ISIS: Der schwarze Krake
Mit grossen Ölreserven, gut organisierten Regierungsinstitutionen und Partnern aus Nigeria bis China will der Islamische Staat sich ausweiten und mehr Terror im Westen verbreiten.
Alex Fishman, 20.11.2015, Ynetnews.com
Sicherheitskräfte in Europa sind in einem Zustand der Hysterie. Seit dem 13. November, dem Schwarzen Freitag von Paris, weist mehr und mehr neue Geheimdienstinformation auf die Tatsache hin, dass die Angriffe jenes Abends nur ein Teil eines viel grösseren Bildes sein sollten, das die al-Qaida Anschläge vom 11. September im Vergleich dazu als geradezu mild erscheinen liesse.
Der ursprüngliche Plan des Islamischen Staates war, eine Reihe von Terroranschlägen in mehreren europäischen Hauptstädten gleichzeitig zu begehen. Es war kein Zufall, dass der britische Premierminister David Cameron und Bundeskanzlerin Angela Merkel direkt nach den Anschlägen in Paris ihre Kriegsräte einberiefen. Und das sind keine Routine-Operationen. Europas Geheimdienste sind erst daran, das ISIS-Netzwerk auf dem Kontinent aufzudecken, weshalb kein Land bereit ist, irgendein Risiko einzugehen. Flüge, Konzerte und Sportveranstaltungen sind in rascher Folge abgesagt worden, und das ist erst der Anfang.
Es ist noch unklar, warum der Plan für die grösseren Angriff nicht ausgeführt wurde, und es ist wahrscheinlich, dass wenn so ein breites Netz von ISIS-Agenten in mehreren europäischen Hauptstädten vorhanden ist, dass irgendwo auf dem Weg etwas schief gelaufen ist. Es gibt eine echte Sorge, dass die Terroristen und die Waffen, die sie im Begriff waren, zu verwenden, immer noch da draussen sind, und dass sie zu jedem beliebigen Zeitpunkt handeln könnten, dass jedoch derzeit jemand sie daran hindert.
Und das ist nicht das einzige, was mit ISIS‘ Plänen schief ging. Der Hauptterroranschlag in Paris sollte am Stade de France stattfinden, wo Zehntausende von Zuschauern sich ein Freundschaftsspiel zwischen Frankreich und Deutschland ansahen. Selbstmordattentäter planten, sich innerhalb dieser gewaltigen Menge in die Luft zu sprengen und Hunderte zu töten. Das Eröffnungsschauspiel, das um 21:20 eingeplant wurde, sollte die Franzosen unter Schock stellen. Unmittelbar danach, während die ganze Stadt von der massiven Katastrophe gelähmt wäre, sollten drei oder vier weitere Terrorangriffe im öffentlichen Raum der Stadt stattfinden, wie im Theater und in Cafés.
Doch die Terroristen, die angeblich das Stadion durch verschiedene Tore betreten sollten, scheiterten. Der erste explodierte am Gate B zur angegebenen Zeit: um 21.20. Zehn Minuten später versuchte ein weiterer Terrorist, durch Tor H ins Stadion zu gelangen, und auch ihm gelang es nicht. Er lief einfach in Sicherheitsleute – ein Phänomen, das in Europa noch nicht sehr verbreitet ist, ausser in den Stadien, wo Security benötigt wird, um mit Hooligans umzugehen. Erst jetzt beginnt Europa, sich mit Grundsecurity zu befassen.
Am Montag traf sich Verteidigungsminister Moshe Ya’alon mit den Botschaftern der NATO-Staaten in Israel – dem französischen, dem britischen, dem amerikanischen und sogar einem Vertreter der türkischen Botschaft. Es lag eine sehr düstere Atmosphäre über dem Raum. Yaron sprach über die Notwendigkeit moralischer Klarheit, und bat sie, aufzuhören, Angst davor zu haben, die Worte „politischer Islam“ und „Islamischer Jihad“ laut auszusprechen. Dies ist nicht ein soziales Problem, sagte er ihnen. Dies ist ein Krieg zwischen den Zivilisationen. Der Islamische Jihad hat einen Krieg gegen uns alle erklärt, und nebst ISIS gibt es auch noch die Muslimbruderschaft und andere, die versuchen, ihre Religion der der ganzen Welt aufzuzwingen.
