Die Gefahr des Bekenntnisses, atheistischer Muslim zu sein
Ali Rizvi, 8.1.2017, CBC Radio
Sie können ein aus der Kirche ausgetretener Katholik sein. Sie können ein kultureller Jude sein. Sie können ein Buddhist sein, der mehr ans Dharma glaubt als an Göttlichkeit.
Doch ein atheistischer Muslim zu sein ist nicht so einfach. In einigen Teilen der Welt ist das ein Bekenntnis, das Sie Ihr Leben kosten könnte.
„Die Menschen verlieren potentiell sehr viel, es ist nicht nur eine Frage der Änderung deiner Meinung oder zu sagen, dass du anders denkst. Und wie ich im Buch schreibe, kann in einigen dieser Gesellschaften die Änderung deiner Meinung buchstäblich bedeuten, deinen Kopf zu verlieren. Deine Regierung wird dich verfolgen. Deine Familie vefolgt dich. Die Gesellschaft verfolgt dich. Und das kommt noch zu deiner eigenen inneren Zerrissenheit über deine innere Identität hinzu. “ – Ali Rizvi, Autor von The Atheist Muslim
Ali Rizvi wuchs in einer schiitischen muslimischen Familie auf, doch für ihn warf die Religion immer mehr Fragen auf, als sie beantwortete.
Nach Jahren des Studiums der Wissenschaft fand er Glauben und Vernunft immer schwerer zu versöhnen und wurde schließlich Atheist.
Er hält immer noch an einigen islamischen Traditionen fest, wie Eid zu feiern oder Nohas (Trauerlieder) für seine Baby-Tochter zu singen, aber das Konzept eines „kulturellen Moslems“ wird im Islam nicht wirklich anerkannt – in Wirklichkeit wird der Abfall vom Glauben als eine große Sünde angesehen .
In seinem neuen Buch „The Atheist Muslim“ erzählt Rizvi seine Reise, wie er in einer muslimischen Familie in Pakistan und im Nahen Osten aufwächst und nach Kanada zieht und schließlich ein freimütiger Kritiker seiner Religion wird.
Rizvi sprach mit Tapestry-Moderatorin Mary Hynes darüber, wie eine neue Generation von Ex-Muslimen, die den hohen Preis der Aufgabe der Religion der Eltern auf sich nehmen, ihre Identität neu formieren.
Riskantes Geschäft
Mary Hynes: Es gab das Massaker von Charlie Hebdo, die Drohungen gegen Salman Rushdie, gegen die dänischen Karikaturisten, die den Propheten dargestellt haben … Und Sie sagen, jetzt stellen Sie sich das Risiko vor für diejenigen, die gegen den Glauben von innen her angehen. Wie real ist das Risiko für Sie?
Ali Rizvi: Es ist ein sehr reales Risiko. Ich habe das Glück, hier in Kanada zu sein, und ich habe ausserdem das Glück, männlich zu sein. Ich kenne eine Menge weiblicher Ex-Muslime, und sie haben es noch viel schwerer, mit der Art von Dingen, die die Leute ihnen schreiben oder ihnen schicken. Menschen, die sich konkret dagegen aussprechen, denken, dass ein gewaltiges Risiko da ist für sie, vor allem in der muslimischen Welt.
Vor sieben oder acht Jahren habe ich angefangen, darüber zu schreiben und zu reden, und ich begann, E-Mails von Leuten aus Saudi-Arabien, Pakistan, Malaysia, Indonesien und Bangladesch zu bekommen, wo in jüngster Zeit weltliche Blogger zu Tode gehackt wurden. (Der bangladesher Blogger) Avijit Roy war sogar ein Freund von mir. Deshalb sind mir diese Dinge sehr nahe. Ich weiß, dass das Risiko sehr real ist.
(Doch) aufzuhören, darüber zu reden, wäre eine Beleidigung für Avijits Vermächtnis. Es wäre ein Verrat an Leuten wie Raif … wenn wir aufhören würden, darüber zu reden, vor allem, wenn wir in Kanada leben und ich die Plattform und die Fähigkeit habe, dies zu tun.
Kritik vs. Engstirnigkeit
MH: Ich weiß, dass Sie zugegeben haben, dass dies ein schmaler Grat ist in einer Zeit, in der viele Muslime Angst haben, wegen ihrer Religion verfolgt zu werden. Wie nehmen Sie diesen Grat zwischen kritisch-sein und sich-in-Engstirnigkeit-hineinziehen-zu-lassen?
AR: Ich glaube, der Fehler, den beide Seiten machen, ist die Vermischung von Ideen und Menschen – Menschen haben Rechte und haben Anspruch darauf, geachtet zu werden; Überzeugungen und Bücher haben beides nicht. Leute wie mein guter Freund Raif Badawi steckt in Saudi-Arabien im Gefängnis und er wurde 50 Mal gepeitscht für blosses Bloggen. Er ist zu 1000 Peitschenhieben verurteilt worden für die Ideen, die er dort ausdrückt.
Es ist interessant für mich, dass, wenn er es endlich nach Kanada schafft und wieder mit seiner Frau und seinen Kindern hier zusammen ist, dass dann eine Menge seiner Ideen wegen der Kritik, die er anbringt, von den Linken hier als islamophob angesehen werden.
Eine wachsende Bewegung
MH: Haben Sie ein Gefühl dafür, wie viel Gesellschaft Sie als atheistischer Muslim haben? Ist das selten?
AR: Ich habe Tausende von E-Mails in meinem Posteingang. Ich habe Nachrichten von Jugendlichen LGBT in Saudi-Arabien, die sich im Schrank verstecken müssen. Ich habe hochrangige Politiker und Journalisten in Pakistan und in Bangladesch, die mir geschrieben haben. Das betrifft also viele Menschen. Vor allem junge Menschen sind heute miteinander vernetzt. Sie erhalten über das Internet Zugang zu Ideen. Sie werden skeptischer. Und für einige von ihnen [in islamischen Ländern] ist das Verlassen des Islam selbst etwas sehr schwieriges. So viele von ihnen wollen einen Fuß drin halten. Aber sie wollen auch die Moderne umarmen – sie wollen dem Rest der Welt beitreten.
Das vollständige Interview können Sie hier im englischen Original hören.
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