören wollen über die „Messerstecher-Intifada“
Bernard-Henry Lévy, 21.10.2015, The Algemeiner.com
Es tut weh, die Formulierung „Einzelkämpfer“ angewendet zu sehen auf die Handvoll – und vielleicht morgen das Dutzend und dann die Hundertschaft – der Judenmörder, von Tausenden von „Freunden“ „geliket“, gefolgt von zehntausenden von „Twitterern“ und verbunden zu einer Konstellation von Websites (wie das Al-Aqsa Media Center und seine der „dritten Jerusalem-Intifada“) gewidmeten Seite, die dieses blutige Ballett zumindest teilweise orchestrieren.
Genauso schmerzhaft ist es, den Refrain zu hören von den „palästinensischen Jugendlichen, die keiner Kontrolle mehr unterliegen“, nachdem man die Reihe von Predigten gesehen hat, die das Middle East Media Research Institute veröffentlichte, in denen Prediger aus dem Gazastreifen vor der Kamera, Dolch in der Hand, Anhänger aufrufen, auf die Strasse zu gehen, um so viele Juden zu verstümmeln, wie sie können, um so viel Schmerz wie möglich zu verursachen, und um die maximale Menge an Blut zu vergiessen; doppelt schmerzlich, diesen Refrain von Mahmoud Abbas selbst vor ein paar Wochen gehört zu haben, zu Beginn dieser tragischen Kette von Ereignissen, wie er die Ermordung der Henkins in Gegenwart ihrer Kinder als „heldenhaft“ beschreibt, und dann der Ausdruck der Empörung beim Anblick der „schmutzigen Füsse“ der Juden, die die Al-Aqsa-Moschee „schänden“ und zu erklären, „jeder Tropfen Blut,“ vergossen von „jedem Märtyrer“, der für Jerusalem stirbt, sei „rein“.
Nicht nur schmerzhaft und unerträglich, sondern auch nicht anwendbar, ist der konservierte Satz über „politische und soziale Verzweiflung“, der benutzt wird, um kriminelle Handlungen zu erklären – oder zu entschuldigen. Alles, was wir über die neuen Terroristen wissen, ihre Motive und den Stolz ihrer Angehörigen bei der Verwandlung, post-mortem, ihrer Kriminalität in Martyrium und Schande in Opferung, ist, ach, viel näher am Bild des Roboter-Dschihadisten, der gestern nach Kaschmir ausgezogen sein würde und heute in Syrien oder im Irak auftaucht.
Es ist sehr zweifelhaft, dass „Intifada“ der richtige Begriff ist, um ihn auf Handlungen, die mehr Ähnlichkeit mit dem neusten Teil eines weltweiten Jihads aufweisen, von denen Israel ist nur eine Stufe von vielen ist, anzuwenden.
Es ist zweifelhaft, dass gelehrte Abhandlungen über Besetzung, Kolonisierung und Netanyahu-eske Unnachgiebigkeit viel erklären können über eine Welle der Gewalt, die unter ihren bevorzugten Zielen Juden mit Schläfenlocken zählt – das heisst, die Juden, die am auffälligsten jüdisch sind, diejenigen, die ihre Mörder als das totale Ebenbild des Juden betrachten müssen, und die, nebenbei bemerkt, oft im Widerspruch zum jüdischen Staat stehen, wenn nicht sogar in offener Sezession von ihm.
Es ist zweifelhaft, dass genau die Frage des Staates, die Frage der zwei Staaten und damit die Frage nach einer verhandelten Teilung des Landes – die für die Moderaten auf beiden Seiten die einzige Frage ist, die zu stellen sich lohnt – etwas mit einer Feuersbrunst zu tun hat, in der Politik dem Fanatismus gewichen ist und den Theorien der grossen Verschwörung, eine, bei der einige entscheiden, zufällig auf andere, die zufällig vorbeigehen, einzustechen wegen eines vagen Gerüchtes, das von einem geheimen Plan berichtet, Muslimen den Zugang zur drittheiligsten Stätte des Islams zu verwehren.