Die Botschafter waren mehr an der operativen Seite der Dinge interessiert, an den Verteidigungs- und Sicherheitsmassnahmen. Sie wollten wissen, wie Menschenrechte mit Sicherheitsbedarf ausbalanciert werden können, sprachen über sensible Themen wie das Hören auf die Zivilbevölkerung und notierten höflich, was in der Sitzung gesagt wurde, für die Berichte, die sie nach Hause schicken würden. Es gab keine Anzeichen, dass die NATO-Mitglieder auf dem Weg waren, um ihr Leben zu kämpfen. Mehr noch, niemand in Europa konnte sich überhaupt die Möglichkeit vorstellen, dass jemand am Eingang zum Supermarkt jemandes Tasche sichten und kontrollieren könnte.
Sich nicht von den Golanhöhen weg rühren
Anfangs Woche geschah ein sehr wichtiges Ereignis an der israelisch-syrisch-jordanischen Grenze stattgefunden, das nicht viel Aufmerksamkeit von den Medien erhalten hat. Der islamische Staat, der die nächstgelegene Fläche an der israelischen Grenze auf den syrischen Golanhöhen kontrolliert, erlitt einen schweren Schlag und verlor auf einen Schlag seine gesamten Oberbefehlshaber der Region. Die Geschichte ist die, dass ein Selbstmordattentäter einer rivalisierenden Gruppe ein Treffen am Sitz der Yarmouk-Märtyrerbrigaden infiltrierte, einer Organisation, die Treue zu ISIS geschworen hat, sich im Raum in die Luft sprengte und dabei alle im Raum befindlichen Menschen mitnahm. Die Yarmouk Märtyrerbrigade, rund 700 Kämpfer an der Zahl, war nicht nur ein Dorn in der Seite Israels, sondern auch für Jordanien, der Drusen in der Gegend, und für syrische Oppositionsgruppen. Jemand unter diesen Mitspielern hatte beschlossen, sie los zu werden.
Bisher hat Israel keine Probleme mit der Präsenz des Islamischen Staates gehabt auf den Golanhöhen. Trotz des überschwappenden Feuers aus Syrien nach Israel während des blutigen Bürgerkriegs, der im Land wütet, wurde nicht eine einzige Kugel von Militanten des Islamischen Kalifats abgefeuert. Und doch – ihre blosse Anwesenheit in der Region schuf konstante Spannungen und einen konstanten Zustand der Wachsamkeit auf der israelischen Seite. Nun werden Kämpfe zwischen den Männern der Yarmouk-Märtyrerbrigaden und den Kämpfern der Nusra Front, die mit Al-Qaida verbunden sind, ausgefochten, und viele werden dabei verletzt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der tödliche Angriff, der die Führung der Yarmouk-Märtyrerbrigaden der Region ausschaltete, eigentlich ein Zeichen war, das das Ende der ISIS-Kontrolle über den Golan markierte.
Nadal Salah, ein Bewohner von Jaljulija, der die Grenze nach Syrien am 24. Oktober mit einem Gleitschirm überquerte, trat den Yarmouk-Märtyrerbrigaden bei. Es ist unklar, was mit ihm passiert. Diese Woche stellte sich heraus, dass er die syrische Organisation über das Internet kontaktiert hatte, und dass er, zusammen mit seinen Freunden, sich dem ISIS-Aussenposten auf dem Golan anschliessen und Teil des neuen islamischen Kalifats werden sollte.
