Der Selbstbetrug der westlichen Gesellschaft
Dass Selbsttäuschung und Dogmatismus Länder in den Untergang führen, ist nichts Neues. Historisch gesehen hat eine solche Tendenz zu grossen Verwerfungen geführt. Wie eine nicht voll durchdachte Klimapolitik (obwohl Umweltmassnahmen notwendig sind) und die öffentlichen Mehrausgaben in unserer Zeit zeigen, können auch Demokratien in diese Falle tappen
Prinz Michael von Lichtenstein, 7. Juli 2021, GIS Reports Online
Auf Anfrage liess GIS diesem Blog das Deutsche Original des Autors zukommen.
Der deutsche Journalist Gabor Steingart bemerkte einmal, der moderne Bürger sei weder katholisch noch protestantisch, sondern politisch korrekt. „Das oberste Gebot ist, dass du dich im Namen des Guten selbst belügen sollst“, twitterte er.
Perioden massiver Selbsttäuschung kommen in der Geschichte regelmässig vor und führen meist zu katastrophalen Verwerfungen. Die typischen Symptome eines solchen Prozesses sind die Intoleranz gegenüber abweichenden Meinungen, das Unterbrechen von Debatten und das Escheinen von Verschwörungstheorien, paradoxerweise begleitet von häufig hagelnden Verschwörungsanklagen, um Andersdenkende mundtot zu machen.
Die Selbsttäuschung ist in der Regel mit einer Selbsterhaltung der politischen Elite verbunden, die eine ständige Wiederholung des vorherrschenden Narrativs erfordert. Die Betroffenen kommen dazu, diesen Diskurs zu glauben, selbst wenn die Fakten ihm widersprechen. Da die Folgen der realen Entwicklungen für die Elite verheerend sein können, ist es bequem – aus ihrer Sicht sogar notwendig – die beunruhigende Wahrheit zu unterdrücken. Der Pragmatismus weicht dem Dogmatismus.
Wir sind den Weg wiederholt gegangen
Viele Fälle in der Geschichte veranschaulichen diesen Mechanismus. Die herrschenden Eliten Frankreichs ignorierten die wirtschaftliche und soziale Situation vor der Französischen Revolution. In Nazi-Deutschland herrschte bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs ein offizieller Optimismus zum „Endsieg“. Jeder Logik entbehrt, versuchte Frankreich, das Kolonialreich am Leben zu erhalten, was zu erfolgslosen Kriegen in Indochina und Algerien führte. Und Frankreich und das Vereinigte Königreich erlagen dem Selbstbetrug, als sie 1956 in den Krieg zogen, um die Kontrolle über den Suezkanal zu bewahren.
Die Nachrichtenmedien unterstützen zunehmend die wahnhaften Narrative der Regierungen
Die Beispiele des alten Regimes in Frankreich und Nazi-Deutschland könnten zu der Annahme verleiten, dass katastrophale Selbsttäuschung eher autokratische Regime betrifft als demokratische. Man kann argumentieren, dass Demokratien eine Bilanz der Selbsterneuerung haben. Das ist richtig – vorausgesetzt, das demokratische System funktioniert. Es funktioniert am besten in dezentralisierten Systemen mit einem hohen Grad an Subsidiarität, die individuelle und lokale Verantwortung in Verbindung mit begrenzten Befugnissen der Regierung betonen.
Was wir in den Demokratien westlicher Prägung sehen, ist leider ein Trend in die entgegengesetzte Richtung. Es gibt immer mehr Zentralisierung, staatliche Einmischung und Regulierung im täglichen Leben. Die Bürokratie bläht sich auf und die Parlamente werden von politischen Parteien und ihren Loyalisten kontrolliert. Unabhängige Abgeordnete, die die res publica nach bestem Wissen und Gewissen vertreten, sind eine Rarität geworden.
Mechanik der Selbsttäuschung
Dieser Zustand ermöglicht die Selbstperpetuierung der herrschenden Eliten, wie in Autokratien. Ausserdem entfremdet er die Politik von der sozialen und wirtschaftlichen Realität. Heutzutage beobachten wir, dass die Nachrichtenmedien, die „vierte Gewalt“ und vermeintliche Säule der Demokratie, zunehmend die wahnhafte Meuterei der Regierungen unterstützen. Das Gleiche gilt für einige Führungskräfte grosser und sogenannter „systemrelevanter“ Unternehmen.
Nehmen Sie beispielsweise die öffentlichen Finanzen. Der lebenserhaltende Sauerstoff für die politischen Parteien in den letzten 30 Jahren waren „Geschenke“ an die Bevölkerung in einem ständig expandierenden Wohlfahrtsstaat, verbunden mit einem steigenden Anteil der Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Die Ausgaben wurden durch steigende Verschuldung finanziert und das Ignorieren der geschaffenen Haftung für künftige Generationen. Was zählt, ist, dass diese Politik die Wiederwahl sichert. Gleichzeitig sind die Steuergesetze immer komplizierter geworden und hat sich zu einem byzantinischen Regelungsdschungel entwickelt.
Die Zinssätze wurden zum Nachteil der Sparer und der Mittelschicht auf nahezu Null bis negativ gesenkt, um die Schuldenlast der Regierungen zu minimieren. Die Notfälle von Covid und die Abschwächung des Klimawandels dienen nun als Vorwand, um alle monetären Beschränkungen fallen zu lassen.