Es ist mit anderen Worten zweifelhaft, dass der palästinensischen Sache in irgendeiner Weise geholfen wird durch die extremistische Wendung. Auf der anderen Seite ist es absolut sicher, dass diese Sache durch sie alles zu verlieren hat , dass die vernünftigen Köpfe innerhalb der Bewegung diejenigen sein werden, die von der Welle geplättet werden, und dass die letzten Verfechter von Kompromissen, zusammen mit dem, was vom Friedenslager in Israel übrig bleibt, einen hohen Preis bezahlen werden für die rücksichtslose Verurteilung der Imame von Rafah und Khan Younis.
Unerträglich und nicht anwendbar ist auch das Klischee des „Zyklus“ oder der „Spirale“ der Gewalt, die, indem sie die Kamikaze-Mörder und ihre Opfer auf eine Stufe stellt, Verwirrung sät und auf eine Aufstachelung zu weiteren Aktionen hinausläuft.
Unerträglich aus dem gleichen Grund sind die rhetorischen Appelle „zur Zurückhaltung“ und unaufrichtige Klagen „nicht die Strasse zu entflammen“, die, wie bei der „Spirale der Gewalt“, die Reihenfolge der Kausalität umkehren, indem suggeriert wird, dass ein Soldat, Polizist oder Zivilist, wenn er in Notwehr handelt, etwas Falsches getan hat, vergleichbar mit jemandem, der nach dem Austeilen von so viel Terror wie möglich zu sterben gewählt hat.
Seltsam in der Tat, wie lau die Verurteilungen der Messerstechereien auf unschuldige Passanten und das Rammen von Bushaltestellen sind – Verurteilungen, von denen ich denken muss, dass sie weniger halbherzig wären, wenn die Taten auf den Strassen von Washington, Paris oder London stattgefunden hätten.
Mehr als seltsam – bedenklich – ist der Unterschied im Ton zwischen der zweideutigen Reaktion auf die jüngsten Tötungen und dem einstimmigen und unmissverständlichen internationalen Ausguss der Emotion und der Solidarität, den der tödliche Axtangriff auf einen Soldaten auf einer Londoner Strasse am 22. Mai 2013 ausgelöst hatte, ein Szenario, das nicht sehr verschieden war von jenen, die sich heute in Jerusalem und Tel Aviv entfalten.
Unerträglich, noch einmal, dass die meisten der grossen Medien den trauernden israelischen Familien nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit geschenkt haben, die sie den Familien der Täter zukommen lassen.
Unerträglich schliesslich die kleine Mythologie, die um diese Geschichte von Dolchen herum heranwächst: Die Waffe der Armen? Wirklich? Die Waffe, die man benutzt, weil sie in Reichweite ist und man keine andere hat? Wenn ich diese Klingen sehe, dann denke ich an diejenige, die bei der Exekution von Daniel Pearl benutzt worden war; Ich denke an die Enthauptungen von Hervé Gourdel, James Foley und David Haines; Ich denke, dass die Videos des Islamischen Staates eindeutig eine Anhängerschaft gewonnen haben, und dass wir an der Schwelle zu einer Form der Barbarei stehen, die bedingungslos verurteilt werden muss, wenn wir nicht zusehen wollen, wie ihre Methoden überall hin exportiert werden. Und ich meine überall.
Bernard-Henri Lévy ist einer von Frankreichs berühmtesten Philosophen, ein Journalist und Bestseller-Autor. Er gilt als einer der Gründer der New Philosophy Bewegung und ist ein führender Denker in religiösen Fragen, Völkermord und internationalen Angelegenheiten. Sein Buch von 2013, Les Aventures de la vérité-Peinture et philosophie: un récit, erforscht das historische Zusammenspiel von Philosophie und Kunst. Sein neues Stück „Hotel Europa,“ das in Sarajevo am 27. Juni 2014 uraufgeführt wurde und in Paris am 9. September, ist ein Alarmruf über die Krise des europäischen Projekts und den Traum dahinter.
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