Geheimdienst-Profis versuchen, zu verstehen, ob der Übergang von ISIS‘ „einsamer Wolf“-Terroranschlägen – wie die von Charlie Hebdo und dem Hyper Casher im Januar 2015 – zu Angriffen in grossem Massstab, eingeleiteten, richtig organisierten Angriffen aufgrund ihrer Fehler in Auseinandersetzungen mit Koalitionsstreitkräften im Irak und in Syrien erfolgt. Die offensichtliche Schlussfolgerung ist auch in Israel, dass die beiden nicht miteinander verknüpft sind. Die taktischen Misserfolge im Felde führen keine strategischen Veränderungen in dieser Organisation herbei. Sie sind hier, um zu bleiben, und mörderische Terroranschläge in Übersee sind Teil der Strategie.
Hinter dem Pariser Angriff steht ein sehr organisierter Mechanismus von Übersee-Attacken, an deren Spitze Guerillakampf-Experten stehen, die grösstenteils aus dem Kaukasus stammen. ISIS verfügt über etwa 2’000 Kämpfer aus der ehemaligen Sowjetunion. Ihr militärischer Befehlshaber, Omar al-Schischani, ist ein tschetschenischer Staatsbürger.
Abu Bakr al-Baghdadi, der ISIS gründete, ist ein irakischer Mann aus Samarra, geboren 1971. Nicht nur ein Mann der Religion, wird er als sehr praktischer Mensch angesehen, mit einer hohen Fähigkeit für operatives Denken, das in der Realität geerdet ist. Im Jahre 2010, als er noch ein Teil der Führung von Al-Qaida war, begann er, auf sozialen Medien eine Präsenz zu kultivieren, um Muslime aus aller Welt zum Kampf zu rekrutieren.
Dieser Tage veröffentlicht er ein „Jahrbuch“, in dem er alle Aktionen der Organisationen im Detail ausführt. Die Amerikaner, die diese Publikation verfolgt haben, sagen, dass es einen hohen Grad an Genauigkeit gebe in der Statistik, die dort drin stehe.
Al-Baghdadi selber verbrachte einen signifikanten Teil seines Lebens in den „Fedajin Saddam“-Kräften, die der damalige irakische Präsident gegen seine schiitischen Feinde betrieb. Die Praxis der Enthauptungen kommt von dort. Die meisten der Menschen, die in der heute in der Umgebung von Baghdadi sind, sassen nach dem Zweiten Golfkrieg mit ihm zusammen in amerikanischen Gefangenenlagern, wo der Eintopf des Hasses, der zur Geburt des IS führte, gekocht wurde.
Zusammen mit seinem Volk schuf er eine Zwei-Phasen-Lehre. Die erste – die Amerikaner aus dem Irak zu kicken und ein islamisches Kalifat zu errichten auf einem Teil der Fläche des Landes. In der zweiten Phase soll das Kalifat Ägypten, den Libanon, Jordanien, Syrien, Israel und Teile des Iraks umfassen. Die gesamte muslimische Welt ausserhalb davon wird als die Peripherie des Kalifats betrachtet. Der Irak ist heute nur ein Sprungbrett. Al-Raqqah in Syrien ist nur eine vorübergehende Hauptstadt. Es ist wahrscheinlich, dass, wenn Damaskus vom IS erobert werden sollte – es zu seiner Hauptstadt werden würde.
Die Palästinenser sind weniger eine Sorge für ISIS, obwohl 15 Prozent der Jugendlichen der Westbank in Umfragen Sympatie gegenüber der Organisation ausgedrückt haben. ISIS betrachtet die Palästinensische Autonomiebehörde, die von einem demokratischen Staat neben Israel spricht, als abscheulich. Vor ein paar Wochen gab er ein Video heraus mit Drohungen gegenüber Israel, aber erst nachdem Aiman al-Sawahiri, der Führer ihres Hauptkonkurrenten Al-Qaida, al-Baghdadi der Vernachlässigung der palästinensischen Sache beschuldigte.