Und jetzt kommt die Notwendigkeit, ein Narrativ zu schaffen, dass all diese Travestie erfolgreich ist. Die völlig unrealistische Moderne Geldtheorie (MMT) wurde aufgestellt, um Politiker und Bürger in dem Glauben einzulullen, dass Regierungen ohne negative Folgen so viel Geld ausgeben können, wie sie wollen. Diese Theorie ist ungefähr so realistisch wie die Dogmen der Machthaber im vorrevolutionären Frankreich.
Täuschung und Einschüchterung
Das Klimaproblem ist sehr wichtig, denn wir müssen die Umwelt schützen. Aber es ist zu einer Quasi-Religion geworden. Das Narrativ ist, dass gierige Unternehmen die Situation geschaffen haben, und nun muss eine globale Einheitslösung akzeptiert werden. Die geringste Kritik am Pariser Abkommen von 2016 wird als ketzerisch angesehen. Massnahmen zum Schutz der Atmosphäre zu ergreifen ist notwendig, aber sie sollten mit der bestmöglichen Strategie abgestimmt werden.
Ideologischer Eifer blendet den gesunden Menschenverstand, und das Establishment begrüßt Radikalisierung
Globale Systeme sind in der Regel ineffektiv, da sie die lokalen Notwendigkeiten nicht ausreichend berücksichtigen. Wir sollten froh sein, dass es ein steigendes globales Bewusstsein für die Klimabedrohung gibt, aber es werden lokale und regionale Lösungen und Alternativen zum Pariser Plan benötigt. Ein radikaler Plan, der als die einzig akzeptable Alternative präsentiert wird, ist per Definition fragil. In der realen Welt ist nichts perfekt; eine gesunde Debatte könnte die bestehenden Optionen zum Klima nur verbessern. Jetzt wird dieses lebenswichtige Thema missbraucht, um unverantwortliche staatliche Mehrausgaben zu rechtfertigen.
Doch die politisch korrekte Intoleranz geht noch weiter. Historische Statuen werden abgerissen, Strassennamen werden geändert, die Sprache wird – gegen den Willen der Öffentlichkeit – mit ungeschickten, aber obligatorischen Formulierungen versehen, um sie geschlechtsneutral zu machen. Der Vorwurf, etwas sei für jemanden „beleidigend“, ist zu einem Mittel geworden, um Debatten abzutöten. Auf zynische Weise dient er auch dazu, die Gesellschaft zu polarisieren und in Untergruppen zu fragmentieren und die Menschen davon zu überzeugen, dass sie Opfer sind. Ideologischer Eifer verblendet den gesunden Menschenverstand, und das politische Establishment macht sich die Radikalisierung zu eigen. Diese Besserwisserei übertrumpft Wissen, Realität und Fakten.
Politik ist zu einer Vollzeitbeschäftigung geworden, bei der Karrieren von parteipolitischen Loyalitäten abhängen, nicht von der Verantwortung für das langfristige Gemeinwohl. Zivilcourage ist kein gefragtes Gut mehr. Die verheerende Folge ist der Verlust von individueller Freiheit und Verantwortung. Starre Dogmen schränken die Freiheit der Rede und der Meinung ein.
Die Demokratien gingen von einer dezentralisierten Demokratie zu einer globalen und nationalen zentralisierten Bürokratie über, die das Narrativ der Eliten bewahrt. Advocacy-Gruppen, wie Oxfam oder Greenpeace, verstärken die Botschaft.
Die moderne Geldtheorie wird scheitern, da sich die Regeln der Wirtschaft, der Finanzen und der Mathematik, sowie die menschliche Verhaltensweise ändert. Die Inflation wird die Mittelschicht ruinieren. Es wird zu ganz erheblichen Verwerfungen kommen. Die Gesellschaft, die den Wahn akzeptiert, wird ihre selbstregenerierende Kraft verlieren. Man hofft auf eine Rückkehr der Vernunft und des Pragmatismus im Zuge einer durch MMT verursachten Krise und schliesslich auf Veränderungen zum Besseren. Leider könnten wir aber auch das Gegenteil sehen: einen noch mächtigeren Staat, der die Freiheit hinwegfegt und ein „egalitäres“ System etabliert, das eher Untertanen als Bürger regieren wird.
Prinz Michael von Liechtenstein hat seine Ausbildungen an der Wirtschaftsuniversität Wien (Österreich) mit einem Magister der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (M.A. in Business Administration) abgeschlossen. Während seines Studiums absolvierte er verschiedene Praktika / Arbeit bei Banken und produzierenden Unternehmen in Kanada, den USA und Belgien (Brüssel).
Von 1978 bis 1987 arbeitete er für Nestlé SA in den Bereichen Controlling, Management und Marketing auf verschiedenen Märkten in Europa und Afrika.
1987 kehrte er nach Liechtenstein zurück, wo er die Position des Geschäftsführers bei Industrie- und Finanzkontor Ets. Vaduz übernahm, die heute eine führende Treuhandgesellschaft mit Tradition und Expertise in der langfristigen und generationenübergreifenden Erhaltung von Vermögen, Familienwerten und Unternehmen ist. Heute ist Prinz Michael von Liechtenstein Executive Chairman von Industrie- und Finanzkontor Ets. sowie Gründer und Präsident der Geopolitical Intelligence Services AG Vaduz.
Prinz Michael von Liechtenstein ist Mitglied verschiedener Berufsorganisationen wie STEP. Darüber hinaus ist er Vorstandsmitglied des Liechtensteinischen Treuhänderinstituts sowie Vorsitzender des European Center of Austrian Economics Foundation Vaduz.
Er ist Mitbegründer des International Institute of Longevity and Longevity Center.
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