Also für diejenigen, die sich Sorgen machen: Sie werden zu uns kommen, aber erst in der letzten Phase der Errichtung des Kalifats. In diesen Tagen regiert das Kalifat über Bereiche in Irak und Syrien, wo etwa sechs Millionen Menschen leben. Forschung über den Grad der Souveränität, die sie in den beiden grossen Städten unter ihrer Kontrolle haben – Al-Raqqah in Syrien und Mosul im Irak – zeigen, dass in allen Regierungsparametern die Dinge dort besser stehen, als sie unter irakischen oder syrischen Regimes waren, und dass die Bürgerdienste auch besser sind.
Neben all den Horrorgeschichten ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass ISIS eine Region ohne die Unterstützung der Bevölkerung nicht halten kann, die er wahrscheinlich hat. Zumindest ist das der Fall bei der sunnitischen Bevölkerung. Nach der anfänglichen Flucht verängstigter Einwohner Mosuls wurde die Bevölkerung der Stadt halbiert, auf eine Million Einwohner. Die Stadt funktioniert und die Menschen bekommen elementare Dienste wie Wasser und Strom, die besser funktionieren als zuvor.
In Al-Raqqa gibt es Dämme, die zwei Kraftwerke verbinden, wo ehemalige syrische Verwalter arbeiten, die immer noch von der syrischen Regierung bezahlt werden. Darüber hinaus gaben die Iraker und Amerikaner bis vor drei Monaten Geld an Iraks von ISIS betriebene Regionen, um Schaden für die Bevölkerung zu verhindern. Doch dann begriffen sie, dass sie in ihrer Torheit ISIS Geld gaben, und hörten damit auf.
Al-Raqqah ist die Heimat der hochrangigen ISIS-Führer – in Staat und Militär. Das ist auch der Ort, wo der Schura-Rat sein soll, der alle Aspekte des Lebens der Bürger des Kalifats diktiert. Darunter operieren die bürokratischen Räte, die für öffentliche Dienstleistungen, Landwirtschaft, Gesundheitswesen und dem Militärrat verantwortlich sind. An Baghdadis Seite sitzen zwei Räte, der eine verantwortlich für islamische Staatsangelegenheiten im Irak, der andere verantwortlich für Syrien.
Die Bezirke des Islamischen Staates basieren auf den Bezirken, die in Syrien und dem Irak vor der Übernahme durch ISIS existierten. Jeder verfügt über einen Gouverneur mit unabhängiger Herrschaft über Rechtsfragen, Strafverfolgung, die Umsetzung der Scharia, Bildung und Gesundheitsversorgung.
Jeder Gouverneur hat ein Militärmacht in Bataillonsstärke unter seinem Kommando, die er unabhängig verwenden kann, um seine Herrschaft über das Gebiet auszuüben. Wenn er zum Beispiel beschliesst, ein Gasfeld zu erobern, damit sein Bezirk die wirtschaftlichen Vorteile geniessen kann, so braucht er dafür nicht die Zustimmung der Führung in Al-Raqqa. Es gibt auch Bezirke, Damaskus zum Beispiel, wo ISIS immer noch eine harte Zeit hat, alle ihre Institutionen zu gründen, aufgrund von anhaltenden Kämpfen.
Die Franzosen berichten von Rache-Bombardierungen in Al-Raqqa, aber die bekannten Ziele sind von den Amerikanern bereits während des vergangenen Jahres bombardiert worden. Jedes Mal, wenn ein würdiges Ziel identifiziert wurde – wurde es bombardiert. Die Franzosen haben anscheinend gegen zivile Institutionen der Stadt losgeschlagen.
Jenseits der Bezirke im Irak und in Syrien hat ISIS auch seine Bezirke auf der ganzen Welt. Dabei handelt es sich um fundamentalistische Organisationen in der Region Sinai in Ägypten, Gaza, Indien, Libyen, Nigeria, dem Fernen Osten, der arabischen Halbinsel, Tschetschenien, China und Boko Haram in Afrika. Einige dieser Organisationen wurden früher mit Al-Qaida identifiziert und haben ihre Loyalität zum islamischen Staat verschoben.
Die Verbindung der zentralen Führung zu den Bezirken in Irak und Syrien wird durch „Botschafter“ gehalten, die zwischen Führung und lokalen Gouverneuren kommunizieren. Kontakt mit weiter entfernten Bezirken erfolgt über die modernsten Kommunikationsmittel, die man sich vorstellen kann. Abgesandte der zentralen Bezirke sind mehr als einmal ausgesandt worden, um weiter entfernte zu unterstützen. Zum Beispiel wurde Boko Haram in Nigeria von einer Delegation besucht, die ihnen helfen sollte, ihre Fähigkeit zu verbessern, Videos zu produzieren.
Im Laufe des ganzen Jahres gab es ausserdem Berichte von Besuchen des Stellvertreters des Kalifen, Abu Ala al-Afri, in Libyen, das sich ebenfalls zu einem grösseren ISIS-Bezirk entwickelt. Fachleute sagen, dass, wenn der Westen es schafft, ISIS aus dem Mittleren Osten heraus zu bekommen, dann wird Libyen ein vorübergehendes Ersatzzuhause für das Kalifat sein.
Eine Welle von Freiwilligen
Der harte Kern von ISIS begann in den letzten zehn Jahren Gestalt anzunehmen, in der irakischen sunnitischen Bezirken. Einige der Leute waren aus Militär und Regierung entfernt worden bei der damaligen „Bereinigung“ in den irakischen Institutionen durch die amerikanischen Besatzungsstreitkräfte. Zu diesen Menschen gehören Fachleute aus allen militärischen Bereichen, einschliesslich chemischer Kampfstoffe, grosser Raketen und Panzer – die in Saddam Husseins Militär gedient hatten. Die Organisation begann die Akkumulierung von Waffen während dem Umzug aus dem Irak nach Syrien, als sie durch sunnitische Stämme abgedrängt wurden, die die Amerikaner mit grossen Geldsummen und Versprechungen geteilter Macht gekauft hatten.
ISIS‘ Leute erreichten Syrien im Jahre 2011, direkt während des Chaos des Arabischen Frühlings, wo sie anfingen, militärisch aufzublühen. ISIS begann, syrische Basen zu erobern, schwere Waffen zu sammeln, und kehrte im Jahre 2014 triumphierend in den Irak zurück, mit dem Höhepunkt der Eroberung der zweitgrössten Stadt des Landes, Mosul.
ISIS‘ Methodik am Vorabend der Eroberung Mosuls erinnert an sein aktuelles Verfahren der Durchdringung Europas. Seine Leute begannen, freundlich gestimmte sunnitische Gemeinden zu infiltrieren, die von schiitisch geführten irakischen Militärs unterdrückt wurden, lange bevor das erste ISIS Artillerieregiment mit Waffen kam, die es vom syrischen Militär geraubt hatte.
ISIS‘ Leute verwoben sich in Mosul und schafften es, ein Wirtschaftssystem aufzubauen, das auf erpressten Schutzgeldern beruhte. Im Augenblick der Wahrheit, liessen sie Mosul einfach von innen zusammenbrechen. Das ist auch die Art, wie sie in Europa funktionieren. Ihre Aktivisten sitzen in den muslimischen Einwandererstadtteilen und warten auf ihre Befehle.
Al-Baghdadis Traum eines islamischen Kalifats zog rund 15’000 Freiwillige aus der ganzen Welt in die Reihen des ISIS, 6’000 von ihnen aus Tunesien. Frauen aus Tunesien kommen auch, um die Kämpfer zu stärken, bevor sie in den Krieg ziehen, und ein Streit brach aus im lokalen Parlament, als 30 von ihnen wieder nach Hause kamen, schwanger von einem unbekannten Mann.
4’000 weitere Freiwillige kamen aus Saudi-Arabien, 750 aus Jordanien, und 500 aus dem Jemen. Europa bleibt da nicht zurück: 1500 machten ihren Weg aus England, 1200 aus Frankreich und 600 aus Belgien. Erst vor kurzem haben die Türken Hindernisse aufgebaut auf ihren Grenzübergängen nach Syrien, aber bisher ist die Zahl der Freiwilligen nicht zurückgegangen.
Einige von ihnen kommen, um zu kämpfen, andere antworten auf al-Baghdadis Aufruf, an der Errichtung des Kalifats mitzuarbeiten als Ingenieure, Manager, Lehrer und Ärzte. Arabische Israelis sind auch in diese Falle getappt, und bis heute gibt es etwa 50 von ihnen, von denen man weiss, dass sie Mitglieder des ISIS sind. Ein paar Dutzend andere wurden in den vergangenen zwei Jahren verhaftet beim Versuch, Zellen des Islamischen Staates in Israel zu schaffen, oder wegen des Verdachts der Absicht, ihre Reihen zu verstärken.
Nach sorgfältigster Beurteilung durch Geheimdienste hat ISIS über 30’000 Kämpfer. Der Traum, den Islam zurück zu seinen glorreichen Tagen zu bringen, zieht muslimische Jugendlichen aus der ganzen Welt an. Haupteinnahmequelle von ISIS ist das Öl, den er aus dem Boden in Syrien und dem Irak extrahiert, sprudelt weiterhin, nachdem Mosul über 15 Prozent der irakischen Ölreserven verfügt. Bis vor ein paar Monaten kaufte die türkische Regierung dieses Öl offiziell und füllte damit die Kassen von ISIS. Das derzeitige Abkommen der Türkei, diese Käufe zu stoppen, ist auch ein Betrug, weil sie weiterhin mit ISIS-Mediatoren zusammenarbeiten, und das Geld geht in Richtung der Tätigkeiten des ISIS.
Ein weiterer Schlag für ISIS‘ Ölindustrie war die Übernahme der Stadt Baiji durch das irakische Militär Ende Oktober 2015. Die Russen beteiligten sich diese Woche ebenfalls an der Jagd auf Öl-Konvois, mit einer Erklärung der Einsatzleiter ihres Militärs, dass die Piloten freie Hand hätten, auf ISIS-Ziele zu feuern, einschliesslich Öltanker.
Die Amerikaner haben versucht, ihre eigenen Anstrengungen beitragen, mit ihren Spezialeinheiten, die den führenden ISIS-Ökonomen, Abu Sayyaf, in seiner Heimat Syrien ermorden sollen.
Erst diese Woche haben zum ersten Mal amerikanische A-10 Flugzeuge einen Öltankerkonvoi, der zu ISIS gehörend identifiziert worden war, während er seinen Weg in Richtung der türkischen Grenze machte. Wenn diese Einnahmequelle beschädigt ist, wird der islamische Staat in Schwierigkeiten kommen. Die intensiven Kämpfe und niedrigeren Einkommen sorgen bereits dafür, dass das Kalifat vor einem Dilemma steht – investieren in die Sicherheit oder das Niveau der Dienstleistungen für die Bevölkerung senken. Bisher hat es eine Absenkung des Niveaus der Dienstleistungen gegeben, aber nicht eine, die die ISIS-Herrschaft gefährdet.
Die Luftangriffe haben die Fähigkeit des ISIS, sich frei zu bewegen, beschädigt, und das ist der Grund, warum er sich nicht mehr ausbreitet. Sindschar, ein strategischer Punkt auf der Achse, die Syrien und den Irak verbindet, wurde zurückerobert, womit die direkte territoriale Verbindung von Mosul und Al-Raqqa aufgetrennt worden ist.
Viele Menschen der Organisation sind in diesen Tagen nicht in Uniform, in harmonischem Einklang mit der Zivilbevölkerung, und es scheint, als ob das gewünschte Ergebnis nur mit einer Bodenoffensive erreicht werden könne. Alles in allem hat ISIS in zwei Jahren des Kampfes etwa 10’000 Menschen verloren, die in Luftangriffen und Bodenkämpfen getötet wurden. Aber die Menge der Kämpfer wird nicht sinken, denn die Freiwilligen kommen immer weiter, und der Zug, den die Organisation bewirkt hat – ein Mann aus jedem Haus unter ihrer Herrschaft.
Bis der Messias kommt
ISIS‘ jüngste Misserfolge sind gleichauf mit seinen Erfolgen. Auf der einen Seite die Terroranschläge in Paris, die Bombardierung des russischen Flugzeugs im Sinai, die Bombardierung im Herzen von Beirut und mehrere Erfolge auf der Aleppo-Damaskus-Route. Auf der anderen Seite ein Rückzug im Irak unter dem Druck des irakischen Militärs, der Kurden und der schiitischen Milizen.
Inzwischen haben die Amerikaner eines ihrer wichtigsten Werkzeuge für den Kampf in Syrien verloren – verdeckte Aktionen. Die Spezialeinheiten, in Verbindung mit der CIA, haben sich in der Vergangenheit bei der Durchdringung und der Beeinflussung Einheimischer hervorgetan. Doch die derzeitige Regierung hat in einer klaren Entscheidung diesen Zweig in Syrien vernachlässigt und Oppositionsquellen vernachlässigt, wie die Freie Syrische Armee, die um Hilfe gebeten hatte.
Es gibt keine Verbindung zwischen ISIS Misserfolgen im Kampf und ihren Leistungen bei der Ausführung von Terroranschlägen in der ganzen Welt, so wie es keine Verbindung zwischen der Welle der syrischen Flüchtlinge und der europäischen Infrastruktur von ISIS gibt, die schon vor Jahren aufgebaut wurde. Das Gegenteil ist der Fall – in ihren Veröffentlichungen spricht ISIS dagegen, dass das syrische Volk sein Heimatland in Richtung Europa verlässt, sieht es als Verrat am islamischen Staat. Die Flüchtlinge werden auch davor gewarnt, dass ihr Schicksal unter den Ungläubigen schlimmer sein wird als unter dem Kalifat.
Dr. Barak Mendelsohn, ein Experte für weltweite Jihad-Bewegungen, vom Haverford College in Pennsylvania, hat vor kurzem ein Buch veröffentlicht, das sich mit der Ausbreitung des weltweiten Jihads und seinen Auswirkungen befasst. Mendelsohn sagt, dass die gross angelegten Terroranschläge in Europa und anderen Orten weitergehen werden, weil sie dazu bestimmt sind, die europäischen Muslime zu zwingen, sich für eine Seite zu entscheiden und eine Kluft zwischen der muslimischen und nicht-muslimischen Bevölkerung aufzureissen.
Die Leute von ISIS unterstützen tatsächlich den Aufstieg der rechten Bewegungen in Europa, in der Hoffnung, dass es Muslime dazu ermutigt, sich gegen sie zu erheben. ISIS will die Grossangriffe weiterführen – unter anderem, um mehr muslimische Jugendliche zu ermutigen, der Organisation beizutreten, und auch wegen der abschreckenden Wirkung, die sie erzeugen sollen, im Angesicht der europäischen Länder, die mitmachen im Kampf gegen ihn in Syrien und dem Irak. Und ja, da ist auch Rache.
Mendelsohn glaubt, ISIS mache die gleichen Fehler, die Al-Kaida am 11. September in den Vereinigten Staaten machte. „Sie beurteilen die Gefühle im Westen nicht richtig“, sagt er. „Sie stecken in einer ideologischen Denkweise fest, die sagt, dass die Terrorangriffe die Christen zwingen werden, in die Levante zu kommen und sie im heiligen Land zu bekämpfen, bis zu jener entscheidenden Schlacht in der Stadt Dabek in Nordsyrien, wonach die Christen besiegt werden und der Messias aus seinem Grab steigen wird.“
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